Predigt am 6. April – Johannes 18,28-19,5
Liebe Gemeinde,
Wir haben vorhin das Apostolische Glaubensbekenntnis miteinander gesprochen. In diesem Bekenntnis, das überall auf der Welt von Christen aller Konfessionen gesprochen wird, da kommt ein Name vor: Pontius Pilatus.
Seltsamerweise ist es der einzige Name eines Menschen, der neben Jesus und seiner Mutter Maria im Glaubensbekenntnis vorkommt.
Nicht Abraham, nicht Moses, nicht Petrus oder Paulus, auch nicht der Hohepriester Kaiphas oder der römische Kaiser Tiberius, nein, nur ausgerechnet Pontius Pilatus
Der Bibeltext, den wir heute als Predigttext gehört haben, handelt auch von Pontius Pilatus. Diesen langen Text werde ich jetzt nicht wiederholen. Die Geschichte ist bekannt.
Alle vier Evangelien berichten darüber. Alle vier Evangelien erwähnen Pontius Pilatus und erzählen mit gewissen Abweichungen dieselbe Geschichte. Die religiösen Führer machen Stimmung gegen Jesus. Die Stimmungsmache schafft Unruhe. Jesus wird an den römischen Präfekten ausgeliefert. Es gibt keine unabhängige Gerichtsbarkeit. Der römische Präfekt ist zugleich Richter und ausführende Gewalt. Es geht im Verhör um eine politische Anklage. Versteht sich Jesus als „König der Juden“ oder nicht.
Alle vier Evangelien berichten auch übereinstimmend, dass am Kreuz, über dem Kopf Jesu auf einer Tafel zu lesen stand: „Jesus aus Nazareth, König der Juden.“, INRI
Wir bewegen uns auf historisch gesichertem Boden, wenn wir sagen: Jesu wurde aus politischen Gründen hingerichtet, Jesus wurde hingerichtet, weil er angeblich Unruhe gestiftet hat, weil man ihn im Volk als Messias, also als von Gott erwählten König bejubelte.
Die Ankläger rufen im Johannesevangelium:
„Jeder, der sich zum König macht, widersetzt sich dem Kaiser!“
Jesus wird also als Gefahr für die Sicherheit dargestellt, als eine Art Verschwörer, oder Terrorist.
Im Markusevangelium tritt auch noch Herodes in Erscheinung. Er war ja damals offiziell „König von Judäa“. Er war zwar nur eine Marionette der Römer, aber er durfte den Königstiteltitel tragen. Dieser Freund der Römer verspottet Jesus aber er hält ihn für harmlos.
Alle Erzählungen sich darin einig, dass auch Pontius Pilatus als Vertreter des Kaisers den angeklagten Jesus für ungefährlich hält. Er findet nicht, dass Jesus ein Sicherheitsrisiko ist und er will ihn freilassen. Es gibt aber Protest im Volk. Jesus hat Feinde und Pontius Pilatus hört auf die Stimme einflussreicher Männer, er hat Angst vor der Stimmung im Volk, die sich gegen Jesus breit macht, er knickt ein. Er will einfach nur seine Ruhe haben. Er übergibt Jesus den Soldaten, die ihn verspotten und quälen, er ist es letzten Endes, der den Befehl die Todesstrafe zu vollstrecken.
Was sollen wir von ihm halten? Wofür steht dieser Mann?
In den Evangelien kommt Pilatus am Anfang ganz gut weg. Es sieht so aus, als wäre nicht er schuld am Tod Jesu, sondern die Tempelpriester, die gegen Jesus hetzten und Stimmung machen.
Wollten die Evangelisten Pontius Pilatus in Schutz nehmen, weil sie Angst vor den Römern hatten?
Hatten die Christen Angst vor Repressalien, wenn sie den Römern die Schuld geben?
Schließlich steht aber doch Pontius Pilatus als der Verantwortlich da und sein Name ist es, der in Erinnerung bleibt bis zum heutigen Tage.
Alle vier Evangelisten erinnern uns daran, dass der höchste politische und militärische Vertreter des römischen Reichs in Judäa für die Hinrichtung Jesus am Kreuz verantwortlich war, wenn auch nicht als Täter, so doch als Letztverantwortlicher.
Auch wenn am Anfang die Stimmungsmache der Priester stand und es am Schluss einfache Soldaten waren, die den Befehl ausgeführt haben, Pontius Pilatus war es, der den Befehl gegeben hat.
Der Name dieses Menschen erinnert für alle Zeiten daran, dass es ganz konkrete Menschen sind, die verantwortlich sind für das viele Unrecht in der Welt. Wenn ein Unschuldiger eingesperrt, gefoltert oder gar getötet wird, geschieht das nicht ohne dass dafür ganz bestimmte Personen verantwortlich sind, nicht etwa ein Land oder ein ganzes Volk, kein System und auch nicht die Umstände, sondern immer ganz konkrete Personen, die einen Namen tragen, besonders Personen, die Macht und Einfluss haben. Sie tragen Verantwortung für willkürliche Verhaftungen, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für Folter, für Todesurteile, für die Hinrichtung Unschuldiger, für Angriffskriege, für den Tod von Zivilisten, für viel Leid und Elend in unserer Welt.
Das ist auch der Gedanke hinter dem Internationalen Strafgerichtshof. Vor diesem Gerichtshof in Den Haag können einzelne Politiker und andere einflussreiche Leute angeklagt werden. Es gibt diesen Strafgerichtshof noch gar nicht so lange, erst etwas über 20 Jahren und er ist hoch umstritten. Nicht alle Staaten erkennen diesen Gerichtshof an. Regierende haben Angst davor, eines Tages für ihre Taten strafrechtlich verfolgt und bestraft zu werden, so wie es schon einigen ergangen ist, hauptsächlich afrikanischen Militärführern.
Wir haben davon gehört dass Waldimir Putin, aber auch Benjamin Netanjahu vor diesem Gericht erscheinen sollen, wenn man sie eines Tages verhaften sollte.
Vor kurzer Zeit wurde der frühere Präsident der Philippinen verhaftet und dem Internationalen Gerichtshof in den Den Haag überliefert. Ihm wird vorgeworfen, massenweise Ermordungen veranlasst zu haben. Das Gericht wird darüber entscheiden, ob er deswegen ins Gefängnis gehen muss.
Solch ein Gericht gab es vor 2.000 Jahren nicht, aber der Name von Pontius Pilatus ist eine Mahnung für alle Zeiten, auf jene zu schauen, die entscheiden, die befehlen, die sich zwar gerne hinterher die Hände in Unschuld waschen, wie es so schön im Matthäusevangelium heißt, die aber trotzdem verantwortlich bleiben für das Unrecht, das sie verursacht haben oder einfach nicht verhindern wollten.
Zur Vorgeschichte des Internationalen Gerichtshofs gehören die Nürnberger Prozesse, die nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland durchgeführt wurden. Führende Nazi-Persönlichkeiten wurden angeklagt. Ihnen wurde vorgehalten, verantwortlich zu sein für die ungeheuerliche Verbrechen, die sie in Auftrag gegeben hatten. Etliche wurden hingerichtet wie Herrmann Görig oder zu langen Gefängnisstrafen verurteilt wie Rudolf Hess. Auch sie haben sich meistens nicht selber die Hände schmutzig gemacht, wie eben dieser Pontius Pilatus, der sich die Hände wäscht, um zu sagen, dass er mit alledem nichts zu tun haben will, auch wenn er es ist, der den Befehl gegeben hat.
Ihm gegenüber steht Jesus, der kaum ein Wort sagt, der sich nicht wehrt, der nicht protestiert, der den Weg geht, den Gott für ihn vorgesehen hat.
Jesus steht gewissermaßen über den Dingen.
Vor ihm ist dieser Machtmensch Pilatus, der ganz aufgeregt wirkt, der unsicher hin- und hergeht. Er läuft gewissermaßen von Pontius zu Pilatus, und weiß nicht recht, was er tun soll. Soll er Jesus freilassen oder ihn behandeln wie einen Verbrecher?
Ist er ein hin- und hergerissen zwischen Gut und Böse. Irgendwie erkennen wir uns in ihm wieder. Sind wir nicht auch oft hin-und hergerissen mit unseren Zweifeln, unserer Ungewissheit. Wir wissen, was eigentlich zu tun wäre, haben aber nicht den Mut oder die Kraft dazu. Darunter muss Jesus leiden, unter uns, unter Pontius Pilatus leidet Jesus, bis zum Tode an Kreuz.
Jesus geht diesen Weg, im Wissen, dass es der Weg ist, den Gott für ihn vorgesehen hat. Er geht diesen Weg ohne diejenigen zu verurteilen oder zu verfluchen, die ihn ans Kreuz bringen.
„Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“ So betet Jesus im Lukasevangelium für jene, die ihn foltern.
So leidet Jesus wehrlos, als Unschuldiger und geht mit Gott, den er Vater nennt, er geht den Weg zum Tod, und durch den Tod hindurch, zum ewigen Leben bei Gott Er tritt ein in eine andere Wirklichkeit.
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, so antwortet er Pilatus und so beschreibt er jene andere Wirklichkeit, auf die wir alle hoffen und die wir nach Karfreitag zu Ostern miteinander feiern werden.
Amen