Predigt von Pastorin Elisabeth Griemsmann
über Markus 10, Vers 45
am 21. März 2021

Liebe Gemeinde,

in der Passionszeit denken Christinnen und Christen an das Leiden und Sterben Jesu Christi. Warum tun wir das, wenn wir doch anschließend Ostern feiern, das Fest der Auferstehung?! Warum erinnern sich Christinnen und Christen daran, dass Jesus auf so viel Widerstand traf, dass er bei den Anführern des Volkes so viel Sorge um das Volk weckte, dass er auch viele Hoffnungen auf politische Veränderungen enttäuschte? Warum erinnern wir uns im Konfirmandenunterricht an den Verrat durch Judas, an das letzte Abendmahl, an das Jesu Gebet im Garten Gethsemane, an seine Verhaftung, die Anklage, die Demütigung und die Folter, die Verurteilung und die Kreuzigung? Sicher dürfen Christinnen und Christen das Leiden Jesu nicht vergessen, weil es zu Jesus Christus gehört. Im Markusevangelium heißt es: Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. (Markus 10, 45 Zürcher Bibel). Sein Leiden und Sterben erhält einen besonderen Sinn für viele. Nicht nur damals.

Wenn wir an diese Leidensgeschichte Jesu denken, kommen wir auch heute darin vor, mit unserem Leiden, mit unseren Enttäuschungen, mit unseren Schmerzen oder mit unseren Fragen. In unserem Glauben an Gott hat das Leiden einen Platz. Das Leiden in der Welt wird wahrgenommen, die Schmerzen an Leib und Seele werden nicht überspielt oder zugedeckt. Leiden gibt immer wieder Anlass, um zu klagen und um Gottes Hilfe einzufordern.

Schon im ersten Teil der Bibel, im AT, bleibt gerechten Menschen Leiden nicht erspart. Wenn sie sich an Gottes Gebote halten, haben sie wegen ihrer Skrupel oft das Nachsehen. Wenn sie die Gottes Botschaft sagen, stoßen sie bei den Zuhörenden auf Ablehnung. Wenn sie nicht lockerlassen, werden sie sogar einsperrt und bestraft. Und wenn sie etwas für andere tun, werden sie verspottet oder sogar gedemütigt. Und Jesus steht in dieser Linie – Er ist unschuldig. Er hat den Schmerz und die Qual nicht verdient. Er gibt sein Leben hin – aus Liebe zu den Menschen. So bringt er Gottes Liebe auch zu den Verlorenen. Der Weg bis an das Kreuz fällt ihm nicht leicht. So teilt er die Verzweiflung und Todesangst, die andere Menschen kennengelernt haben. Er ist konsequent in seinem Denken und Tun. Er sieht es als Folge seiner Bestimmung, bei den Menschen zu sein und ihr Leben zu teilen. Es heißt: Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. Sein Leiden und das Sterben geschehen nicht umsonst. Sie bekommen einen Sinn, weil es für andere Menschen geschieht und weil es anderen hilft....

Es ist nicht so, dass jedes Leiden einen Sinn bekommt. Bei den Naturkatastrophen gibt es so viele Opfer. Wir können die Überlebenden etwas unterstützen und versuchen, etwas gegen die Ursachen zu tun. Bilder von den Flüchtlingslagern zeigen uns, wie schwer das Leben dort ist und dass die Familien keine gute Zukunft haben können. Wenn wir von dem Unfall hören, dass in unserer Stadt zwei Kinder beim Spielen am See ertrunken sind, sind wir traurig und fragen uns: Wie hätte das vermieden werden können? Und wenn ein krankes Kind nicht gesund wird, sondern stirbt, sind wir voller Klagen – auch gegenüber Gott. Großen Kummer machen uns auch die Sorgen um einen lieben Menschen. Wir hoffen darauf, dass der Großvater wieder gesund wird. Und wir können es kaum ertragen, die Ehefrau so schwach zu sehen und ihr nicht helfen zu können. Unser Glaube an Gott bietet uns jedoch einen Raum an, in dem wir die Angst aussprechen können. So wie Jesus. Und das tut einfach gut.

In dieser Woche erinnern wir uns an den Beginn der Coronapandemie. Über 75.000 Corona-Tote in der Bundesrepublik. Wir spüren nach einem Jahr die Grenzen unserer Belastbarkeit. Viel zu langsam geht es mit dem Impfen voran, die Nebenwirkungen der Impfstoffe führen Verzögerungen herbei, die 7-Tage-Inzidenz will einfach nicht abfallen. Alles deutet auf die dritte Welle hin. Warum wirken sich die Vorordnungen so wenig aus? Auch diese Beobachtungen und Fragen machen traurig und niedergeschlagen. Im Gebet kann ich es aussprechen, was mich belastet. Ich habe ein Gegenüber, denn Jesus hat uns dazu ermutigt, Gott zu fragen: wie lange noch? Und wie Jesus müssen auch wir auf Antworten warten. Mit ihm gibt es aber eine Solidarität im Ausharren, Mitleiden und ein gegenseitiges Trösten. Wir sind damit nicht allein. Wir dürfen sagen, dass wir neuen Mut brauchen. Dass andere bereits neue Hoffnung erhalten haben, mag uns helfen, noch ein bisschen Geduld aufzubringen.

Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. Für andere da sein, andere unterstützen, anderen Hilfestellungen leisten, sich selbst zurücknehmen – so bringt Jesus seine Bestimmung als Menschensohn auf den Punkt. Er tut es nach einem Streit, den die Jünger um die besonders guten Plätze in seiner Nähe führen. Diesen Streit will er nicht. Es darf nicht das Ziel ihrer Anstrengungen sein, sich die besten Plätze sichern zu wollen. Denn dann arbeiten sie gegeneinander und nicht miteinander. Gott allein wird diese Plätze vergeben. Jesus will, dass sie miteinander leben, für andere da sind. Dass sie für das bereit sind, was ihnen vor die Füße fällt. Und dass sie das Herz für das öffnen, was gerade nötig ist. Das ist nicht leicht!! Bestimmt nicht!! Doch so kann das Denken, von denen da oben bis zu denen da unten, überwunden werden. Das Denken in Hierarchien. Das Herrschaftsdenken. Durch das Dienen gibt es eine Begegnung auf Augenhöhe. Es lohnt sich also.

Jesus ist in seiner Bestimmung selbst noch viel weiter gegangen. Er gab sein Leben für viele – aus Liebe. Das war seine Art zu dienen. Auch den Jünger und Jüngerinnen. Konnten sie das annehmen? Sicher fiel es auch ihnen nicht leicht. Sie hätten ihm gern Schlimmes erspart. Aber weil es aus Liebe heraus geschah, konnten sie es annehmen. Und wir? Können wir es heute verstehen? Es ist nicht einfach zu erfassen, das „für uns“. Aber können zumindest erkennen, welche Freiheit er uns gibt und was er uns zutraut. Nicht aus Berechnung, sondern aus Liebe!
Amen.