Predigt von Pastor Christoph Rehbein über Exodus 33, Verse 17b-23
am 16. Januar 2022

Liebe Gemeinde,

eine ähnliche Szene hatte es ja schon mal gegeben. Am anderen Ende des Buches Exodus wird sie geschildert, vorne in Kapitel 3, Vers 14. Zu Beginn des Weges aus der Sklaverei in die Freiheit. Mose will Gottes Namen wissen. Seine Autorität will er festigen. Als Anführer dieser späteren Wüstentruppe namens Israel. Wo er schon ahnt: Dieser Weg wird kein leichter sein. Schweregrad drei wird er haben.

Ich werde sein, der ich sein werde. So lautet die Antwort des einen Gottes, der das alles initiiert. Der sein Volk, die von ihm geliebten kleinen Leute, in ein Land führen will, in dem Milch und Honig fließen. Inzwischen ist das Volk längst auf dem Weg. Der eine Gott hat Wort gehalten und sie durch die Wüste begleitet. Die Verfolger sind im Schilfmeer steckengeblieben. Und als der Hunger, die Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens, die Stimmung drückt, geschieht ein weiteres Wunder:

Jeden Morgen gibt es wohlschmeckendes, nahrhaftes Himmelsbrot, das Manna. Und am Sabbat Wachteln. Einmal die Woche Fleisch, so wie neuere Ernährungsratgeber es jetzt wieder empfehlen.

Und Mose, der Chef, der kann sogar herbes Wasser trinkbar machen. Mit Gottes Hilfe. Bitter nötig in der Wüste.

Genauso wie eine klare Orientierung. Gott zeigt den Weg: Tagsüber in der Wolken- und nachts in der Feuersäule, die vorangeht. Soweit alles klar.

Am Berg Sinai dann die große Gottesoffenbarung, die als Ergebnis zwei Tafeln mit zehn Geboten bringt. Von dem einen Gott persönlich handgeschrieben. Eingraviert in Granit. Und nun das! Was wir in der Lesung (Ex 32,1-14) gehört haben:

Mose, der die Tafeln persönlich empfängt, bleibt lange weg. Zu lange in den Augen vieler aus dem Volk. Sie ziehen sogar Moses Bruder Aaron auf ihre Seite. Richten ihre Energie in ihrem Zeltlager auf dem Bau eines Ofens. Nutzen die Kraft der Sonne und des Feuers gegen den einen Gott. Schmelzen sich ein Stierbild aus Gott zurecht, einen Gott zum Anfassen. Um den herum man tanzen kann. Nachzulesen in den Versen zwischen Lesungs- und Predigttext.

Mose, der Gottes Zorn schon mit klugen Worten besänftigt hatte, rastet jetzt aus. Die Geburtstafeln schmeißt er kaputt. Das goldene Kalb macht er zu Pulver. Und er lässt Israel davon Wasser mit Metallgeschmack trinken. Die kapieren dann samt Aaron, dass sie den Bogen überspannt haben. Mitten in der Wüste bricht eine Tristesse aus, schlimmer als jede Corona-Depression nach zwei Jahren Virus. Den restlichen Schmuck, der noch da ist, legt Israel ab. Totaler Lockdown. Was nun? Wie weiter?

Auch Mose hat sich völlig verausgabt. Er braucht jetzt mehr als einen Geistesblitz. Sein Akku benötigt eine umfassende schnelle Ladung. Ach Gott… Lass mich deine Herrlichkeit sehen!

Franz Rosenzweig und Martin Buber kommen dem Urtext näher, indem sie ihn so verdeutschen: Lass mich doch deine Erscheinung sehen. Hebräisch kawod, das hat drei Bedeutungen: 1) Gerechtigkeit, Schwere. 2) Ansehen, Würde. 3) Lichtglanz und Ruhm.

Mose meint das sicher sehr ernst. Noch immer kann er mit dem einen Gott sprechen wie ein Mann mit seinem Freund redet. Nun möchte er mehr. Am besten alles. Ich will dich noch näher bei mir. Deiner ganz sicher sein.

Allein, die Freundschaft mit Gott hat eine Grenze. Der Bund kann nur bestehen bleiben, wenn Mensch und Gott unterscheidbar bleiben. Gott sehen, das wäre lebensgefährlich. Das wäre der Tod. Aber hören wir doch, wie viel dem Menschen Mose hier angeboten wird: Gott kennt ihn mit Namen. Schon als Baby hat Mose Todesgefahr überlebt. Ist in seinem Schilfkorb im Nil am Leben geblieben. Der aus dem Wasser Gezogene, das bedeutet sein Name. Und der eine Gott bleibt jetzt mit ihm im Gespräch. Variiert seinen eigenen unaussprechlichen Namen einmal mehr: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig. Und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.

Und dieser treue Partner ist einer, der mehr als nur redet!

Er gibt dem Mose Halt!

Ich finde, jetzt folgt der Höhepunkt des Textes, einfach nur atemberaubend:

Und der Herr sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen.

Es kommt zu keiner mystischen Verschmelzung zwischen Gott und Mensch. Dem Mose bleibt Raum. Freiheit. Klare Wüstenluft zum Atmen. Und ein sicherer Standpunkt. Auf dem Felsen!

Bei dir, Gott, ist die Quelle des Lebens. Dieser Psalmvers (36,10) könnte von Mose stammen. Dem hier so vereinzelten Anführer der Wüstenpilger.

Liebe Gemeinde, kennen Sie auch die gängige Erklärung von einzelnen Menschen, die nicht zum Gottesdienst kommen wollen?

„Ich finde meinen Gott besser allein und draußen in der Natur. Auf einem Felsen etwa. Oder im Wald.“ Ich habe bislang immer heftig dagegengehalten. Dabei auch auf das Judentum verwiesen: Für einen Gottesdienst braucht es mindestens zehn Personen. Glaube heißt Gemeinschaft. Das bleibt richtig. Und ist doch nur die halbe Wahrheit. Oder besser die verzehnfachte?

Ich lese vor aus dem Talmud, Traktat „Sprüche der Väter“ 3,7:

Rabbi Chalafta ben Dosa aus Kefar Chananja sagt: Wenn zehn beisammen sitzen und sich mit der Tora beschäftigen, weilt die göttliche Gegenwart unter ihnen, denn es heißt (Psalm 82,1): „Gott steht inmitten der Gottesgemeinde.“

Worin ist es begründet, dass dies selbst nur für fünf gilt? Darin, dass es heißt (Amos 9,6): „Und er hat seinen Bund (Hebräisch Aguda= eine Vereinigung von fünf) auf Erden gegründet.“

Worin ist es begründet, dass dies selbst für drei gilt? Darin, dass es heißt (Psalm 82,1): „Inmitten der Richter (Dreierkollegium) richtet er.“

Worin ist begründet, dass dies selbst für zwei gilt? Darin, dass es heißt (Maleachi 3,16): „Dann sprechen (zwei) Gottesfürchtige miteinander, und der Herr merkt auf und hört es.“

Es geht gleich weiter, zwischendurch fällt sicher vielen von Ihnen das Wort Jesu ein. Die Stelle, die Skatspieler sich gut merken können - sehr reizvoll: 18-20. Matthäus 18,20:

„Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“

Der Talmud geht weiter zurück: Worin ist begründet, dass dies (die Zusage der Gegenwart Gottes) selbst für einen gilt? Darin, dass es heißt (Exodus 20,24): „An jedem Ort, an dem ich meinen Namen nennen lasse, werde ich zu dir kommen und dich segnen.“

Liebe Gemeinde, genau das geschieht Mose. Und deshalb findet der Weg des einen Gottes mit seinen Menschen eine Fortsetzung. Der Unverfügbare bleibt sich treu. Und seinen Menschen auch! Mose kriegt neue Kraft.

Auch wenn die eine Grenze bleibt: Gott sehen, das wäre der Tod.

Ich möchte zum Ende der Predigt kommen und ihnen erzählen, was ein Vater seiner vierjährigen Tochter erklärt hat. Die genau wie Mose Gott endlich einmal in seinem vollen Lichtglanz sehen will. Und nicht locker lässt.

„Schau in die Sonne!“, ist Papas merkwürdige Idee.

„Papa, das geht doch nicht. Dann verbrennen meine Augen!“

„Siehst du, genau so wäre es mit Gott. Aber schließ mal deine Augen und genieße die Strahlen der Sonne. Was spürst du?“

„Ich spüre Wärme. Das tut gut!“

Mose wird geschützt vor der verzehrenden Energie des einen Gottes. Und der gewährt ihm, der sein Freund bleibt, Schutz in einem Spalt des Felsens. Und hält seine Hand über ihn. Segnet ihn.

Mose kann dem Gott hinterhersehen, der vorausgeht.

Dessen Handeln ich oft erst später verstehe, im Nachhinein. Der aber immer Spuren in meinem Leben hinterlässt.

Vielleicht kann diese eher stille Winterzeit auch eine Anregung geben, liebe Gemeinde. Die Augen ab und an schließen, sei es im Gottesdienst, sei es draußen in der Natur: hinhören, was der eine Gott mir sagen will. Seinen Spuren nachspüren: Als ich nach einer Krise wieder auf festen Grund gestellt wurde. Auf Felsen. Oder geschützt in einen Felsspalt. Gesegnet. Wieder mit einem Ziel vor Augen. Begleitet von Gottes Gegenwart:

Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig. Und wessen ich mich erbarmen, dessen erbarme ich mich.

Und Gottes Friede, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.

Amen.