Liebe Gemeinde,

mir steckt dieser Lesungstext (Lukas 23,1-12) noch sehr in den Knochen. Er hat illustriert, hat überdeutlich vor Augen geführt, wovon wir soeben gesungen haben (EG 555): von unserem Heiland Jesus Christ, den sie schlugen und verlachten.

Das ist vielleicht das Allerschlimmste: ausgelacht zu werden. Viele von uns haben diese Erfahrung schon gemacht in ihrem Leben. Auch wenn es dabei nicht um Leben und Tod ging:
Vor allem Kinder holen sich beim Ausgelacht-Werden seelische Wunden, die nur schwer verheilen.
Was ist aus Jesu aktiver Sendung geworden, aus seiner Mission? Am Ende wird er geschickt von Pontius zu Pilatus.
Er, der gestern noch selbst seine Jünger aussandte.

Herodes aber und seine Soldaten verhöhnten und verlachten ihn, legten ihm ein Prunkgewand um und schickten ihn wieder zu Pilatus zurück. Herodes und Pilatus aber wurden an eben diesem Tag Freunde, vorher waren sie einander feind gewesen.

Ich hatte diese Bibelstelle (Lukas 23,12) gar nicht in Erinnerung. Anders als das in allen Evangelien überlieferte Pilatus-Wort weiter oben:

Ich finde keine Schuld an diesem Menschen.

Ja, hättest du doch nur danach gehandelt und wärest dieser Erkenntnis gefolgt! Das Musterbeispiel eines arroganten und korrupten Machthabers bist du! Am Ende doch ein Seelenverwandter des blutrünstigen judäischen Vasallenkönigs namens Herodes.
Wo sind eigentlich die Jünger geblieben? Von ihnen ist keine Rede mehr. Haben Sie das alles nicht länger mit ansehen können? Ist es auch hier so wie oft angesichts von Leiden und Tod?
Die Männer laufen weg – und allein die Frauen bleiben als  Zeuginnen nahenden Todes? Und halten dem Leiden stand...?
Wie wird Jesus selbst zumute gewesen sein, so allein, ja einsam
- das Urteil und den Tod vor Augen?
Ich stelle mir vor, dass er Psalmen gebetet hat wie so oft.
Mir fällt auf: Vier von sechs Sonntagen der Passionszeit werden von Psalmversen begleitet.
Vor zwei Wochen stand der Sonntag Oculi unter dem Motto aus Psalm 25: Meine Augen sehen stets auf den Herrn.
Der heutige Ruhetag nennt sich im Kirchenjahr Judica:
Schaffe mir Recht!
Dieser Vers steht in Psalm 43, von dem ich nun die ersten beiden Sätze als Predigttext lese:

Schaffe mir Recht, Gott, und führe meine Sache gegen treuloses Volk, errette mich vor falschen und bösen Menschen. Du bist der Gott meiner Zuflucht. Warum hast du mich verstoßen? Warum muss ich trauernd umhergehen?

Vom treulosen Volk haben wir bisher geschwiegen – das war ja auch noch da!
Es muss hier keineswegs das ganze jüdische Volk gemeint sein. Vielmehr das Volk, die Leute, die gerade da waren.
Die absolute Mehrheit, die jetzt mit den Wölfen Pilatus und Herodes heult.
Das war schlimm. Dieses Volk hatte mehr Fäulnis an sich als die sprichwörtlich überreifen „treulosen Tomaten“.
Die BasisBibel für jüngere Lesende übersetzt erklärend hier ein wenig ausführlicher.
Mit den Worten: Vertritt mich vor Gericht gegen das Volk, das sich nicht an deine Gebote hält!
Jesus geht es so wie vielen Propheten der Hebräischen Bibel und wie Johannes dem Täufer: Er ist ein Rufer in der Wüste.
Umgeben von Menschen, die ihm immer fremder werden, da sie sich weit von Gott entfernen. Und von seinen Geboten.
Uns würden da vielleicht die Worte fehlen angesichts von so viel  Komplott und Korruption.

Jesus hat noch Worte.
Die Worte, von denen der jüdische Denker Abraham Joshua Herschel im 20. Jahrhundert sagen wird:
„Alle Menschen in der westlichen Welt sprechen zu Gott in der Sprache unserer Gebete, unserer Psalmen.“
Jesus schon war ein Wiederentdecker dieser Psalmen.
Und dieser hier, der dreiundvierzigste, passt zu seiner Lage.
Jesus wird ihn gekannt und so oder ähnlich gebetet haben.
Luther hat anders übersetzt: Du bist der Gott meiner Stärke.
Der Urtext war wohl kaum exakt leserlich. Stärke heißt auf Hebräisch Oz. Wie der kraftvolle Dichter Amos Oz.
Wahrscheinlich fand sich davor aber noch ein M. Da stand dann Maoz – und das ist ein Felsendach in der Wüste. Ein Zufluchtsort bei Wind und Wetter. Und auch in seelischer Finsternis...
„Wer nichts mehr hat, hat immer noch Tee.“
So sagt ein chinesisches Sprichwort.
Ich wandle es ins Hebräische ab und sage:
Wem nichts mehr bleibt, wer ganz auf sich zurückgeworfen wird, der kann immer noch beten.
Denn er ist sicher zu müde, den Leuten und ihren „Fake News“ schon wieder entgegenzutreten. Es wird laut herumgebrüllt:
Dieser hält unser Volk davon ab, den Kaiser Steuern zu zahlen. Von wegen! Haben die denn nicht mitbekommen, was der Rabbi aus Nazareth zum Thema Geld deutlich gesagt hat?
Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist!Steuern - und Kollekten für die Armen im Tempelkasten - sind zweierlei. Beides darf es geben!
Schlimmes Unrecht geschieht hier einem klugen Lehrer und Wunderheiler, dem Heiland Jesus Christ.
Der letzte Vers des kurzen Psalms, den wir gleich noch singen werden, ist vielen bekannt:
Was bist du so gebeugt, meine Seele, und so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihn wieder preisen, ihn, meine Hilfe und meinen Gott.
Vertrauter - und hier auch anschaulicher - klingt Martin Luther:
Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichtes Hilfe und mein Gott ist.
Hier betet einer, dem bald die Luft ausgehen wird.
Denn im Horizont hebräischen Denkens ist mit Seele der ganze Mensch gemeint.
Über die Gefühle hinaus.
„Mit Leib und Seele“ atmet der Mensch, lässt Lauf seiner Lebensenergie.
Bis er so unter leiblichen und seelischen Druck kommt wie Jesus auf seinem Weg ans Kreuz. - Kurz zuvor hatte er den ihm Nachfolgenden noch einen Merksatz mit auf den Weg gegeben.
Leicht in der Bibel zu finden, gegen das Prinzip der Unglückszahl. Markus 13, Vers 13:
Wer beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.
Das, liebe Gemeinde, ist der biblische Gegenentwurf zum ach so deutschen Sprichwort:
„Hoffen und Harren hält manchen zum Narren.“
Es folgt jetzt ein etwas längerer Satz – doch kürzer kriege ich das Fazit meiner Auslegung nicht hin:
Wenn wir beharrlich in der Nachfolge Jesu unterwegs sind und Werte wie Ehrlichkeit, Frieden und Versöhnungsbereitschaft leben, dafür konsequent eintreten, auch wenn wir plötzlich in der Minderheit sind...dann, ja dann helfen uns Jesu Psalmen, dann hilft uns das Gebetbuch der Bibel, im Gespräch mit Gott auf Kurs zu bleiben.

Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichtes Hilfe und mein Gott ist.

Die Passionszeit wird am Karfreitag münden in Jesu Psalmwort am Kreuz: In deine Hände, Vater, befehle ich meinen Geist.
Und in Psalm 110, Vers 1, da heißt es:

Spruch des Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich hinlege deine Feinde als Schemel deiner Füße.

Auch dieser Zuspruch Gottes findet Erfüllung. Ich lese die letzten, schon österlich leuchtenden Verse des Markusevangeliums:

Nachdem nun der Herr, Jesus, zu Ihnen geredet hatte, wurde er in den Himmel emporgehoben. Und setzte sich zur Rechten Gottes. Sie aber zogen aus und verkündigten überall. Und der Herr wirkte mit und bekräftigte das Wort durch die Zeichen, die geschahen.

Und Gottes Friede, der weiter reicht als all unsere Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus. Amen