Predigt von Pastor Christoph Rehbein
über Genersis 11, Verse 1-9
am Pfingstsonntag, den 23.Mai 2021

Liebe Gemeinde,

wow – das ist das Ende der Urgeschichte! Das Finale eines der bekanntesten Stücke Weltliteratur. Das atmet Schöpfergeist, heute zu Pfingsten. Am Tag des dritten der großen Christfeste, an dem wir den Heiligen Geist feiern. In diesem Jahr sechs Tage nach dem jüdischen Wochenfest Schawuot.

Los, lass uns eine Stadt bauen mit einem Turm!

Das sagen Menschen der Frühzeit auf dem Weg zum Sesshaftwerden.

Auf, lasst uns hinabsteigen und ihre Sprache durcheinander bringen!

Das sagt Gott, aber mit wem spricht er eigentlich? Die gleiche Frage entsteht wie in Genesis 1 am sechsten Schöpfungstag:

Lasst uns Menschen machen, uns ähnlich!

Der eine Gott, ist er doch nicht ganz aus einem Guss? Steht die Frau Weisheit an seiner Seite, von der später Salomons Sprüche handeln?

Der eine Gott, zweifältig? Und seine Menschen, einfältig?

Damals hatten alle Menschen nur eine einzige Sprache – mit ein- und den selben Wörtern,

so beginnt unser Predigttext. Und alle haben sie das eine Ziel, das sie mit harten Ziegeln und mit Asphalt fest machen wollen. Eine Sprache, eine Stadt, ein Turm, der in den Himmel ragt – da braucht es eigentlich gar keinen Gott mehr! Gott entgegnet: So weit kommt's noch!

Sie werden tun, was sie wollen.

Doch der Schöpfer handelt. Er hat die größere Macht. Er will die Vielgestalt und die Vielsprachigkeit. Will er auch, dass in Babel nun alle durcheinanderbabbeln? Und dass niemand mehr weiß, wo es langgeht mit Multi-Kulti?

Paulus würde sagen: Das sei ferne!

Nach der Vertreibung aus dem Paradies, nach der babylonischen Sprachenverwirrung geht sie weiter, die Geschichte Gottes mit seinen Menschen. Und sie konkretisiert sich gleich anschließend an die Urgeschichte in Abraham und Sara (Genesis 12). Die machen sich auf in das Land, das Gott ihnen zeigt. Wer losgehen soll, kann eine neue Heimat finden. Ein großes Volk blüht auf, zahlreiche Sterne stehen am Himmel.

Allein finden Sie keine Orientierung, sondern landen als Sklaven in Ägypten. Da steigt wiederum der eine Gott vom Himmel herab. Und nimmt zwei Gestalten an. Als Rauchsäule am Tag und Leuchtfeuer in der Nacht. So führt er sein Volk durch die Wüste. Und gibt ihnen die Zehn Gebote am Berg Sinai. Genau das feiern jüdische Gläubige am Festtag Schawuot, 50 Tage nach Beginn von Pessach. Vorbild für Pfingsten, griechisch Pentecoste = 50 Tage nach Ostern. Sie feiern ein fröhliches Fest, die Synagogen werden geschmückt. Obwohl oder gerade weil in diesen Tagen im Land Israel einmal mehr Raketen und Bomben großen Schaden anrichten. Das Gebot Du sollst nicht töten macht deutlich, dass Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll.

Jesaja und Micha ersehnen später als Propheten eine Zeit, in der die Tora von allen Völkern der Erde gelernt wird. In der sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden werden. Und so das Kriegführen verlernen.

Von dort ist es nicht mehr weit zu dem Festtag, den die Gemeinde Jesu Christi begeht. Zu dem Anlass, den wir heute feiern: Die Gabe des Heiligen Geistes. Viele Völker und viele Sprachen, die gibt es, ja, die soll es nach Gottes Willen geben. Allein – sie sollen weniger durcheinanderbabeln oder babbeln als vielmehr einander zuhören. Gottes Geist hilft, dass verschiedene Menschen hören lernen und sich verstehen können. So dass ein Wirrwarr zu gelebter Vielfalt wird. Zu „versöhnter Verschiedenheit“, wie ist die evangelisch-katholische Ökumene mal so meisterhaft ausgedrückt hat.

Zu den großen Taten Gottes, von denen in der Pfingstgeschichte die Rede ist, gehört die Gabe der Tora. In den hebräischen Gebeten zum Wochenfest findet sich immer wieder die Formulierung: Die Zeit des Gebens unserer Tora. Die jüdische Gemeinschaft Chabad hat jüngst im Bahnhof Bismarckstraße in unserer Nähe ihr neues Zentrum eröffnet. Sie erklärt auf ihrer Website sehr hilfreich diese ungewöhnliche Formulierung unsere Tora. Ich zitiere: „Tatsächlich erhält jeder Mensch die Tora nach dem individuellen Ursprung seiner Seele und je nach der Aufgabe dieser Seele auf der Welt. Und das kommt zum Ausdruck in der Formulierung 'unserer Tora', d.h. die Tora, wie sie maßgeschneidert für jede einzelne Seele gegeben wird.“

Jede und jeder von uns möge zu Pfingsten geistlich prüfen, welches Gebot für ihn, für sie selbst maßgeschneidert ist.

Mir ist dabei so, als ob ganz allgemein in einer Welt, wo alles von Corona redet, die Besinnung auf das erste Gebot angezeigt ist: Der Gott, der uns aus allen Fesseln befreit, spricht: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

Ich denke diesen Gedanken politisch weiter, wirken doch die Zehn Gebote auch in die Charta der Menschenrechte für alle Völker hinein. Könnte es sein, dass jedes Volk dieser Erde von dem einen Gott maßgeschneidert sein Charisma, seine Aufgabe hat? So schließe ich mit dem einzigen Bibelvers, der Juden und Araber in einem Atemzug nennt. Genau so kann Gottes Geist in allen Völkern dieser Erde wirken: Juden und Proselyten, Kreter und Araber – wir alle hören sie in unseren Sprachen von den großen Taten Gottes reden. (Apg 2,11)

Und Gottes Friede, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.

Amen.