• Predigt
»Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.« (Röm 1,7) Amen.
I.
Liebe Gemeinde,
der Predigttext steht im Hiobbuch, im 2. Kapitel:
1 Eines Tages geschah es, dass die Götterwesen wieder zur himmlischen Ratsversammlung kamen und sich vor den Herrn stellten. Auch der Quertreiber, der Satan, war wieder dabei. 2 Der Herr fragte ihn: »Wo kommst du her?« »Ich habe die Erde kreuz und quer durchstreift«, antwortete der Satan. 3 Der Herr fragte: »Hast du auch meinen Diener Hiob gesehen? So wie ihn gibt es sonst keinen auf der Erde. Er ist ein Vorbild an Rechtschaffenheit, er nimmt Gott ernst und hält sich von allem Bösen fern. Du hast mich ohne jeden Grund dazu überredet, ihn ins Unglück zu stürzen. Aber er ist mir treu geblieben.«
4 »Er hat ja keinen schlechten Tausch gemacht!«, widersprach der Satan. »Ein Mensch ist bereit, seinen ganzen Besitz aufzugeben, wenn er dafür seine Haut retten kann. 5 Aber taste doch einmal ihn selber an! Wetten, dass er dich dann öffentlich verflucht?« 6 Da sagte der Herr zum Satan: »Gut! Ich gebe ihn in deine Gewalt. Aber sein Leben darfst du nicht antasten!«
7 Der Satan ging aus der Ratsversammlung hinaus und ließ an Hiobs Körper eiternde Geschwüre ausbrechen; von Kopf bis Fuß war er damit bedeckt. 8 Hiob setzte sich mitten in einen Aschenhaufen und kratzte mit einer Tonscherbe an seinen Geschwüren herum.
9 Seine Frau sagte zu ihm: »Auch jetzt hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Gib Gott den Abschiedssegen und stirb!« 10 Aber Hiob antwortete: »Du redest ohne Verstand wie eine, die Gott nicht ernst nimmt! Wenn Gott uns Gutes schickt, nehmen wir es gerne an. Warum sollen wir dann nicht auch das Böse aus seiner Hand annehmen?«
Trotz aller Schmerzen versündigte sich Hiob nicht. Er sagte kein Wort gegen Gott.

II.
Liebe Gemeinde,
es ist schlimm, ungewollt Teil eines Experiments zu werden. Noch viel schlimmer ist es, wenn ein wichtiger Mensch in so ein Experiment hineingerät und wenn dieses Experiment aus dem Ruder läuft.
Genau das passiert der Ehefrau von Hiob. Sie muss mitansehen, wie alles, was sie mit ihrem Mann aufgebaut hat, innerhalb eines Tages zerstört wird:
Die Rinderherden, alle Eselinnen und die Dromedare werden geraubt; die Hirten kommen dabei ums Leben.
Kaum sind diese Meldungen eingetroffen, da wartet schon die nächste ›Hiobsbotschaft‹: Nach einem Blitzeinschlag hat ein Feuer alle Schafe und deren Hirten getötet. Und als wäre das nicht schon genug, passiert auch noch das: Alle Kinder des Ehepaares können nach einem Sturm nur noch tot aus den Trümmern ihres eingestürzten Hauses geborgen werden.

So etwas muss man als Ehepaar und Eltern erst einmal wegstecken. Hiob zerreißt sein Gewand, macht sich eine Glatze, wirft sich flach auf den Boden und ist überzeugt, dass Gott dahintersteckt:
»Der Ewige hat es gegeben, der Ewige hat es genommen, gesegnet sei der Name des Ewigen.« [Hiob 1,21]

Hiobs Frau kann da nicht mit einstimmen. Wenn die Katastrophen tatsächlich von Hiobs Gott kommen, warum muss ihr Mann diesen Gott dann auch noch segnen?
Aber es kommt noch schlimmer: Hiob wird danach von oben bis unten mit bösen Geschwüren überzogen. Um das Jucken zu lindern, kratzt er mit einer Tonscherbe daran. Die Wunden sind mit Eiter und Würmern gefüllt. Die Haut und einzelne Gliedmaßen werden schwarz. Hiob hat schrecklichen Mundgeruch und sitzt völlig entstellt auf den Trümmern seiner Existenz.
→ Orgelimprovisation »kratzende Tonscherbe«

III.
Hiobs Frau kann es nicht ertragen, was zuerst mit der Familie und dann mit ihrem Mann passiert. Der, mit dem sie das alles aufgebaut hat, ist völlig verwandelt. Fromm war er immer, kein böses Wort kam über seine Lippen. Und auch jetzt noch lobt er Gott, obwohl die Umstände ziemlich merkwürdig sind. Es kann nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn sich ihr Leben innerhalb nur eines Tages wendet. Da sind höhere Mächte am Werk. Und was macht Hiob? Anstatt aufzubegehren, verkriecht er sich im Staub. »Gib Gott den Abschiedssegen und stirb!«, sagt sie ihrem Mann voller Verbitterung. Hiob muss sich auf etwas ganz Schlimmes mit seinem Gott eingelassen haben. Er muss diese Verbindung sofort abbrechen; sterben wird er sowieso.
Aber Hiob bleibt dabei: Das alles kommt von Gott. Das Gute und das Böse. Und auch das Böse muss man von Gott annehmen können.
Was beide nicht wissen: Es ist tatsächlich so. Gott hat seine Finger im Spiel; er steckt hinter den plötzlichen Schicksalsschlägen der Familie Hiob. Es geht um eine Wette, um ein Experiment. Im Hofstaat Gottes, so erzählt es das Hiobbuch, gibt es einen der Engel, einen Quertreiber mit Namen ›Satan‹.
Er hat Gott zu diesem Experiment angestiftet. Denn, weil Hiob so fromm, untadelig und gottesfürchtig ist, hat Gott mit ihm angegeben: »Ja, so einen wie ihn gibt es sonst keinen auf der Erde«, sagt Gott zum Quertreiber. Das lässt sich der Satan nicht zweimal sagen. Er wendet ein: »Hiob ist ein reicher Mann, da fällt es leicht, gottesfürchtig zu sein. Nimm ihm das weg, dann wird er sich von dir abwenden.«
Gott lässt sich auf dieses Experiment ein und gibt dem Satan freie Hand. Nur das Leben Hiobs darf der Satan nicht antasten.
Mit Gottes Erlaubnis verliert Hiob sodann alles, was er hat.
Hiob aber versündigt sich nicht und hält trotz allem an seiner Frömmigkeit fest.
Gott macht dem Satan daraufhin Vorwürfe, dass er Hiob jetzt umsonst ruiniert habe. Aber der Quertreiber gibt sich noch nicht geschlagen. Denn das würde ja bedeuten, dass sich Gott und der Satan an dem vorbildlichen Hiob schuldig gemacht hätten.
Aber, so der Satan, man müsste Hiob nur einmal richtig zu Leibe rücken, dann werde er schon von Gott abfallen.
Gott willigt in das erneute Experiment ein. Aber so sehr sich der Satan auch müht, Hiobs Geschwüre vom Kopf bis zu den Füßen bewirken nicht den vorhergesagten Abfall von Gott.
→ Orgelimprovisation »Geschwüre von Kopf bis Fuß«

IV.
Liebe Gemeinde,
der Verfasser des Hiob-Buches gewährt uns hier einen kühnen Blick hinter die Kulissen. Wir sehen Gottes Hofstaat mit dem Quertreiber-Satan und erfahren von dem zweifachen Experiment. Und zugleich sehen wir Hiob und seine Frau auf der Bühne mit dem verzweifelten Versuch, wenigstens irgendetwas zu retten und zu verstehen. Und wir ahnen, welche schwere Last unbewusst auf Hiob ruht: Egal, was er macht, er setzt Gott ins Unrecht:
- Wenn er sich von Gott lossagt, dann hat Satan gewonnen.
- Wenn er untadelig bleibt und an Gott festhält, dann macht das
den mutwilligen Tod der Kinder, Hirten und Tiere nicht ungesche-
hen. Gott und der Satan tragen daran gemeinsam die Schuld.
Hiob versucht zwar eine Ehrenrettung Gottes. Er betont gegenüber seiner Frau, dass Gott wieder nehmen könne, was er vorher gegeben habe. Das überzeugt seine Frau aber nicht. Sie will, dass Hiob diesem Gott den Rücken zukehrt, sich von seiner Gottesidee verabschiedet. Dann wird er wenigsten durch den Tod von seinem schrecklichen Leiden erlöst.
Sie ahnt nicht, dass Hiobs Frömmigkeit tatsächlich der Stein des Anstoßes war. Gott zeigte sich nämlich mächtig stolz auf Hiob und prahlte vor seinem Hofstaat. Der Satan aber hielt Hiobs Frömmigkeit für Heuchelei und wollte ihn auf die Probe stellen.

→ Orgelimprovisation »Prahlen/Heuchelei«

V.
Und so verliert Hiob alles, was er hat. Er sitzt auf den Trümmern seiner Existenz. Er verflucht den Tag seiner Geburt und wartet auf den Tod. Doch der lässt auf sich warten; Hiobs Tod war nicht Teil der Wette zwischen Gott und dem Satan. Denn Gott wünschte ausdrücklich, dass der Satan Hiobs Leben verschont.
Was konnte das aber noch für ein Leben sein? Mit dem Verlust der Kinder ist dem Ehepaar Hiob sowohl die Vergangenheit als auch ihre Zukunft geraubt worden. Dieser Umstand ist bei dem himmlischen Experiment offenbar ausgeblendet worden. Es gibt keinen Plan B für die Zukunft der Familie Hiob; alles hängt in der Luft: Sterben soll Hiob noch nicht. Aber wie es weitergehen soll, dafür gibt es kein Drehbuch.
In dieser Situation schickt Hiobs Frau nach dessen Freunden. Sie kommen schließlich von weit her angereist, um Hiob beizustehen. Aber, was sie sehen, verschlägt ihnen die Sprache. Sie erkennen Hiob nicht wieder. Der Anblick ihres Freundes lässt sie aufschreien und treibt ihnen die Tränen in die Augen. Sieben Tage und sieben Nächte sind sie zu nichts anderem fähig, als zu schweigen. Sie sitzen mit zerrissenem Obergewand bei Hiob in der Asche.

→ Orgelimprovisation »Aufschrei, Tränen, Schweigen«

VI.
Hiobs Frau hat die Freunde vermutlich kommen lassen, weil sie den baldigen Tod ihres Mannes erwartet. Es geht ihm körperlich und seelisch so schlecht, dass sie kaum noch Hoffnung für ihn hat. Aber die Freunde finden zunächst keine Worte. Und das, was sie dann in ihren Reden vorbringen, darauf hätte Hiob auch verzichten können. Sie mutmaßen nämlich, dass Hiob gesündigt haben muss, sonst wäre ihm das alles nicht zugestoßen.
Ohne es zu ahnen, greifen sie damit das missglückte Experiment des Satans auf und drehen es um:
Hiobs – vom Satan bewirktes – Unglück wird zum Beleg für seine Sünde, die der Satan aber gerade nicht an Hiob gefunden hatte. Nun fallen also die Freude dem Hiob von der anderen Seite her in den Rücken.
Überhaupt ist im Hiobbuch zu beobachten, wie die Akteure ihre Rollen dauernd vermischen: Die Freunde werden zu Anklägern, Hiob ist Verdächtiger und Opfer, und die mitgeschädigte Ehefrau wünscht Hiob den Tod. Es hat den Eindruck, als wenn der Satan, der Quertreiber, bei dieser Rollenvermischung seine Finger im Spiel hat – als wäre es noch Teil seines Experiments.
Und auch der Satan selbst vermischt seine Rollen: Er ist Vertreter der Anklage und gleichzeitig Todesengel und Folterknecht.
Und auch bei Gott sind die Rollen nicht klar getrennt. Er ist stolz auf seinen Knecht Hiob und gleichzeitig Richter, der die Maßnahmen gegen Hiob genehmigt.

→ Orgelimprovisation »Vermischung von Rollen«

VII.
Liebe Gemeinde,
bei so viel Vermischung ist es kein Wunder, dass das Hiobbuch weitere 40 Kapitel braucht, um aus dieser verfahrenen Situation einen Ausweg zu finden. Am wichtigsten ist dabei, dass Hiob nicht klein beigibt. Er besteht auf seiner Unschuld und sieht bei Gott das Problem. Er hinterfragt Gottes Gerechtigkeit und fordert Gott auf, sich zu erklären: Wie kann ein gerechter Gott so viel Leid wollen? (Pause)

Endlich bricht Gott sein Schweigen und offenbart sich im Wettersturm. Er lässt Hiobs Frage jedoch unbeantwortet und verweist auf seine schöpferische Macht und Größe; Hiob könne das alles gar nicht erfassen. Das muss Hiob auch eingestehen, aber es tröstet, dass Gott sich ihm nun endlich zuwendet in seinem Leid.

Am Schluss des Hiobbuches sind alle verändert: Hiob wird durch Gott rehabilitiert; die Geschwüre heilen; er und seine Frau fangen noch einmal von vorne an, bekommen wieder Kinder. Die Freunde Hiobs werden von Gott gerügt wegen ihrer falschen Verdächtigungen. Und auch Satan und Gott selbst gehen verändert aus dem Streit hervor. Man könnte sagen, Gott hat einen ›Lernprozess‹ gemacht.
Er behält gegenüber dem Quertreiber-Satan recht, aber der Preis war zu hoch: nämlich der Tod von Hiobs Kindern, seiner Knechte und der Tiere. Künftig muss Gott seine Macht mit seiner Gerechtigkeit zusammenbringen.
Das hat Hiob ihm abgerungen. Wo Macht und Gerechtigkeit ausgeglichen sind, hat auch der Satan keine Handhabe mehr. Der Satan kann das gerechte Handeln nicht mehr als Heuchelei, als fake news abtun. Er kann seinen Machtmissbrauch nicht länger als Wahrheitssuche tarnen. Dem Treiben des Satans ist somit letztlich die Grundlage seiner Macht entzogen.
Und darum spielt er im ersten Teil der Bibel keine nennenswerte Rolle mehr. Er taucht erst wieder im Matthäus-Evangelium auf.
In der Wüste versucht er sich an Jesus:
Wenn Jesus Gottes Sohn sei, solle er Steine in Brot verwandeln.
Wenn er Gottes Sohn sei, solle er sich todesmutig in die Tiefe stürzen und auf Gottes Schutzengel vertrauen.
Und wenn er sich dem teuflischen Quertreiber unterwerfe, sollen ihm alle Königreiche der Welt zu Füßen liegen.
Jesus aber lässt die Machtspiele des Quertreibers einfach ins Leere laufen. Er weigert sich, Gott auf die Probe zu stellen.
Und dann ist da am Ende noch Pilatus. Er missbraucht im Prozess gegen Jesus seine Macht, philosophiert über Wahrheit, statt Gerechtigkeit walten zu lassen.
Aber Gott lässt auch Jesus nicht allein in seinem Leiden. Er weckt ihn auf in ein neues Leben, ihn und alle, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden [Mt 5,10].

»Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.« Amen.