Predigt über Psalm 39, Verse 5&8 am 20. November (Totensonntag) - Pastor Christoph Rehbein

Liebe Gemeinde,

gerade eben haben wir den 39. Psalm im Wechsel gelesen.

Zwei Verse (5.8) nehme ich noch einmal auf für die Predigt:
Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss.
Ich bleibe gleich bei dem zweiten Wort hängen.
Bei der Bitte an Gott, uns zu lehren!
Denn fast allen von uns fällt uns das schwer:
unsere Sterblichkeit wirklich zu akzeptieren.
Natürlich sprechen die meisten manchmal darüber.

Zum Beispiel bei Beerdigungen, bei Trauerfeiern.
Da sagen wir dann: Den Weg müssen wir alle einmal gehen.
Oder mancher mag sogar bei sich denken:
Wer weiß, ob ich nicht die Nächste bin...

Wir wissen, dass wir sterben müssen, das ja.
Aber das Akzeptieren, das fällt schwer.
Und das Sterben können wir nicht proben oder gar einüben.
Wie wir mit einer Erkältung umgehen, das wissen wir.
Alle haben ihr Hausmittel.
Drei Tage kommt sie, drei Tage bleibt sie,
und in drei Tagen verabschiedet sie sich, wenn es gut geht.
Gegen das Sterben hilft aber kein Hausmittel.
Und die wenigsten sterben so, wie es sich fast alle wünschen:
am Abend sich lebenssatt schlafen legen und am Morgen nicht wieder aufwachen. „Sanft entschlafen“, das ist den wenigsten vergönnt.

Im Kultursender des Radios wurde zuletzt das neue Buch von Dörte Hansen jeden Morgen vorgelesen: Zur See.

Darin beschreibt die Pflegerin Eske realistisch den Nachtdienst im Inselheim. Zwischen drei und fünf Uhr morgens, das seien die schweren Stunden. Da geistern die eine oder der andere Insasse durch die Gänge. Und manchmal landen sie im falschen Zimmer. Erschrecken die Person, die dort schläft. Die dann aufschreit und denkt, der Tod kommt sie holen. Manche holt der aber noch längst nicht. Und so viele hängen an dem bisschen Leben, das Ihnen auch in teilweiser Umnachtung noch geblieben ist. Und haben immer noch Kraftreserven. Das Herz schlägt und schlägt…

Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss.

Wohl dem, der so beten kann.
Denn das Sterben lässt sich auf keiner Fortbildung erlernen.
Da hilft, liebe Gemeinde, da hilft wirklich nur noch beten.
Aber was heißt nur?

Zwei Gedanken dazu:
Zum einen geht die Bitte des Psalms ja noch weiter.

Lehre mich, Gott, dass mein Leben ein Ziel hat.

Das finde ich sehr spannend.
Das würde ja bedeuten: Mein Leben hat einen Sinn.
Auch das Altwerden ist weniger eine Kurve nach unten, wo alles nachlässt. Nein, wer weiterläuft bis zu einem Ziel, der bleibt unterwegs.
Er wird dann am Ende vielleicht erschöpft sein.
Aber wie heißt es in manchen Trauerannoncen:
Der Tod kann auch Erlösung sein.
Am Ziel muss ich nicht zusammenbrechen wie ein Langstreckenläufer. Der dann nach Überqueren der Linie wie tot da liegt.
Es kann gut sein, dass mich da einer auffängt. Mich in den Arm nimmt. Mich entgegennimmt, so wie ER mir am Anfang das Leben schenkte.
Kann man um dieses Gottvertrauen nur bitten und beten?

Manchmal kriegst du auch Erstaunliches erzählt!
So wie neulich im Krankenhaus. Da berichtet eine Frau in den besten Jahren vom Sterben ihrer alten Mutter im Krankenbett.
Sie habe gespürt, dass das Leben sich rundet. Die Tochter weinte in ihrem Abschiedsschmerz. Und da habe die Mutter mit letzter Kraft ihre Hand genommen. Sie angesehen und eindringlich zu ihr gesagt: „Nicht traurig sein, Mädchen. Ich werde ja erwartet!“
Und das empfand das zärtlich so genannte Mädchen als starken Trost.
Und damit sind wir beim zweiten Vers (8) aus Psalm 39, den ich wiederholen möchte. Er besteht aus zwei Sätzen, einem mit Frage- und einem mit Ausrufezeichen.

Nun, Herr, wessen soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich!

Altes Luther-Deutsch ist das: Wessen soll ich mich trösten?
Wir würden heute wohl eher sagen:
Womit soll ich mich trösten, wenn ein naher Angehöriger verstorben ist? Und ich auch weine über meine eigene Sterblichkeit?
Kann ja sein, dass auch ich bald dran bin…
Ein nahe liegender, gut bezahlbarer Tröster, das wissen alle, ist König Alkohol. Allein, die Promille verfliegen, der Körper altert noch schneller. Und dieser König ist kein personales Gegenüber.
Der oder die den Psalm Betende spricht Gott als Person an:
Mit wem soll ich mich trösten?
Oder besser: Wer vermag mich überhaupt zu trösten in meinem Leid?
Wer ist stark genug?
Die Antwort des Betenden, des Gott Suchenden, heißt:

Ich hoffe auf dich!

„Ich weiß, Du tröstest mich“ - das hätte noch anders geklungen: Vollmundiger!
Aber der Betende nimmt den Mund nicht zu voll.
Vielleicht hat er eine leise Ahnung davon, dass Sterbende ins Licht gehen. Manche, die noch einmal zurückgekommen sind ins irdische Leben,
haben ja von einer großen Wärme berichtet.
Die sie umfing, als sie das Tor zum Tod zu durchschreiten meinten.
Wie steht es hier in Hannover auf dem Grabstein des Künstlers Kurt Schwitters: Man kann ja nie wissen…

Genau, liebe Gemeinde. Wir wissen nicht, was kommt.
Aber wir dürfen hoffen.
Reicht das?
Ich las neulich ein Interview mit einem israelischen Philosophen. Der stöhnte angesichts der kritischen Weltlage über den inflationären Gebrauch des Wortes Hoffnung. Wer immer nur hofft, meinte er, der drücke sich vor echtem Engagement für den Frieden. Wer hoffe, der lege doch die Hände eher in den Schoß.
Mag ja etwas dran sein. Schon ein altes Sprichwort sagt:

Hoffen und Harren hält manchen zum Narren.

Ich halte dennoch dagegen:
Wer von biblischer Hoffnung spricht, hat eine gut begründete Hoffnung.
Das Buch der Bücher hält unsere Konfession ganz besonders in Ehren. Ökumenischer Gottesdienst in Göttingen am Pfingstmontag, der begann unvermeidlich stets mit einem Einzug der beteiligten Geistlichen. Vorneweg die lutherische Pastorin mit der goldenen Taufschale.
Dann der katholische Priester mit einem riesigen Kreuz.
Und als dritter dann der Reformierte mit der Heiligen Schrift.
Es durfte sogar die Zürcher Bibel sein.
Damit fühlte ich mich wohl.
Bei uns liegt seit einiger Zeit die aufgeschlagene Bibel gut sichtbar auf dem Abendmahlstisch. Das Trostbuch Nummer Eins.
Aufgeschlagen ist heute das Gebet des Königs Hiskia.
Das bei Jesaja im 38. Kapitel zu finden ist.
Nach schwerer Krankheit will der Regent Israels es noch einmal wissen. Er ist genesen. Und er ist dankbar. Er hat seinen Gott, auf den er alle Hoffnung setzte, als einen Seelsorger erlebt. Genesung des Leibes setzt eine wieder belebte Seele voraus.
Und so mündet Hiskias Dankgebet ein in den wunderschönen Vers:

Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen.

 Und ich wage noch eine Vorschau auf den vierten Advent. Da ist wieder Philipper 4 als Predigttext dran. Worüber ich vor 36 Jahren auf dieser Kanzel mit klopfendem Herzen meine Examenspredigt halten durfte. Paulus beschreibt die Kraft, die im Gebet liegt, mit diesen Worten:

Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten im Gebet und flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!

 Liebe Gemeinde, auch als Kind macht man ja schon viel Blödsinn.
Ich habe noch oft meinen Opa im Ohr. Wie er mir nicht selten einen verbalen Einlauf verpasste, wenn ich einen groben Fehler gemacht hatte: Christoph, du bist wohl nicht ganz bei Trost!
Hätte ich damals schon den Heidelberger Katechismus gekannt, hätte ich schlagfertig antworten können: Opa! Ich bin bei Trost!
Mein einziger Trost im Leben und im Sterben ist Jesus Christus.
Zu dem ich mit Leib und Seele gehöre.
Der macht mich durch seinen heiligen Geist des ewigen Lebens gewiss.
Wer begründet hoffen kann, liebe Gemeinde, der wird auch nicht stets betend die Hände im Schoß halten. Der wird tun können, was zu tun ist.

So wie der Liederdichter Georg Neumark es zum Ausdruck brachte mit der bekannten Liedstrophe:
Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht' das Deine nur getreu, und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu. Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht! (EG 369,7)

Und Gottes Friede, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft,
der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.
Amen.