Predigt von Pastorin coll. Carolin Zierath
am 14. Februar 2021
über Jesaja 58,6-9a

Liebe Gemeinde,

im Jahre 1522 fand in Zürich am ersten Sonntag der Fastenzeit im Haus des Buchdruckers Christoph Froschauer ein demonstratives Wurstessen statt. Zwei geräucherte Würste werden kleingeschnitten und unter die anwesenden Leute – das waren einige angesehene Männer der Stadt Zürich – verteilt. Der Reformator Zwingli ist dabei, ohne sich allerdings am Wurstessen zu beteiligen. Diesem ersten Verstoß gegen das Fastengebot folgen in den darauffolgenden Tagen weitere. Mit diesem offenen Widerstand gegen das Fastengebot wollte man demonstrieren, dass Christen sich nicht durch eine fromme Tat die Gnade Gottes verdienen, sondern sie geschenkt bekommen, eben auch ohne fasten.  

An der Frage nach dem Fasten zeigt sich offensichtlich also etwas ganz Wesentliches. In der Kirchengeschichte wird sogar behauptet, dass das sogenannte Zürcher Wurstessen für die Reformation in der Schweiz eine ähnlich bedeutende Rolle spielt, wie der Thesenanschlag von Martin Luther in Wittenberg für die Reformation in Deutschland:

Ein Symbol für die Freiheit eines Christenmenschen und für Gottes bedingungslose Liebe.

Nachdem das Fasten in der evangelischen Kirche also lange Zeit eher verpönt war, wurde es inzwischen wieder neu entdeckt und erfährt eine große Wertschätzung. Seit mehr als 30 Jahren lädt die Aktion „Sieben Wochen Ohne“ dazu ein, die Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern bewusst zu erleben und zu gestalten. Am kommenden Mittwoch beginnt sie also, dieses Jahr unter dem Motto: Spielraum! Sieben Wochen ohne Blockaden.

Fasten wird bei „7 Wochen ohne“ verstanden als bewusster Verzicht auf Liebgewordenes oder auf Dinge, denen man künftig nicht mehr so viel Raum geben möchte:

Alkohol, Zigaretten, Fernsehen, Süßigkeiten…

Man tut etwas, das man normalerweise ganz automatisch und ohne viel Nachdenken tut, bewusst anders. Diese „Musterunterbrechung“ kann Blockaden lösen und zu mehr Spielraum führen. Nach 7 Wochen ohne Fernsehen, verringert sich der Fernsehkonsum vielleicht auch künftig und es entsteht Zeit für Neues.

Aber dieses Jahr frage ich mich ganz ehrlich: Was soll ich noch fasten. Wir haben doch alle schon so viel gefastet in den letzten 10 Monaten, in dieser Coronapassion. Wo ist da mein Spielraum? Spielraum ohne Kostüme, ohne Fest. Lange schon tanzen wir nur noch in der Küche und spielen nur durch die Ferne. Ich habe keinen Spielraum, ich bin völlig eingeengt.
Coronapassion – ist das ein Fasten, an dem Gott gefallen hat?

Ich frage mich, wie kann ich die Fastenzeit dieses Jahr gestalten? In einer Zeit, in der ich sowie so schon viel entbehren muss. Und gibt es so etwas wie einen geistlichen Sinn des Fastens?

Bei dem Propheten Jesaja werde ich fündig, er hat einmal sehr weise Worte über das Fasten gesprochen.

Im 58. Kapitel des Jesajabuchs beschreibt er zunächst, wie Gott das Fasten nicht will. Fasten hat nicht den Sinn der Selbsterniedrigung und Selbstkasteiung. Gott fordert kein Opfer von uns, um dann zu geben, was wir uns erhoffen und erbitten. So wie es die Zürcher bei ihrem Wurstessen auch demonstrieren wollten.

Gott beschreibt Jesaja ein Fasten, an dem er gefallen hat. In Jesaja 58, Verse 6 bis 9a heißt es:

So spricht Gott zu dem Propheten:

Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Liebe Gemeinde,

In diesem Text beschreibt Jesaja 5 „Werke“, die Gott beim Fasten verwirklicht haben will:
1) Frei geben

2) Hunger stillen

3) Heimat geben

4) Bekleiden

5) Sich nicht entziehen –

Das ist ein Fasten, wie Gott es will.

Diese „Werke“ wie ich sie jetzt mal genannt habe, erinnern mich doch sehr an die „Werke der Barmherzigkeit“, wie wir sie von Jesus im Neuen Testament im Matthäusevangelium lesen können. Und wenn man diese Werke genauer betrachtet, dann wird einem auch deutlich: Gott selber handelt so, wie er will, das der fastende Mensch handelt, nämlich nach diesen Werken:  
Gott befreit. Er löst die Fesseln. Er befreit uns Menschen von der Last der Sünde und gibt dafür seinen geliebten Sohn.

Gott bricht dem Hungrigen sein Brot. Bei jedem Abendmahl tut er das. Gott, der Vater, gibt uns unser tägliches Brot und stillt unseren Lebenshunger.

Er schenkt Heimat. Wie der Vater den verlorenen Sohn willkommen heißt, heißt auch Gott uns heimatlose Menschen in seinem Haus willkommen.

Gott kleidet die Nackten. Adam und Eva hat er selber die Felle umgelegt, als die erkannten, dass sie nackt waren und sich schämten. Gott hüllt uns Menschen ein in den Mantel seiner Liebe.

Er entzieht sich nicht, sondern ist da für uns, ganz und gar: Mit Fleisch und Blut.

Fasten nach dem Jesajabuch heißt also: Handle so, wie Gott handelt.

Fasten heißt Nachfolge.

Fasten heißt: Geh so mit dir um, wie Gott mit dir umgeht.

Und: Geh so mit anderen um, wie Gott mit den anderen umgeht.

Also: Lass los, gib frei! Still den Hunger! Gib Heimat! Bekleide! Und entziehe dich nicht!

Das finde ich eine erfrischende Sicht auf das Fasten. Damit kann ich auch dieses Jahr viel anfangen. Ein geistliches Fasten.

Ich darf mich darauf konzentrieren, los zu lassen und mich befreien zu lassen von Gott: Von Vorwürfen, von Schuld, von zu hohen Ansprüchen. Wenn Gott die Hungrigen speist,
dann nutze ich doch die Fastenzeit dazu, um meinen eigenen Hunger wahrzunehmen. Vielleicht finde ich Gott dann in der Leere, in dem Mangel, der mir gerade durch die Coronazeit besonders bewusst geworden ist. Wenn Gott den Heimatlosen Heimat gibt, dann versuche auch ich einmal zur Ruhe zu kommen und Heimat zu finden, Heimat in mir selbst, anstatt innerlich immer nur woanders und unterwegs zu sein. Wenn Gott die Nackten kleidet, dann kann ich mich trauen, meine Hülle, die Fassade, mit der ich mich normalerweise umgebe und schütze, vor Gott fallen zu lassen. Ich trete schutzlos vor Gott und vertraue darauf neue Kleidung von ihm geschenkt zu bekommen, erneuert zu werden. Und ich entziehe mich nicht mir selbst. Ich bin auch mal für mich selbst da, nicht immer nur für anderen. Darauf kann ich mich in dieser Fastenzeit ganz besonders konzentrieren, in der Stille, im Gespräch mit Gott und mit mir selbst, beim Musizieren oder Meditieren:

Ich kann Altes loslassen, und Neues anziehen. Den Hunger spüren und ihn von Gott stillen lassen. Ich kann Heimat in mir selbst und in Gott finden und mich nicht mir selbst entziehen.  

Das ist ein Fasten, wie Gott es will. Nicht nur 7 Wochen ohne, sondern 7 Wochen mit. Mit Liebe und Nachsicht für mich selbst und andere. Denn, so haben wir es vorhin in der Lesung gehört: Selbst unerschütterliche Glaube ist nutzlos ohne die Liebe. Sich in dieser Liebe zu üben ist besonders wichtig.

Und dann, so steht es am Ende der Textstellen bei Jesaja: Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Ich finde das sind wunderschöne Bilder, die da in den letzten beiden Versen geschildert werden, die Wirkung des Fastens, die geistliche Frucht. Fasten bringt etwas ans Licht. Macht das Licht sichtbar. Wie ein Sonnenaufgang, die Morgenröte. Und wenn ein Mensch so fastet, wie es in diesem prophetischen Wort beschrieben ist, dann wird etwas in ihm heil werden: Eine Wunde schließt sich, ein Schmerz ebbt ab, eine Schwäche wandelt sich in Stärke. Und dann können wir auch gewiss sein, dass Gott mitgeht, immer. Der eigene Lebensweg ist umfangen von Gottes Gegenwart. ER geht vor uns her, ER führt den rechten Weg. Und er geht hinter uns her und verwandelt durch seine Herrlichkeit, was vielleicht nicht ganz so herrlich war in unserem Leben. Wenn wir ihm nachfolgen, dann ist er da, wenn wir nach ihm rufen. Er wird sagen „Siehe, hier bin ich.“ Das ist das Bild, das sich für uns mit dem Fasten verbinden sollte.

Darum, nutze doch einmal die kommenden 7 Wochen:

Lass los, gib frei! Still den Hunger! Gib Heimat! Bekleide! Und entzieh dich nicht!

Amen.