Markus 2, Verse 23-28

Predigt von Pastorin Elisabeth Griemsmann

am 25. Oktober 2020

Markus 2, 23- 28

Und es geschah, dass er am Sabbat durch die Kornfelder ging, und unterwegs begannen seine Jünger, Ähren zu raufen. Und die Pharisäer sagten zu ihm: Schau her, warum tun sie, was am Sabbat nicht erlaubt ist? Und er sagt zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er Mangel litt und hungrig war, er und seine Gefährten? Wie er in das Haus Gottes hineinging zur Zeit des Hohen Priesters Abjatar und die Schaubrote aß, die niemand essen darf außer den Priestern, und wie er auch seinen Gefährten davon gab? Und er sagt zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen, nicht der Mensch um des Sabbats willen. Also: Der Menschensohn ist Herr auch über den Sabbat.

Liebe Gemeinde,

soll der Feiertagsschutz außer Kraft gesetzt werden? Soll ein weiterer verkaufsoffener Sonntag genehmigt werden, um den Einzelhandel zu fördern? Die wirtschaftliche Lage der örtlichen Geschäfte wird immer schwieriger. Das Interesse der Bevölkerung ist da, am Sonntagnachmittag durch die Innenstadt zu bummeln. Doch sollen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen an einem weiteren Sonntag arbeiten? Bei ihnen gibt es ein Bedürfnis nach Ruhe und Erholung, nach Zeit für die Familie. Wir kennen diese Diskussion. Sie wiederholt sich regelmäßig. In diesem Jahr scheint es unter Coronabedingungen noch drängender, den Schutz des Feiertags aufzuheben. Doch auch die Angestellten brauchen diese Auszeit dringender den je. ...

Die Diskussion um den Feiertag können wir aus der Perspektive der Kirchen führen und auf das alte Vorrecht der christlichen Kirchen pochen, dass der Feiertag geschützt wird und die erlaubten Tätigkeiten nur als Ausnahme im Feiertagsgesetz auftauchen. Aber es geht doch nicht nur um das alte Recht, sondern auch um den Schutz, der heute davon für die Menschen in unserer Gesellschaft ausgeht. Über den Sonntag können die Bürgerinnen und Bürger selbst verfügen. Es ist ein freier Tag. Niemand muss ein schlechtes Gewissen haben, den Ruhetag zu genießen, denn es ist Sonntag. Die Arbeit am Sonntag kann immer nur die Ausnahme sein...

Eine Diskussion über den Sonntag ist uns näher als die Diskussion über die Bedeutung des Sabbats, die wir in unserem Predigttext verfolgen konnten.  Es ist nicht der gleiche Sachverhalt, es ist nur vergleichbar. Der Sonntag ist ja nicht gleich dem Sabbat und das Sabbatgebot steht im Dekalog, nicht im niedersächsischen Feiertagsgesetz. Aber es geht doch um die Bedeutung dieses Ruhetages, der auch für Christen im ersten Schöpfungsbericht als siebter Tag mit einem ganz eigenen Inhalt begründet wird. Am siebten Tag ruhte Gott von seinem Werk aus, er segnete den Sabbat und heiligte ihn. Und bei den 10 Geboten wird dieser geheiligte Tag deutlich von den sechs Werktagen unterschieden. Er soll nicht nur für den Hörer gelten, sondern auch für die, die mit ihm zusammenleben - in der Familie oder am Ort: selbst der Fremde in dem Ort soll sich ausruhen dürfen. Einzig der siebte Tag wird gesegnet. Im Babylonischen Talmud diskutieren jüdischen Rabbiner, wann es unrecht wird, dem Sabbatgebot zu folgen. Und dabei wird festgehalten, dass die Lebensrettung vor die Einhaltung des Sabbatgebots kommt. Dies ist der Hintergrund zwischen dem Verhalten der Jünger, den Fragen der Schriftgelehrten und der Antwort Jesu.

Ähren raufen am Sabbat – das stelle ich mir nicht als eine Erntearbeit vor, sondern eher als ein Naschen von den reifen Feldfrüchten. So wie Spaziergänger heute sich Beeren an den Sträuchern abstreifen und essen oder wie sie reife Maiskolben abbrechen und die Maiskörner knabbern. Aber Ähren raufen wird durch die jüdische Tradition anders bestimmt, eben als eine Erntearbeit. Darf sie am Sabbat erfolgen oder soll sie lieber verschoben werden? Dringende Gründe könnten es erlauben, oder? Der Evangelist Matthäus begründet das Ähren raufen deshalb mit dem Hunger der Jünger. Jüdische Ausleger sagten, es war auch erlaubt, herabgefallene Ähren mit den Fingern zu zerreiben. Doch Rabbi Jehuda aus Galiläa ging noch einen Schritt weiter, er sah auch das Zerreiben mit der Hand als erlaubt an. Sind das nur Spitzfindigkeiten?! Vielleicht auf den ersten Blick. Aber dahinter steht der Versuch einer theologischer Klärung. Die Pharisäer wollten den Sabbat schützen, ehren, weil der Sabbat zunächst einmal etwas Gutes bewirkte. Wer das Sabbatgebot befolgte, konnte sich selbst von Erntearbeiten ausruhen und die Arbeiten auch nicht einfach an die Abhängigen delegieren. Wer es befolgte, brauchte sich auch nicht durch Wetterprognosen zur Eile antreiben zu lassen, sondern konnte Ruhe halten, diesen siebten Tag bedenken und dem Schöpfer die Ehre geben. Nach sechs Werktagen tat die Ruhe einfach gut. Es ging den Pharisäern um die Klärung einer theologischen Frage mit Jesus, weniger um Anklage der Jünger. Und auch Jesu bekannter Ausspruch, dass der Sabbat für die Menschen da ist, wird sinngemäß innerhalb der jüdischen Auslegung gesagt. Zunächst ist diese Diskussion um das Ähren raufen am Sabbat eine innerjüdische Diskussion mit verschiedene Auslegungen.

Fest steht dabei: Das Sabbatgebot darf vereinzelt um des Menschen willen gebrochen werden, aber das darf auch nicht beliebig nach Lust und Laune des einzelnen geschehen. Es muss gut begründet werden, sonst verliert der Sabbat seine Bedeutung, seinen Wert.

Jesus erinnerte als ein jüdischer Rabbi an die ursprüngliche Bedeutung des Sabbats, an den Geschenkcharakter, an die Freiräume des Sabbats, aber er erkannte immer mehr Situationen, in denen Ausnahmen wichtig waren, damit den Menschen geholfen würde: Jesus heilte mehrere Kranke am Sabbat, und er erlaubte den Jüngern am Sabbat Ähren zurufen. Jesus provozierte Streitgespräche - um den Sabbat. Seine Jüngerinnen und Jünger erkannten nach Ostern im Umgang mit dem Sabbatgebot seine besondere Vollmacht. Dort stellte er seine Messianität unter Beweis. Für den Evangelisten Markus verschärfte sich der Konflikt um die Deutung des Sabbat. Eine Heilung am Sabbat führte bei einigen Gesetzeskundigen und Anhänger des Herodes sogar zum ersten Tötungsbeschluss. Und der Hinweis auf David und sein Versuch, für sich und seine Leute etwas gegen den Hunger zu besorgen, stimmte nur ungefähr. Ein Argument in der Sabbatdiskussion konnte es nur für zuhörende Heidenchristen sein, die zwar von David wussten, aber keine Details kannten. Und so endet diese Bibelabschnitt mit einer Aussage über den Menschensohn.

Handelt es sich dabei um Christus, den Auferstandenen und Herrn seiner Kirche? Ist er der Herr über den Sabbat? Oder handelt es sich allgemein um die Gattung Mensch, dass Menschen sich unter bestimmten Umständen über das Sabbatgebot hinwegsetzen können? Dürfen Christen um Jesu willen sich über das Sabbatgebot hinwegsetzen oder dürfen sie es als Menschen in Notsituationen tun, weil die Not eine Verschiebung auf einen Werktag nicht mehr zulässt?

Wir wissen, dass die christliche Kirche sich früh von der Einhaltung des Sabbats verabschiedet hat, weil sie sich immer mehr aus Nichtjuden, aus Menschen der Völkerwelt, zusammensetzte. Die Kirche hat den ersten Tag der Woche als Festtag gefeiert, weil Jesus an diesem Tag auferstanden ist. Besondere Elemente wie das Zusammenkommen der Glaubenden und Gottesdienstfeiern wurden auf den Sonntag verlegt. Das Brotbrechen kam hinzu. Für Christen und Christinnen wurde dieser Tag, der Sonntag, der entlastende und der schützenswerte Tag.

Ob wir diesen Sonntag begehen können, weil Christus uns dazu befreit hat oder ob wir es tun können in Erinnerung an seine Auferstehung?

Es ist ein befreiter Tag. Und deshalb bleibt unsere Aufgabe, diesem Tag Inhalt und Gestalt zu geben, dass er eine Unterbrechung der Arbeit ermöglicht, dass er auch nicht beliebig gefüllt wird, sondern sinnstiftend, dass wir Rituale entwickeln, die diese Bedeutung unterstreichen.

Ich weiß, dass ich den Sonntag immer wieder für das nutze, was in der Woche liegengeblieben ist, dass ich dem Sonntag zu wenig eigenes Gewicht gebe. Aber geht dabei nicht viel verloren?

Die Freiheit des Sonntags und das Herr sein über den Ruhetag stellt uns vor neue Fragen. Wie können wir am Sonntag Gott, den Schöpfer, loben? Wie können wir unserer Position als Gottes Ebenbild innerhalb der Schöpfung gerecht werden? Wie können wir die Freude des Auferstehungstages empfangen und weitertragen? Wie können wir die geschenkte Freiheit schützen und sinnvoll gestalten? Es sind Fragen, die sich uns am Sonntag stellen, jeden Sonntag,  und immer wieder neu beantwortet werden können. Im Gottesdienst, aber nicht nur im Gottesdienst.

Der Schutz des Feiertags ist ein hohes Gut nicht nur für die Anhänger der verschiedenen Religionen: für Juden, Christen und Muslime. Der Schutz des Sonntags ist für unsere ganze Gesellschaft wichtig. Davon sind wir geprägt. Und wenn Ausnahmen beschlossen werden, sollte immer wieder überprüft werden, ob es Not tut? Ob es Not lindert? Und kann nicht so vieles wirklich auf den Werktag verschoben werden?

Amen.