Liebe Gemeinde,

nun ist es schon drei Jahre her, dass unsere Ostergottesdienste ausfielen wegen Corona.
Wir gaben uns Mühe mit digitalem Ersatz damals.
Was fehlte, war das sinnliche Erleben von Gemeinschaft.
Das nach wie vor am besten ein Live-Gottesdienst ermöglicht.
Ich denke noch oft an einen Anruf, den ich zu Ostern 2020 bekam. Von einem älteren Mann aus der Gemeinde, der um eine Telefonandacht bat.
Ich solle ihm bitte den klassischen Ostertext vorlesen.
Oh, sagte ich, das dauert dann aber etwas länger als die Weihnachtsgeschichte aus Lukas 2.
Das letzte Kapitel des Evangeliums, Lukas 24, hat immerhin 53 Verse. Und besteht eigentlich aus mehreren Ostergeschichten:

Die Frauen am Grab tauchen zuallererst auf.
Von denen drei sogar mit Namen bezeichnet werden, was damals recht ungewöhnlich war:
Maria aus Magdala, Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus.
Denen begegnen zwei Männer in blitzendem Gewand, die sie sogleich fragen: Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?
Er ist nicht hier, er ist auferweckt worden! (Lukas 24,5f)
„Lesen Sie doch bitte weiter!“, meinte der Anrufer.

Es folgt die lange Geschichte mit den zwei Jüngern auf dem Weg nach Emmaus.
Denen ein Dritter die Bibel erklärt, in dem sie dann später Jesus selbst erkennen.
In dem Moment, als er das Brot in die Hand nimmt und bricht. „Bleibe bei uns!“, sagen sie dann.


Und es folgt noch der recht unbekannte dritte Teil von Lukas 24. Wir haben die Verse gerade eben als Lesung gehört.

Sogar ein Theologieprofessor namens Gerd Lüdemann kam in den neunziger Jahren zu dem Ergebnis: Alles erfunden!
Die Fantasie ging mit den enttäuschten Jüngern durch!
Ich möchte entgegnen: wenn erfunden, dann gut erfunden!
Jesus ist hier doch sehr gut wiederzuerkennen!
An seinen Worten: Friede sei mit euch.
An seinen Händen und Füßen, gezeichnet von den Wundmalen.
Und das hat noch mehr Hand und Fuß,
dass er dann mit ihnen zusammen aß:
Gebratenen Fisch - wie schon in seinem ersten Leben ist Jesus kein Kostverächter. Sehr anschaulich schildert das der Evangelist.
Sowohl dem Anrufer als auch mir als Vorleser gefiel dieser Abschnitt besonders gut. Und es wird bei alldem deutlich:

Es gibt nicht die eine klassische Ostergeschichte.
Vielmehr öffnet sich uns ein buntes Kaleidoskop.
Man kann sagen: ein Kaleidoskop humanen Gedankenreichtums. Man könnte auch sagen:
ein Mosaik der vielen Gestalten des Glaubens.

Der Glaube ist Thema Nummer 1 bei Paulus.
Dessen vorletztes Kapitel aus dem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth wird uns heute für die Predigt vorgeschlagen.
Ich lese Kapitel 15, die Verse 1-11, aus der Züricher Bibel…
Als wir Anfang der Woche in unserer Dienstbesprechung diesen Text lasen, blieb ein Satz besonders hängen:
Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.
Paulus wird hier sehr persönlich...
Und wie das recht menschlich so ist: Das schwerste Thema hatte der Apostel sich für den Schluss seines Briefes aufgehoben.
Der Schriftgelehrte aus Tarsus, der seine Tora bei Rabbi Gamaliel gelernt hatte, der wusste genau: Bei den philosophisch gebildeten griechischen Christen kann er mit diesem Glaubenssatz kaum landen. Gestorben für unsere Sünden – das mag ja noch angehen.
Aber dass er am dritten Tag auferweckt wurde gemäß den Schriften? Wo soll das nachzulesen sein? Das könnten auch Tora-Kundige mit Recht fragen. Allein beim Propheten Jona, der drei Tage lang im Fischbauch zwischen Tod und Leben schwebte?
Ein etwas dünner Beleg...
Auf dem Marktplatz in Athen, so berichtet die Apostelgeschichte (17,31f), war Paulus damit aufgelaufen. Bis dahin hört ihm das Großstadtvolk gut zu, bei der Auferstehungspredigt schalten Sie ab. Und zwar ungläubig. Sie spotten und einige rufen ihm zu: Darüber rede bitte ein anderes Mal weiter. Immerhin...
Paulus weiß: Auch hier in Korinth muss er argumentieren.
Was im Falle eines Glaubenssatzes leider unmöglich ist!
Und so verzichtet der Theologe darauf, ähnlich wie Lukas anschauliche Ostergeschichten zu erzählen.
Breitet auch nicht noch einmal haarklein sein Damaskus-Erlebnis vor ihnen aus. Als er von Jesu Lichtgestalt überwältigt worden war. Allein - dieser radikale Wendepunkt seines Lebens leuchtet doch auf in diesen Versen:
Paulus öffnet das bunte Kaleidoskop des Glaubens.
Und stellt sich in eine lange Reihe von Zeugen.
Die dafür stehen, dass Jesus aktiv ins Leben zurückkehrt.
Wobei Paulus die Frauen unterschlägt.
Oder die Überlieferung, auf die Lukas sich bezieht, war ihm unbekannt.
Fast egal, denn entscheidend ist etwas anderes:

Der Egomane wird zum Diener Christi.
Der für Mord und Totschlag gegen Andersgläubige bekannte Glaubensfanatiker wird zum Versöhner.

Der Weg zum wahren Glauben führt über die Demut.
Der erste Teil seines Lebens war ein verkehrter Weg.

Als Missgeburt bezeichnet er sich.
Möglich, dass er damit eine Totgeburt beschreibt.
Bevor Christus ihn in sein Licht tauchte vor Damaskus, ja ihn persönlich ansprach: Saul was verfolgst du mich? (Apg. 9,4), war alles verkehrt und diente dem Tod.
Erst jetzt, nach seiner persönlichen Osterbegegnung, macht sein Leben, sein vieles Arbeiten als Diener Christi, einen guten Sinn.
Wie sehr, liebe Gemeinde wünschen wir so einigen Gewalttätern unserer Tage eine solche Umkehr...
Wie sehr ist es aber auch unsere Aufgabe als so genannten einfachen Christenmenschen, genau dafür in unserem Umfeld, in unserem Dienst einzutreten: dass der Weg zum Frieden, der Weg in das Licht Christi, vom Ich zum Wir führen wird.
Es ist und bleibt Aufgabe jeder Kirchengemeinde, die sich nach Jesus Christus benennt, sich genau dazu auch zu bekennen.

In Wort und Tat...
Paulus spricht in weiter Offenheit davon:
Christus ist den anderen Aposteln wie auch ihm erschienen.
Will sagen: lebendig-persönlich gegenübergetreten!

Liebe Gemeinde, ich möchte zum Schluss der Predigt fragen:
Wie begegnen wir Jesus Christus? Wo erfahren wir Ostern?

Mir persönlich gingen diesmal die beiden Abendmahlsfeiern unserer Gemeinde unter die Haut. Am Gründonnerstag und am Karfreitag. Wohl weil die Pandemie ihren Schrecken verloren hat. Und wir einander auch leiblich wieder näher rücken.
Sogar am Gründonnerstag einen Händedruck wagten.
Zur Kräftigung unserer Gemeinschaft.
Als gewisses, ja vergewisserndes Wahrzeichen dafür, dass wir bleibend verbunden sind.
In Jesus Christus, unserem einzigen Trost im Leben und im Sterben.
Mit den Worten vom Beginn unseres Textes gesagt:
Wir kennen das Evangelium, das uns verkündigt wird.
Wir haben es auch angenommen und wollen fest in ihm stehen.
Auch wenn die Kirche Mitglieder verliert, kommt es genau darauf an: Wir sind da!
Wir bleiben ein Ort der Kommunikation, der Begegnung, der Versöhnung.

Wir bleiben so für unsere Gesellschaft und die Zukunft unserer Erde wesentlich wichtig.
Als ein Ort, an dem der Friede Gottes möglich wird, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft und unsere Herzen und Sinne bewahren wird in Christus Jesus.
Amen.