Liebe Gemeinde,

es ist vergleichsweise still in der Jerusalemer Grabeskirche, dem heiligsten Ort der Christenheit. Am letzten Sonntag am späten Nachmittag treffen wir dort ein mit unserer Gemeinde-Reisegruppe. Viele Gläubige sind gerade am Ölberg unterwegs. Dort spielt am Palmsonntag die Musik, in Gestalt der traditionellen Prozessionen etlicher Glaubensgemeinschaften.

Die Grabeskirche ist beim ersten Besuch verwirrend. Auch wenn unser kluger Reiseleiter sich alle Mühe gibt, mit einem Schaubild die Bereiche der sechs Denominationen zu kennzeichnen, die Ansprüche an den heiligen Ort haben: Die römisch-katholische, griechisch-orthodoxe, armenische, syrische, äthiopische und ägyptische Kirche.

Wer wie ich das Glück hat, öfter hier zu sein, spürt von Mal zu Mal stärker, dass er sich an einem Kraftort befindet. Denn der römische Kaiser Konstantin hatte gründlich recherchiert, als er im vierten Jahrhundert den Ort festlegte, wo dieses Gotteshaus errichtet werden sollte. Zur Zeit Jesu lag er noch knapp außerhalb der Stadtmauern, der Felsen Golgatha. Der Grund, auf dem das Christentum steht, ist jetzt mitten im christlichen Teil der Altstadt gelegen. Frauen sind es vor allem, die am Palmsonntag dann doch da sind, aus allen Ländern der Welt. Als die Säulen der Kirche, die nicht nur bei uns mindestens zwei Drittel der Gemeindearbeit tragen. Einige küssen kniend oder liegend den Stein, auf dem Christus gesalbt wurde. Virus hin, Virus her, egal. Man - oder frau -  ist vielleicht nur dieses eine Mal hier…

Ich entdecke diesmal den Felsspalt, der in der Golgathakapelle gleich rechts vom Eingang unter Glas liegt. Durch den nach alter Tradition das Blut Christi nach unten abgeflossen ist. Wo sich heute die Adamskapelle befindet. Historisch eher unwahrscheinlich, dass hier die Gebeine des ersten Menschen liegen, doch ein Symbol voller Kraft. Der Schöpfer knüpft am Anfang an. Christi Blut ist für alle Menschen vergossen, damit menschliches Blutvergießen ein Ende habe. Die Anfangsbuchstaben des ersten Menschen stehen im Griechischen für alle vier Himmelsrichtungen: Anatole, der Osten. Dysis, der Westen. Arktos, der Norden. Mesembria, der Süden. A-D-A-M. Und schon sind wir mitten im Predigttext, der mehr sein will als ein exakter journalistischer Bericht. Oder sagen wir: Der etwas anderes sein möchte als eine Reportage. Dass an Jesu Todestag die Erde in Jerusalem bebt, ist nirgendwo sonst belegt. Dass der Vorhang im Tempel zerriss, ist wiederum nicht mehr und nicht weniger als ein kräftiges Symbol. Warum beschreibt das der Evangelist Matthäus so? Weil er zu seiner Zeit schon weiß, dass im Jahr 70 der Tempel zerstört werden wird? Gut möglich! Oder weil er sagen, weil er predigen will: Was hier geschieht, geht alle Welt an: Der Zugang zum Allerheiligsten, zur Bundeslade mit den Tafeln der Gebote, er ist jetzt für alle Völker der Erde offen!?

Oder ist noch eine dritte Interpretation gestattet? Wer den Tod eines Menschen betrauert, zerreißt seine Kleider. Trauert im Tempel Gott selbst über den Tod seines Sohnes? Der ihn ja vorher anrief mit den Worten: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Trauert Gott mit um den Tod eines jeden Menschen, der ohne Gegenwehr brutal ermordet wird? Wo ist Gott, wie greift er noch ein?

Matthäus lässt in seinem theologischen Bericht von dem, was auf Golgatha geschah, die Erde beben. Hier wird die ganze Welt auf den Kopf gestellt! Die Hoffnung des Glaubens, das Leben sei stärker als der Tod, sie bekommt im Rückblick des Evangelisten Recht! Die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschla-fenen Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen.

Am folgenden Tag wird unsere Reisegruppe die jüdische Gedenkstätte Yad Va Schem besuchen und am Torbogen des Ausgangs folgenden Bibelvers lesen: Ich will meinen Odem in euch geben, dass ihr wieder leben sollt.

Prophet Ezechiel, Kapitel 37.

Ich lese noch Vers 13, der direkt davor zu finden ist: Ihr sollt erfahren, dass ich der Herr bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern hervorhole.

Das alles hat Matthäus im Blick, als er sein Evangelium schreibt. Er kommt schon von Ostern her. Und lässt nun d e n Repräsentanten der nichtjüdischen Welt auftreten: den römischen Hauptmann, auf Latein Centurio, Befehlshaber von 100 Soldaten. Der mit einigen seiner Untergebenen Jesus bewacht. Deren Maßstäbe bringt das Karfreitagsbeben völlig durcheinander. Die Soldaten samt ihrem Chef erschrecken sehr. Und sie erkennen:

Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!

Der, der auf dem Berg am See Genezareth diejenigen selig preist, die Frieden stiften. Der aber durchaus auch mit Soldaten spricht und sogar den Sohn eines Centurios in Kapernaum wieder gesund macht. Der dann auf dem Weg ans Kreuz gewaltfrei bleibt mit der Weisung (Matthäus 26,52): Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen.

Ich wünschte mir, dass sie wie ein Erdbeben militärische Befehle durchkreuzten, diese ewigen Worte des Gekreuzigten.

Orthodoxie heißt ja übersetzt: die rechte Lehre. Jesu Lehre zielt auf das Ende aller Gewalt.

Ich sprach gerade von den Frauen in der Grabeskirche. Bezeichnen wir diesen heilgen Ort sachgemäßer als Grabes- und Auferstehungskirche! Denn Jesu Geist ist uns ja längst voraus.

Der Mann Matthäus, der das Evangelium schreibt, fügt noch zwei Verse an: Und es waren viele Frauen da, die von ferne zusahen; Die waren Jesus aus Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient; unter ihnen war Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus und Josef, und die Mutter der Söhne des Zebedäus.

Liebe Gemeinde, das klingt nun wieder, anders als die Verse zuvor, nach historischer Belegbarkeit - so genau werden hier die Namen der Frauen genannt. Die das Leiden Jesu, das Sterben am Kreuz mit aushalten, anders als ihre eigenen Söhne, anders als viele der Jünger. Die Frauen und Mütter, die dann, zu Ostern werden wir es wieder hören, Zeuginnen werden des leeren Grabes. Und diese gute Nachricht weitertragen: Jesus lebt, mit ihm auch ich. Tod, wo sind nun deine Schrecken?    (EG Lied 115)

Liebe Gemeinde, wie feiern wir Ostern in kriegerischer Zeit? Ich habe, so gestehe ich, in Israel mehr die dort erschreckenden Nachrichten zur Kenntnis genommen. Als Schlagzeile zum Krieg allein die von der derzeit mächtigsten Frau unserer Politik: Baerbock fordert schwere Waffen für die Ukraine.

Daneben stelle ich heute den Aufruf einer Frau aus Belarus, dem Land, dessen Diktator an der Seite Putins 18 bis 58-jährige Männer zum Soldatendienst zwangsverpflichtet. Um in der Ukraine mitzumorden. Olga Karatsch ist Trägerin der internationalen Friedenspreises der Bremer Stiftung Die Schwelle. Sie leitet die belarussische NGO Nash Dom. Das heißt übersetzt: Unser Haus. Sie fordert uneingeschränktes Asylrecht auch in Deutschland für russische, ukrainische und belarussische Kriegsdienstverweigerer. Der Skandal ist: Ein solches existiert noch nicht. Das Verfahren ist sehr kompliziert. Zu viele werden wieder zurückgeschickt in den Krieg.

Olga Karatsch befürchtet, dass Lukaschenko noch viele Männer gewaltsam zur Armee zwingen werde. Ihm nütze, dass Kriegsdienstverweigerung in der Gesellschaft schlecht angesehen sei. Männer würden eine Art Verdammung fürchten, wenn sie nein zum Militär sagten.

Ich möchte schließen mit einem Zitat aus der Evangelischen Zeitung vom Palmsonntag: Olga Karatsch ruft darin „Frauen in aller Welt dazu auf, Männer mit Videos auf YouTube vom Gegenteil zu überzeugen: Wahres Heldentum bestehe darin, das Töten von ukrainischen Frauen und Kindern zu verweigern. Ein entsprechender Appell der Menschenrechtlerin verzeichnet rund 77000 Aufrufe.“

Zitat Ende – Anfang eines Umdenkens?

Und der Friede Gottes, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren

in Christus Jesus.

Amen.