Predigt am 30. August 2020

Predigt über Jakobus 5, 13-16

Liebe Gemeinde,

kennen Sie das auch? Große Wut kocht in mir hoch, wenn ich die Bedienungsanleitung für ein technisches Gerät lese und sie mir unverständlich bleibt. Und ich mich fragen muss: Bin ich nun zu blöd? Oder liegt es vielleicht doch an der schlechten Übersetzung aus dem Chinesischen? Ober an der nachlässig gemachten Skizze?

Wie gut tut es da, einfach mal eine verständliche Bedienungsanleitung zu hören! So etwas in der Art ist nämlich der Brief des Jakobus. Sein klares Ziel: Christlicher Glaube bleibt wieder Theorie noch Theo-Logie, sondern wird praktisch. Zugespitzt formulierte „Bedienungsanleitung“: Ohne gute Taten bleibt christlicher Glaube tot.

Martin Luther hat sich furchtbar geärgert über diesen Brief an die urchristlichen Gemeinden. Er hat ihn eine „ströherne Epistel“ genannt. Nur dazu nützlich, damit Feuer im Kamin anzumachen. Aus seiner Sicht steht diese Hochschätzung christlicher Werke, also guter Taten, gegen den Apostel Paulus. Und dessen Hauptgedanken, dass allein der Glaube den Menschen ins rechte Verhältnis zu Gott setzt. Mit Leistung könne niemand zu Gott gelangen.

Nun, ich denke, es lohnt sich, Jakobus hervorzuholen aus der Schmuddelecke des Neuen Testaments. Er bringt einen neuen Ton in das Orchester des Neuen Testaments. Wohl deswegen, weil er eine Generation später entstand als die Paulusbriefe. Und möglicherweise an einem ganz anderen Ort, nämlich in der größten damals bekannten Hafenstadt: Alexandria im Nildelta Ägyptens.

Jakobus erkennt: Der Glaube stirbt ab ohne Glaubwürdigkeit im Verhalten der Christenmenschen.

Gehen wir Vers für Vers durch:

13 Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.

Das Singen fällt, zugegeben, oft leichter in Gemeinschaft. Warum nicht mal morgens nach dem Zähneputzen testen, ob Psalm 68, Strophe 6 mittlerweile auswendig klappt? Unsere Schlusshymne in fast jedem Gottesdienst: Anbetung, Ehre, Dank und Ruhm sei unserem Gott im Heiligtum…

Und zu dem ersten Satz: Leidet jemand der bete? Früher hieß es immer: Not lehrt beten. Aber folgen wir dieser Aufforderung noch?

„Für mich selbst gilt das auf jeden Fall!“ So sagten es einige aus der Gemeinde im Rundgespräch über den Text. Letzten Dienstag brüteten wir in zwei Gruppen auf Borkum über diesen Jakobusworten. Es klingt so einfach: Der bete!

Der blinde Us-amerikanische Sänger Stevie Wonder schrieb Ende der 70er Jahre ein Lied dazu. Und nimmt darin das Einfache beim Wort: If you think your life's too hard, just go have a talk with God / Wenn du denkst, dein Leben ist zu hart, geh einfach hin und rede mit Gott. He is the only free psychiatrist that's known throughout the world / Auf der ganzen Welt ist ER der einzige Seelenarzt, der ohne Bezahlung arbeitet!

Vers 14: Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.

Hier geht uns Jakobus zu weit, wenn wir dazu unsere ehrliche Meinung sagen. Das ist für viele eine düstere Vision: Du liegst komplett darnieder. Und über dir steht und betet das ganze Presbyterium? Nein danke. Dann bete ich lieber selbst – und zwar, dass sie wieder gehen…

Wir milderten in unserem Gespräch diesen Vers ab und sagte: Ein Mitglied des Presbyteriums oder eine Pastorin darf gerne kommen. Und an meinem Lager für mich beten oder mit mir. Aber bitte, wie wir heute so gerne sagen, auf Augenhöhe.

Was ich nun persönlich ganz toll finde an diesem Vers, vorbildlich für die informationsträge Gemeinde: Jakobus sagt, wenn du krank bist, dann melde dich! Ruf an, gib Bescheid. Es wird gern jemand kommen aus deiner Gemeinde, der dich besucht. Der dir Mut zuspricht und vielleicht auch mit dir betet. Auch wenn vielen von uns das heute schwerfällt, das laute Beten für oder mit jemand anderem. Trauen wir uns nicht? Trauen wir Gott zu wenig zu? Jakobus jedenfalls will uns da stärken.

Vers 15: Und das Gebet des Glaubens mit dem Kranken helfen.

Also, das glaube ich ganz fest. Eine gute Freundin, die endlich genesen war von einer bösen Borreliose, sagte: Am meisten half mir, dass ich wusste: Ihr betet für mich.

Jakobus ist Realist. Hier steht nicht: Das Gebet wird den Kranken gesund machen. Das kann geschehen, doch keineswegs zwingend. Der Vers geht weiter: Das Gebet wird den Kranken aufrichten. Wie gut tut es einem Menschen im Krankenbett, wenn er wenigstens das noch schafft: selber sitzen. Sich aufrichten können. Und im übertragenen Sinne: Vielleicht hilft die Fürbitte auch, den einen Gott, den Ansprechpartner schlechthin, aufrecht in den Blick zu nehmen. Der dann noch immer auf dich wartet, wenn du einmal sterben musst. Den Gott der Vergebung, der es möglich macht, mich dann noch zu versöhnen mit denen, die mit mir über Kreuz geraten sind. Im Lauf des Lebens.

Wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.

Der letzte Vers fasst unseren Abschnitt zusammen: Bekennt also einander eure Sünden und betet für einander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.

Oder wie die Zürcher Bibel das aus dem Griechischen übersetzt: Viel vermag die Fürbitte eines Gerechten, wenn sie inständig vorgebracht wird.

Wir sollten uns dazu selbst nicht vorschnell für Un-Gerechte und damit für ungeeignet halten. Vielmehr für Menschen, die tätige Nächstenliebe ja üben wollen. Und damit dem Menschen vor Gott eine Stimme geben können, der selbst gerade zu matt zum Beten ist.

Jakobus will dazu Mut machen. Und ist damit ein sehr eigenständiger Farbtupfer in der Palette des Neuen Testaments. Er schöpft tief aus jüdischer Glaubenskraft, die sich nach dem Tun des Gerechten ausrichtet. Und damit Bedürftige aufrichtet.

Ein Gedanke ist mir noch wichtig. Sie haben es schon gemerkt, dass ich das Salben mit Öl unterschlagen habe in meiner Auslegung. Im Namen des Herrn. Im Namen Christi, der selbst ein Gesalbter ist. Das bedeutet sein Name: Christus. Darum will ich das Salben keineswegs nur dem katholischen Priester überlassen - heiße es nun „letzte Ölung“ oder Sakrament der Krankensalbung. Nach Jakobus können eigentlich wir alle das: Dem erkrankten Menschen ganz praktisch gut tun, indem wir sein Gesicht oder seine Hände mit wohlriechender Salbe pflegen, einreiben, berühren, liebkosen. Als Zeichen der Nähe Jesu Christi.

So, liebe Gemeinde, ein echter Lutheraner müsste jetzt aufstehen und Protest einlegen.Was ist mit dem, der das alles nicht kann, der sich scheut, Kranke zu besuchen, der nicht die Gabe des Salbens und Berührungs hat? Hat der oder hat die weniger Glauben und steht vor Gott schlechter da? Einen Weg zur Lösung dieser Frage weist der Heidelberger Katechismus, indem er die guten Werke unter dem Stichwort Dankbarkeit ausführt: „Was sind gute Werke? Allein solche, die aus wahrem Glauben nach dem Gesetz Gottes ihm zur Ehre geschehen.“ (HK 91)

Und Paulus sagt dazu: Es gibt viele verschiedene Gaben - gespeist von dem einen Geist.

Ich möchte schließen mit etwas sehr Bewegendem: Wir sprachen auf Borkum darüber, dass Krankenbesuche manchmal auch dem Besuchenden etwas bringen. Eine ältere Frau aus der Gemeinde begleitete ihren Mann im Krankenhaus beim Sterben. Zum Ende hin habe er kaum noch Kraft zum Sprechen gehabt. Aber er habe alles gehört. Und etwas habe ihr selbst so viel gegeben, dass ihr neue Kraft zufloss: Immer wieder, jedes Mal, habe Ihr Mann zum Ende des Besuchs hin mit letzter Kraft geflüstert: Danke!

Und Gottes Friede, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.

Amen.