Predigt zu Matthäus 5,9 (Friedensdekade)
am Sonntag, den 6. November 2022 von Pastor Christoph Rehbein

 

Liebe Gemeinde,

jede Zeit hat ihre Konfirmationssprüche. Ich denke noch oft an die erste Jubiläumskonfirmation, an der ich als Pastor mitwirkte. Das war vor gut 30 Jahren in Göttingen. Da waren viele männliche Jubilare dabei, die in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen geboren wurden. Die hatten von ihrem Pastor nicht selten diesen einen Spruch mit auf den Lebensweg bekommen. Der auch auf manchen Soldatengräbern steht. Oder auf Gedenktafeln, die an die Kriegsopfer erinnern: Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Offenbarung Johannes 2,10. Dieser vielfach missbrauchte Bibelvers tauchte bei den grünen Konfirmationen in der letzten Jahrzehnten nicht mehr auf.

Da wirkte sich dann schon eher der Einfluss pazifistisch gesonnener Nachkriegs-Eltern aus. Und so kommt in schöner Regelmäßigkeit Matthäus 5, Vers 9, zu Ehren:

Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.

So sagt es Jesus in seiner Bergpredigt. Über diesen Vers will ich heute sprechen. Mit der Frage, ob der sich wohl noch lange halten wird als Motto für den Lebensweg junger Menschen.

Auf Latein geht der Vers so: beati pacifici, quoniam filii Dei vocabuntur. Ähnlichkeiten sind alles andere als Zufall: Da kommt der Begriff Pazifisten her! Und die sind nun seit einem dreiviertel Jahr, militärisch gesprochen, absolut in der Defensive. Ja, auf dem Rückzug. Denn all die tollen Konzepte für soziale Verteidigung, für zivilen Widerstand, sie haben unter Russlands Angriff auf die Ukraine nicht gegriffen. Nicht greifen können? Kann hier nur Eskalation, also schwer bewaffneter Widerstand, wieder zum Frieden führen? Das sind große Fragen, über die wir demnächst bei einem Gemeindeabend diskutieren wollen. Bekommt der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt doch recht? Ich habe den Buchtitel der frühen achtziger Jahre noch klar vor Augen: Als Christ in politischer Verantwortung. Darin sein vieldiskutierter Satz: Mit der Bergpredigt kann man die Welt nicht regieren. Es folgt dann noch das berühmte Bonmot (oder Malmot?): Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.

Für die Vorbereitung meiner Predigt zog ich dann doch lieber einen aktuellen theologischen Katechismus zu Rate. Vom Heidelberger Theologieprofessor Gerd Theißen. Durchaus reformiert geprägt, vor einigen Jahren entdeckt vom früheren Kollegen Martin Goebel. Mit einem schönen Bibelstellen-Register. Auf Matthäus 5, Vers 9, wird immerhin zweimal Bezug genommen. Und da steht dann bei Theissen ein kerniger Satz. „Religiöse Moral hält an utopischen Zielen fest: Selig sind die Friedensstifter.“ Er hätte sicher auch sagen können: Christliche Ethik hält an utopischen Zielen fest! Mit solchem Rückenwind gehe ich es jetzt mutig an. Und versuche eine Ehrenrettung derer, die noch immer pazifistisch unterwegs sind. Denn das Ziel bleibt uns doch klar. Und einsichtig. In den atomaren Abgrund taumeln wollen wir keineswegs. In offenbar weiser Voraussicht wurde schon vor einem Jahr das Motto der heute beginnenden Friedensdekade festgelegt: Zusammenhalt. Mit einem mehr als nur neckischen Doppelpunkt vor den letzten vier Buchstaben. Zusammen:Halt! Stopp weitere Klimaerwärmung! Stopp lukrative Waffenproduktion! Stoppt das Gegeneinander mit Zusammenhalt.

Da würde sich aber der böse Kremlfürst ins Fäustchen lachen, wenn er den Herrn Rehbein so predigen hörte. So könnte jetzt manche:r von Ihnen still bei sich denken. Aber was ist die Alternative zum Frieden in der Ukraine, zum Frieden mit der Natur, unserer Mitwelt? Es droht ein Szenario, bei dem am Ende niemand mehr lacht, auch nicht ins Fäustchen. Ich weiß von einigen Mitmenschen, dass sich Weltuntergangsangst schon in die nächtlichen Träume hineinfrisst. Und das ist nicht nur eine German Angst. Manche von ihnen haben vielleicht noch die alte Luther – Übersetzung im Ohr: Selig sind die Friedfertigen. Das klingt im heutigen Sprachgebrauch eher passiv. Wehrlos und kraftlos. Doch auch oder gerade die pacifici mit ihrer Utopie brauchen Kraft. Luther hatte damals schon mit Recht dazu erklärt: „nämlich die den Frieden machen“. Man hat zur Übersetzungsverbesserung für die so genannte Revision dann noch mal in den griechischen Urtext geguckt. Makarioi Eirenopoioi steht da. Das bedeutet, ganz einfach und doch so schwer, Frieden machen. Selber machen. Gottes Frieden mitgestalten. Sonst droht immer Krieg! In der englischen Übersetzung kommt folgerichtig peacemaker dabei heraus. Das war unseren deutschen Schriftgelehrten zu popelig. Darum heißt es jetzt: Frieden stiften. Auch gut. Das macht deutlich, dass Frieden nicht einfach schon da ist. Sondern von Gott - und dann von uns Menschen einander - stets neu geschenkt werden muss. Und dass er kostbar ist.

Allein mit dem Adjektiv selig bleibe ich unglücklich. Mir klingt das zu verklärt. Hilfreich ist wieder das Englische: Blessed are the peacemakers. Gesegnet sind, die Frieden stiften. Das würde dann gut alttestamentlich im Umkehrschluss bedeuten: Verflucht sind die Kriegstreiber! Auf Waffen liegt kein Segen! Die Zeiten des Gott mit uns, die sind ein für alle Mal vorbei. Überall auf der Welt. Und Frieden stiften, das würde dann nicht mehr und nicht weniger bedeuten als das: Immer wieder zu diesem Kyrill hinzugehen. Ihm in den Ohren zu liegen. Dem Mann mit dem weißen Bart, auf den Putin vielleicht noch reagiert, wenn er mal seine Unterstützung zurückziehen sollte. Andere aus der russisch-orthodoxen Geistlichkeit sind schon so weit, dass sie klar sehen: Das russische Volk ist nicht an erster Stelle von Gott auserwählt. Darum, so schwer es auch fällt: Gut, dass Bedford-Strohm mit Unterstützung der Reformierten immer wieder darauf drängt, den dünnen Gesprächsfaden mit Kyrill zu erhalten. Auch dessen Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.

Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. Dieses Motto hat den früheren israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin gegen Ende seines Lebens geleitet. Er war lange Zeit ein Falke gewesen. Und dann bekam er 1994 zusammen mit Peres und Arafat den Friedensnobelpreis. Sein Denken hatte die Richtung gewechselt. Frieden und Ausgleich mit den Palästinensern, das muss doch möglich sein. Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. Da war er bei Rabbi Hillel in die Schule gegangen, einem Zeitgenossen Jesu. Von dem stammt dieses Zitat.

Im Arbeitskreis Juden und Christen lesen wir gerade von Hillel. In den Sprüchen der Väter, dem Weisheitsbuch im Talmud. Spruch Nummer 12: Hillel gab die Weisung: Sei ein Freund des Schalom, dem Schalom auf der Spur, ein Freund der Menschen, ihr Führer zur Tora. Zitat Ende.

Tora! Zehn Gebote! Sechstes Gebot: Du sollst nicht töten! Das gilt es neu durchzubuchstabieren! Charta der Menschenrechte. Vereinte Nationen. Das ist viel Arbeit. Im Spanischen heißt es in unserem Predigtvers: los que trabajan por la paz: Die für den Frieden arbeiten. Vielleicht so noch klarer gesagt als den Frieden machen. Die Macht der Diktatoren muss schrumpfen, die der UNO-Generalsekretäre wachsen. Sonst wird es nichts mit dem Frieden. Jesus war das sehr ernst. Als die Römer Palästina terrorisierten und ihn ans Kreuz nageln ließen, da war längst eine Vision aufgeleuchtet, die bis heute ausstrahlt: Gesegnet, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Ein letzter Gedanke geht zu den jungen Gottes-Kindern. Bei unseren Kindern gilt es anzusetzen, liebe Gemeinde: Gut dass unsere neue Landesregierung für die Kitas finanziell mehr tun will. Erzieherin und Erzieher im Kindergarten, was für ein wichtiger Beruf. Da anfangen, wo Kinder noch frei sind von Vorurteilen. Gegenüber denen, die andere Sprachen sprechen oder anders aussehen.  Eine Fachkraft erzählt aus ihrer Kita im westlichen Hannover. Alle Kinder haben sich neulich aufgestellt als Kreis mit dem umgedrehten Y in der Mitte als Peace-Zeichen. Sie kennen es. Dann wurde von oben ein Foto gemacht: Schaut her, ihr alle könnt einen Beitrag zum Frieden leisten. Das Foto hängt jetzt groß über der Eingangstür der Kita. Gesegnet, die für den Frieden arbeiten, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Amen.