Predigt über Lukas 10,25-37 (Der barmherziger Samariter / Übersetzung Neue Zürcher Bibel)

Liebe Gemeinde, das ist eine mit gutem Recht berühmte Geschichte, die Jesus da erzählt. In 13 Bibelversen wird eine ganze Welt erklärt. Würde sie heute spielen, dann könnte es höchstens sein, dass der Priester und Leviten noch ein Foto machen würden. Bevor sie weiterlaufen. Von dem, den sie da halb tot liegen sehen.

Einen wie den Samaritaner, den gibt es wohl immer. Dass da einer wirksam hilft, von dem du es am allerwenigsten erwartest.  Ein Außenseiter, Angehöriger einer Minderheit. Die nur die fünf Bücher Mose kennt. Aber das reicht ja! Er kennt die Gebote, die wir als Lesung aus 3. Mose 19 gehört haben. Er kennt die Gebote auch, die der Gesetzeslehrer auswendig aufsagen kann.

Und: Er handelt danach!

Liebe Schwester, lieber Bruder in der Gemeinde, vielleicht geht es Ihnen wie mir: Ich werde diese Geschichte nicht leid, obwohl ich sie so gut kenne. Sie geht mir jedes Mal unter die Haut.

Ich denke zurück an eine Fortbildung unter der Überschrift Bibliodrama. Da sollte sich jeder eine Rolle suchen in dieser Beispielerzählung, die ihm eher fremd ist. Ich wurde zum barmherzigen Samariter. Und ich wickelte engagiert einen Wundverband, was das Zeug hielt. Und dann rutschte der gleich wieder runter, als ich den Verletzten auf den Esel hievte.

Mist aber auch! Wohl fühlte ich mich erst, als ich mein Portemonnaie zückte. Und dem Gastwirt den Patienten überlassen konnte. Nachhaltigkeit finde ich gut und wichtig. Geld abgeben tut weniger weh als direkt am Mann arbeiten.

Heute morgen möchte ich in eine Rolle schlüpfen, die mir ehrlich gesagt näher liegt. Ich könnte der Priester sein, der das Elend zwar sieht, aber weitergeht. Ich habe ja zu tun. Und ich kann nicht aller Welt helfen.

Ich bin jetzt aber mal der Jesus fragende Gesetzeslehrer. Der wahrscheinlich genau wie Priester und Levit seinen Weg fortgesetzt hätte. Der die Gebote natürlich kennt. Aus dem Effeff. Und sofort von Jesus eine treffsichere Antwort kriegt:

Recht hast du! Tu das – und du wirst leben.

Der Buchstabe allein ist tot – es kommt auf das Danach – Handeln an. Grundgebot des Judentums!

Doch als Tora-Kenner will ich das Gespräch in Jesu Lehrhaus unter freiem Himmel fortsetzen: Und wer ist mein Nächster?

Gute Frage, schwere Frage. Es gäbe ja so viel zu tun! Ich muss ja nur meine vielen Mails checken. 100.000 Möglichkeiten, die Welt zu retten. Durch meinen Unterschreiben dieser und jener Solidaritätserklärung. Und am Ende des Tages, dann lass ich das alles. Und lasse der Welt ihren Lauf. Richtung Abgrund?…

Wie gut, dass Jesus diesen Kopfmenschen nicht verurteilt.

Er erzählt ihm viel mehr diese zeitlos aktuelle Geschichte.

Die vom Kopf direkt ins Herz geht.

Die in diesem Moment (Vers 35) schon ihren Höhepunkt erreicht:

Ein Samaritaner… kam vorbei, sah ihn und fühlte Mitleid.

Oder auch, Luther-Übersetzung: Als er ihn sah, jammerte es ihn. Und dann handelt er.

Und am Ende hat auch er es kapiert, der kluge Fragesteller:

Dass Jesus den Spieß entwaffnend umdreht.

Vom Objekt (Wer ist mein Nächster?) wieder zum Subjekt:

Wem werde ich zum Nächsten?

Allen Geboten geht doch dieser eine Satz voran: Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus der Knechtschaft geführt habe.

Ich liebe dich, Mensch. So bist du frei, mit deinem Nächsten Mitleid zu haben, denn er ist wie du.

Kleiner Gedankensprung: Wenn ich nachts auf Borkum herumlaufe, fasziniert mich immer der große Leuchtturm. Am gleichnamigen Haus Blinkfür. Mit dem hellen Suchstrahl, der ständig in Bewegung ist und kreist.

Gut für alle Schiffe draußen auf See, die Orientierung brauchen. Aber schlecht als Beispiel für ein Leben nach Gottes Gebot:

Ich muss nicht kreisend suchen nach Objekten meiner Fürsorge: Wer ist mein Nächster? Ich bin doch längst von Gott geliebt und kann aus mir heraus leuchten. Ihr seid das Licht der Welt, sagt Jesus an anderer Stelle. Ihr dürft euer Herz stets neu berühren lassen – von der Bewegung, in die Gott euch mit hereinholt.

Tikkun Olam heißt diese Bewegung im Judentum: Reparatur der Welt. Ja ihr seid berufen, - Achtung: schweres Wort! - Weltverbessererinnen und Weltverbesserer zu sein. Und stets neu zu werden. Jesus lässt die Welt nicht, wie sie ist, in unserer Normalität des Hinsehens und doch Weitergehens.

Jesus stiftet Gemeinschaft. Zwischen den Opfern und den Hilfsbereiten. Zwischen Außenseitern und Normalgläubigen. Zwischen Jüdinnen und Christinnen und darüber hinaus.

Ganz wichtig: Niemand ist allein mit der Weltverbesserung!

Der Fragesteller hat auch heute Rabbiner und Pastorinnen, die ihm Antwort geben können.

Der Samaritaner kennt einen Wirt, der sein diakonisches Handeln weiterführt.

Wir alle haben Jesus, der diese Geschichte stets neu erzählt:

Wer von diesen dreien, meinst du, ist dem, der unter die Räuber fiel, der Nächste geworden? Der sagte: Derjenige, der ihn Barmherzigkeit erwiesen hat. Da sagte Jesus zu ihm:
Geh auch du und handle ebenso!

Und Gottes Friede, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren

in Christus Jesus.
Amen.