Predigt
»Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.« (Röm 1,7) Amen.
Liebe Gemeinde,
erinnern Sie sich noch, wie intensiv über den neuen Bundestrainer gestritten würde? Unter Jogi Löw und Hansi Flick war die deutsche Fußballmannschaft mehrfach vorzeitig ausgeschieden. Und nun sollte ein neuer Trainer den Umschwung bringen. Endlich wieder in ein Halbfinale einziehen und Chancen auf den Titel haben. Als Julian Nagelsmann im September als neuer Bundestrainer verpflichtet wurde, war das Echo in den Medien deshalb groß. Von allen Seiten wurde seine Fähigkeit durchleuchtet, eine Mannschaft taktisch einzustellen und sie in kritischen Phasen des Spiels zu motivieren.
An dem starken Presse-Echo lässt sich erahnen, wie wichtig so ein Trainer ist. Auch bei der zurückliegenden Europameisterschaft konnten wir wieder erleben, wie mancher Trainer seine Mannschaft am Spielfeldrand zu ungeahnten Leistungen angespornt hat. Vor allem in der Pause zwischen der ersten und der zweiten Halbzeit schlägt die Stunde des Trainers. Da hat er die Chance, dem Spiel nochmal eine neue Richtung zu geben.
Gerne wären wir dabei gewesen, als Julian Nagelsmann die Mannschaft im Spiel gegen Spanien auf die zweite Halbzeit vorbereitete. Die erste Halbzeit hatte schon viel Kraft gekostet und nun galt es, die zweite Halbzeit zu bestehen. Die erfahrenen Spieler sitzen in der Kabine. Und jetzt ist es Aufgabe des Trainers, sie auf die zweite Halbzeit einzustimmen. Wenn elf hochbezahlte Profis das Spiel nicht voranbringen können, dann kommt es auf die Worte des Trainers an.
Liebe Gemeinde,
in unserem heutigen Predigttext geht es natürlich nicht um Fußball, sondern um wichtigere Dinge, nämlich um das christliche Leben. Aber der Verfasser unseres Predigttextes – wahrscheinlich ein Schüler des Paulus – redet hier wie ein guter Trainer. Er schreibt an die Gemeinde in Ephesus. Als die Gemeinde am Sonntag von ihrem Alltag eine Pause machte, wurde der Brief in der Gemeindeversammlung verlesen. Im fünften Kapitel des Briefes heißt es ab Vers 8:
»8 Früher gehörtet ihr zur Finsternis, doch jetzt gehört ihr zum Licht, weil ihr mit dem Herrn verbunden seid. Lebt als Kinder des Lichts!
9 Ihr wisst doch: Die Frucht, die aus dem Licht hervorgeht, liegt in allem, was gut, gerecht und wahr ist. 10 Deshalb prüft bei dem, was ihr tut, ob es dem Herrn gefällt. 11 Und beteiligt euch nicht an irgendwelchen Taten, die der Finsternis entstammen und daher keine guten Früchte bringen. Deckt solche Taten vielmehr auf!
12 Denn was manche im Verborgenen treiben, ist zu abscheulich, um es weiterzusagen. 13 Doch alles, was aufgedeckt wird, ist dann im Licht als das sichtbar, was es wirklich ist. 14 Mehr noch: Alles, was sichtbar geworden ist, gehört damit zum Licht. Deshalb heißt es auch: ›Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten! Dann wird Christus sein Licht über dir leuchten lassen.‹«
Liebe Gemeinde,
»Lebt als Kinder des Lichts.« (V.8b). Das ist die zentrale Botschaft in unserer sonntäglichen Mannschaftskabine. Finsternis und Tod gibt es um uns herum genug. Aber Christus hat diese Mächte bloßgestellt. In seinem Licht leben wir deshalb jetzt ein anderes Leben. Wir leben als Kinder des Lichts.
Was der Epheserbrief hier mit wenigen Worten sagt, ist so etwas wie ein mentales Training für das Leben eines Christenmenschen. An einem Sonntag im Gottesdienst spielen wir durch, wie wir uns angemessen verhalten, wenn wir in den Alltag – d. h. auf das Spielfeld des Lebens – zurückkehren.
Das mentale Training des Epheserbriefes sieht dabei folgende Elemente vor:
1. Analyse des gegnerischen Spiels,
2. Einübung von Gegenmaßnahmen,
3. Fokussierung auf den zentralen Leitgedanken und
4. Beschwörung des Teamgeistes.
Schauen wir uns das im Einzelnen mal an!
a. Zunächst die Analyse des gegnerischen Spiels:
Im Epheserbrief heißt es (Vers 3-5):
»3 Käufliche Liebe und Gemeinheit jeder Art, aber auch Habgier sollt ihr nicht zum Leitgedanken eurer Gespräche machen; denn ihr gehört jetzt zu Gott. 4 Ihr sollt nichts sagen, das andere herabsetzt, nicht dumm daherreden und keine Witze auf Kosten anderer machen. Bringt vielmehr bei allem, was ihr sagt, eure Dankbarkeit gegenüber Gott zum Ausdruck. 5 Denn eins müsst ihr wissen:
Jede Art von gekaufter Liebe, Gemeinheit und Habgier – das ist ja nichts anderes als Götzendienst.«
Liebe Gemeinde,
der Gegner ist also ein ganz gewiefter Gegner. Er arbeitet mit offenen und versteckten Fouls, mit Gemeinheiten und Verlockungen aller Art. Er nutzt den kleinsten Vorteil, um in Ballbesitz zu gelangen – koste es, was es wolle. Solange es seinem Spiel nutzt, ist alles erlaubt – sogar ein Handspiel im Elfmeterraum. //
Diese Spielweise hat viele Vorteile: Der Gegner lässt sich schnell einschüchtern, fängt ebenfalls an, mit unsauberen Mitteln zu arbeiten. Er verliert den Leitgedanken seines Spiels aus dem Auge, und lässt sich schließlich ganz auf das Spiel des Gegners ein.
Wir kennen solche Strategien im privaten Bereich und auch beruflich. Schnell gehen wir ihnen auf den Leim und ärgern uns hinterher, dass wir so leichtfertig darauf eingegangen sind.
1. Beispielsweise, wenn es ein Sonderangebot gibt, das nur noch heute zum verbilligten Preis zu haben ist. Unter diesem zeitlichen Druck landet dann ein Produkt im Warenkorb, das man bei längerem Überlegen gar nicht gekauft hätte.
2. Oder wenn die Kollegin sagt: »Du kennst Dich damit doch so gut aus, kannst Du Dir das mal angucken?« Ein kleines Lob und schon hat man die Arbeit der Kollegin an der Backe.
3. Aber auch im politischen Bereich verfangen solche Strategien: Der britische Premierminister David Cameron wollte 2015 wiedergewählt werden und versprach deshalb den Kritikern in der eigenen Partei ein Referendum zum Austritt aus der Europäischen Union. Er selbst war dagegen, aber eine knappe Mehrheit stimmte schließlich 2016 für den Austritt. Der Premierminister musste zurücktreten. Er hatte dem Drängen des rechten Flügels seiner Partei nachgegeben. Und so leidet das Land bis heute an der politischen Fehlentscheidung seines Premiers.
Liebe Gemeinde,
für den Verfasser des Epheserbriefes sind die gegnerischen Strategien gefährlich; zu schnell hat man sich darauf eingelassen und ist dann Gefangener einer falschen Entscheidung. Der Epheserbrief nennt das ›Götzendienst‹: Ich diene einem Gott, der mir nicht guttut. Ich werde manipuliert. Aus dem versprochenen Gewinn wird ein schmerzlicher Verlust.
b. Stattdessen empfiehlt der Epheserbrief im Rahmen des mentalen Trainings die Einübung von Gegenmaßnahmen.
In dem Brief heißt es in den Versen 15 bis 17:
»15 Gebt also sorgfältig darauf Acht, wie ihr lebt – nicht wie Unwissende, sondern wie Menschen, die wissen, worauf es ankommt. 16 Nutzt den richtigen Augenblick, denn wir leben in einer schlimmen Zeit. 17 Darum stumpft nicht ab, sondern begreift, was der Herrn von Euch erwartet!«
Liebe Gemeinde,
das gegnerische Spiel und seine Fallen sind hinreichend analysiert. Jetzt geht es um den einzelnen Spieler. Wie soll er reagieren? Unser Trainer sagt: Bleibt bei dem, worauf es ankommt! Es gibt Fouls und kleine Sticheleien. Der Gegner will, dass ihr ins Risiko geht. Aber stumpft jetzt nicht ab! Konzentriert Euch auf das, was von euch erwartet wird. Mit der Taufe seid ihr ›Kinder des Lichts‹. Und deshalb verhaltet euch auch wie Kinder des Lichts. Seid dem Guten, dem Gerechten und der Wahrheit verpflichtet, und nicht der Unzucht, der Gemeinheit und der Habgier. Wir leben in einer schwierigen Zeit, aber schaut auf die richtigen Augenblicke, nutzt die Lücken und den freien Raum. Deckt die Verfehlungen der Gegner auf und lasst sie im richtigen Licht als das erscheinen, was sie wirklich sind:
- ein Verkaufs-Trick, um überschüssige Ware loszuwerden,
- ein geschickt eingesetztes Lob, um die Kollegin zu manipulieren,
- ein mit fremdenfeindlicher Stimmung gewonnenes Referendum.
c. Die Gegenmaßnahmen mögen in schlimmen Phasen nicht sofort greifen. Für den Epheserbrief sind sie aber die einzige Möglichkeit, ›gute Früchte‹ hervorzubringen. Zudem unterstreicht der Brief noch einmal, welcher zentrale Leitgedanke dem Ganzen zugrunde liegt (die Verse 4,31-5,3):
»31 Alle Erbitterung, Wut, Zorn, lautstarke Auseinandersetzungen und Verleumdungen sollen bei euch keinen Platz haben. Das gilt erst recht für alle Bosheit. 32 Seid vielmehr gütig und barmherzig zueinander. Vergebt einander, wie Gott euch durch Christus vergeben hat. 1 Nehmt euch daher Gott selbst zum Vorbild; ihr seid doch seine geliebten Kinder! 2 Das heißt: Alles, was ihr tut, soll von uneigennütziger Liebe bestimmt sein. Denn auch Christus hat uns seine Liebe erwiesen und uns sein Leben hingegeben wie eine Opfergabe, deren wohlgefälliger Duft zu Gott aufsteigt. 3 Käufliche Liebe und Gemeinheit jeder Art, aber auch Habgier sollt ihr nicht zum Leitgedanken eurer Gespräche machen; denn ihr gehört ja jetzt zu Gott.«
Liebe Gemeinde,
Christus hat schon einmal Finsternis und Tod überwunden. Und seine uneigennützige Liebe war es, die das ermöglicht hat. Und genau diese uneigennützige Liebe – agápe im Griechischen – sie ist es, die der Trainer im Epheserbrief als zentralen Leitgedanken herausstellt. Davon soll unser Handeln geprägt sein.
Liebe und Zuneigung lassen sich kaufen. Und wir merken in unserem neoliberalen System vielleicht gar nicht mehr, wie oft die Zuneigung, die wir geben und erfahren, hauptsächlich auf erwarteten Gegenleistungen beruht.
Für unser christliches Leben soll aber die uneigennützige Liebe im Vordergrund stehen: - Handeln ohne Berechnung
- Helfen, ohne dafür etwas zu erwarten
- Vergeben, ohne nachzutreten.
d. Um so handeln zu können, braucht es einen Teamgeist. Unser Trainer aus dem Epheserbrief drückt das so aus (V. 18-20):
»18 Und trinkt euch keinen Rausch an, denn zu viel Wein enthemmt. Lasst euch vielmehr vom Geist Gottes erfüllen. 19 Ermutigt einander mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern; singt und spielt dem Herrn aus tiefstem Herzen 20 und dankt Gott, dem Vater, zu jeder Zeit und für alles – im Namen unseres Herrn Jesus Christus.«
Der Gottesdienst also, unsere sonntägliche Mannschaftskabine, ist der Ort, wo dieser Teamgeist immer wieder neu beschworen und eingeübt wird. Wo wir uns gegenseitig ermutigen, an dem Weg Jesu Christi festzuhalten und ihm nachzufolgen.
Viele meinen, sie könnten auch ohne Gottesdienst gute Kirchenmitglieder sein. Also ohne Training und Ansprache in der Mannschaftskabine aufs Feld laufen und d’rauflos kicken. Ich meine, dass dann etwas Entscheidendes fehlt, das uns auf dem Feld zu einer guten Mannschaft macht (Pause)
Liebe Gemeinde,
die Halbzeitpause ist nun fast ›rum. Der Trainer hat sich alle Mühe gegeben, uns auf die nächste Halbzeit einzustimmen, auf nachher, wenn wir wieder auf dem Spielfeld des Lebens stehen. Wir wissen jetzt, was uns dort erwartet auf dem Spielfeld des Lebens mit den vielen Herausforderungen und inmitten der vielen Krisen.
Und vielleicht darf ich, nachdem das Bild vom Fußballtrainer im Raum steht, zum Schluss noch einmal auf Julian Nagelsmann zu sprechen kommen:
Nach dem verlorenen Spiel gegen Spanien saß er vor zwei Wochen in der Pressekonferenz des DFB. Und natürlich gab es viele kritische Fragen zum Ausscheiden der deutschen Mannschaft bei dem Heimturnier. Julian Nagelsmann, der viele Jahre Messdiener im katholischen Gottesdienst war, antwortete ruhig und bestimmt:
»Ich glaube, wir leben in einer Zeit, wo jedem das einzelne Posting, sich selbst darzustellen, wichtiger ist, als vielleicht eine gemeinsame Stunde zu verbringen. Ich glaube, wir waren lange und ewige Zeiten ein Land der Vereine, wo Menschen zusammenkamen und unterschiedliche Dinge gemacht haben: von Fußball über Musikverein, Trachtenverein – ganz egal. Menschen haben sich mehrmals die Woche getroffen und haben gemeinschaftlich schöne Stunden verbracht. Heute ist es manchmal mehr wert, ich stehe an irgendeinem Bergsee und mache ein Instagram-Foto – alleine. Und ich glaube, diese Gemeinsamkeit, gemeinsame Dinge zu bewirken, sind extrem wichtig, [und] dass wir realisieren, […] welche Möglichkeiten wir in dem Land haben, wenn wir gemeinsam einfach zusammenhalten und nicht alles immer extrem schwarz malen und dem Nachbar nichts gönnen, sondern von Neid zerfressen sind.«
Einer hat unter die Rede des Bundestrainers geschrieben »Diese Rede hätte ich mir vom Bundeskanzler gewünscht.«1
Ich persönlich hätte mir eine solche Rede gewünscht auf dem Nominierungsparteitag der Republikaner in Milwaukee, wo viele Menschen versammelt waren, die von sich sagen, dass sie Christenmenschen sind.
»Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.« Amen.