Wer bereitet dem Raben die Speise, wenn seine Jungen zu Gott rufen und irrefliegen, weil sie nichts zu essen haben?

Liebe Gemeinde… ich lese gerade einen Krimi, in welchem der Kommissar zwar als liebenswert unorthodox geschildert wird, aber auch als geizig. Als sein Sohn klein war, ist er, um das Eintritts-geld zu sparen, mit diesem nie in den Zoo gegangen, sondern immer nur ins Tierheim. Der arme Sohn: 20 Hunde, 40 Katzen, 3 Papageien und zwei Schildkröten. Das war´s dann. Da haben Sie´s heute besser. Nicht nur die Raben aus Hiob 38 kann ich Ihnen bieten, sondern auch einen Igel, ein Krokodil, eine Hyäne und sogar einen bengalischen Tiger.

Natürlich geht es mit dem Raben los: Wer bereitet dem Raben die Speise, wenn seine Jungen zu Gott rufen und irrefliegen, weil sie nichts zu essen haben? Eine Frage, die Sie vermutlich bislang nicht gestellt haben… Vielleicht haben Sie ´mal einen Igel im Herbst gefunden… einen viel zu kleinen und schwachen… und haben mehr zu sich selbst als zum Igel gesagt: Wer füttert dich denn jetzt durch? Vermutlich hat der Igel Ihnen nicht geantwortet… nun, bei uns, Familie Bröhenhorst, (natürlich spielte sich das Ganze an einem Samstag vorm Gemeindefest ab) bei uns musste er das auch nicht: antworten; denn bei uns war klar: Den müssen wir durchfüttern irgendwie… und so war´s dann auch… und wir haben´s  auch geschafft… ein Prachtkerl am Ende… wenn seine Mutter das noch erlebt hätte… aber die hatte ihn ja im Stich gelassen…

Was mich wieder zu den Raben bringt…  denn dass wir heute noch von Rabeneltern sprechen… das liegt an dieser Stelle aus Hiob 38 (und einer weiteren ähnlichen Psalmstelle)… das liegt an der an dieser Stelle gemachten Beobachtung, dass die jungen Raben sich die Seele aus dem Leibe krächzen vor Hunger und sich scheinbar weder Rabenvater noch Rabenmutter um sie kümmern und darum regelrechte Rabeneltern sind… weshalb wir in eben diesem Sinne von Rabeneltern sprechen als von solchen, die sich um ihre Brut nicht kümmern…

Ist aber falsch… die Beobachtung ist falsch… die Rabenjungen verlassen zwar tatsächlich schon vor dem endgültigen Flüggewerden das Nest und wirken zumeist sehr unfertig und sehr allein gelassen, aber sie sind es nicht… irgendwo auf Beobachtungsposten sitzen Rabenvater oder Raben-mutter, passen auf und versorgen die Kleinen auch, sind also alles andere als Rabeneltern…

Der stehende Begriff allerdings: Du bist ein Rabenvater… Immer nur in der Kneipe und nie zu Hause… und wenn doch, dann gingest du besser wieder zurück zu deinen Saufkumpeln… der stehenden Begriff… „Rabenvater“… meint allerdings eine solche Vernachlässigung, die zwar an der Natur selbst keinen Anhalt hat, aber in unserer Sprache -Rabeneltern, Rabenvater, Rabenmutter- genau dies meint… da nutzen auch keine Krokodilstränen, die ja bekanntlich auch in der Natur von Krokodilen nicht geweint werden … es in unserer Sprachwelt aber eben doch tun… wie da einen auch der Affe laust… und man einen Frosch im Hals hat… alles Sprachbilder…

In Hiob 38… da meint es jemand allerdings ernst mit dem, was er da sagt… er meint das ernst, weil er trösten will… er stellt es als allgemeines Wissen hin… dass die Rabenjungen tatsächlich (im schlechten Sinne) Rabeneltern haben… und (jetzt kommt der Punkt)… und doch groß werden… dass die Rabenjungen Rabeneltern haben und doch (letztendlich) nicht verhungern… in Hiob 38 weist jemand darauf hin, dass jeder flüchtige Beobachter sagen muss: Aus den Rabenjungen wird nichts mehr, die sind ja ganz allein, die armen Waisen… und dass aus denen dennoch etwas wird…

Und des Rätsels Lösung, wie das denn sein kann… dass da welche trotz Rabeneltern groß werden und sie nicht verhungern und aus ihnen dennoch noch etwas wird… des Rätsels Lösung ist Gott… Er sorgt dafür, dass das so passiert… seine Fürsorge macht das… weil er das will… Leben (und besonders gefährdetes Leben) erhalten…

Kein Zufall… dass ebendiese Ansicht im Buche Hiob steht… und dass sie dem Hiob gesagt wird… ihm, der sich selbst und anderen mit seinem Leiden zum Rätsel geworden ist… ihm, mit dem der Verdacht unabweisbar da ist, dass wir gegen Gottfried Wilhelm Leibniz doch nicht in der besten aller möglichen Welten leben, sondern bestenfalls in einer Werdewelt, die noch nicht fertig ist…

Diesem Hiob, elend, allein und verlassen… einem Rabenjungen gleich…diesem Hiob wird gesagt: Es gibt Hoffnung für dich; denn siehe doch, höre doch: die Sprache der Natur, Gottes Sprache in der Natur:

Weisst du wieviel Sterne stehen
an dem blauen Himmelszelt?
Weißt du wieviel Wolken gehen
weithin über alle Welt? …
Weißt du wieviel Mücklein spielen
in der hellen Sonnenglut?
Wieviel Fischlein auch sich kühlen
in der hellen Wasserflut?
Gott, der Herr, rief sie mit Namen,
dass sie all' ins Leben kamen…
kennt auch dich und hat dich lieb,

Ja, es gib noch Hoffnung, du armes aus dem Nest gefallenes Vögelchen Hiob… du armer Rabe… Gott ist deine Hoffnung…

Weisheitlich ist diese Art der Gottesrede, die mehr oder weniger ungebrochen Dinge und Ereignisse des Lebens oder der Natur auf Gott bezieht… und umgekehrt: Dinge und Ereignisse des Lebens oder der Natur für Gott sprechen lässt…

Jesus hat auch  weisheitlich gesprochen… in der Bergpredigt zum Beispiel… wenn er auf die Lilien auf dem Felde hinweist und auf das Gras auf dem Felde… und auf die Vögel unter dem Himmel, die nicht säen und nicht ernten und die der himmlische Vater doch ernährt.

Jesus hat auch weisheitlich geredet… hat so geredet, dass er Gott und Welt nicht auseinander-reißt, sondern dass er Gott und Welt miteinander verschränkt… So viele Gleichnisse für Gott überall… so viele… man muss nur die Augen aufmachen; dann sieht man sie; denn „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk. Ein Tag sagt´s dem andern, und eine Nacht tut´s kund der andern.“ (Psalm 19; oftmals vertont).

Ist das Naturromantik?, muss man natürlich fragen. Geht das auf? Geht solch ein weisheitlicher Ansatz auf? Oder ist das wie Heimatfilm, den man sich mal anschauen kann… zur Entspannung mal so zwischendurch… auch deshalb, weil man ansonsten genug Stress hat… aber natürlich: nur als Ausnahme… nur als Sonderfall… denn der Regelfall in den Nachrichten, in der Zeitung, in den Heimen, Pflegestationen, Krankenhäusern… ist ja ein anderer... und macht die Frage um so bohrender, wie tragfähig die Sache mit der Weisheit ist und mit den Vögeln unter dem Himmel, die nicht säen und nicht ernten… und mit der Antwort an Hiob…: Doch es gibt noch Hoffnung für dich, du armes alleingelassenes Rabenjunges.

Ich weiß: Man kann zu schnell „Gott“ sagen… zu schnell… so, dass Gott immer passt… beim Pastor, der mich konfirmiert hat, war „Gott“ immer die Antwort auf alle Fragen war…  Gott passte immer… Sie und ich, wir wissen: So einfach geht es nicht…Und auch nicht so prompt… nicht so, wie das zwischen meiner Frau und mir eingespielt ist, wenn ich am Dienstagabend vom Sport komme und die Frage stelle: Wer hat das letzte Tor geschossen? (Das letzte Tor ist nämlich, da wir auf Ergebnis spielen, immer das Siegtor)… also, wenn ich schon so frage, dann sagt sie: Du natürlich. Du natürlich. Klar.

Ich kann aber nicht jeden Dienstagabend so fragen… denn manchmal verliere ich auch, manchmal schieße ich auch nicht das letzte Tor…

Du natürlich…. Geht nicht immer…

Gott, natürlich… die Weisheit versucht, das so zu sagen. Die Weisheit versucht, eben so von Gott zu sprechen… ein Versuch, der mir von meinen theologischen Lehren stets verdächtig gemacht wurde… oftmals unter Hinweis auf die Erzählung Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“: „Wann bist du eigentlich lieb, lieber Gott? Warst du lieb, als du meinen kleinen Jungen, der gerade ein Jahr alt war, als du meinen kleinen Jungen von einer brüllenden Bombe zerreißen ließest? Oder warst du lieb, als von meinem Spähtrupp elf Mann fehlten? Elf Mann zu wenig, lieber Gott. … Warst du in Stalingrad lieb, lieber Gott…? Wann warst du denn eigentlich lieb, lieber Gott, wann? Wann hast du dich jemals um uns gekümmert, lieber Gott?“

Wolfgang Borchert… „Draußen vor der Tür“, 1946… Schmerzsprache… Aufschreisprache… Sprache der Verzweiflung… und damit Sprache, die ganz entschieden nicht weise sein will… ja, die sich durch Weisheit nur verhöhnt fühlen würde…

Und doch… Karl Barth hat gegen Ende seines Lebens gesagt, dass das Problematisieren keine letzte Kunst ist… und ich denke das auch: das Problematisieren ist keine letzte Kunst… ich weiß natürlich nicht, was ich dem Borchert antworten soll… ich habe schon sehr oft nicht gewusst, was ich antworten soll… vor Jahren in der Kapelle des Nordfriedhofes in Hildesheim, als eine schluchzende Mutter über einem kleinen  weißen Kindersarg liegt…  Was sagt man da? Am besten gar nichts. Nicht wahr. Gar nichts.

Aber wenn irgend das Wort „Gott“ irgend Sinn haben soll… wenn  nicht nur die jungen Raben zu Gott rufen (und er sie versorgt)… sondern auch der gekreuzigte Jesus zu Gott ruft… und damit keineswegs einen ewigen Karfreitag einleitet… sondern am dritten Tage auferweckt wird von den Toten, dann muss da Antwort sein… muss sie… und dann bleibt Gott das einzige Wort, von dem ich Antwort erhoffe… auch wenn ich selbst diese Antwort nicht geben kann… es muss dennoch Antwort da sein… verbürgt in Ihm, unserem Herrn…davon bin ich überzeugt… und eben dies, dass es Ant-wort gibt, das ist das Recht der weisheitlichen Rede von Gott… das spricht dafür, dass Gott ein gutes Wort ist und bleibt … dennoch… für alle armen Raben dieser Welt…

Mit dem Jugendkreis habe ich vor Jahren den Film gesehen: Life of Pi / Schiffbruch mit Tiger; eine spannende und auch eine religiöse Geschichte… der Held dieser Geschichte namens Pi ist auch eine Art Hiob… er, ein ca. 15 Jahre alter Junge, verliert bei einem Schiffsuntergang seine ganze Familie und treibt auf einem kleinen Rettungsboot durch den Pazifik… mit im Rettungsboot (als vorläufige Überlebende eines Zoo, der an Bord war) sind: ein verletztes Zebra, eine Hyäne, ein Orang-Utan-Weibchen und ein bengalischen Tier namens Richard Parker… nachdem die Hyäne das Zebra verspeist und den Orang-Utan getötet hat, wird sie selbst vom Tiger, der dann allein von den Tieren noch da ist,  gefressen… Der Film lebt von der Spannung zwischen den Bedrohung Pis durch den Tiger und der Leidensgenossenschaft, in die beide gestellt sind… nach der Rettung (auch der Tiger überlebt)... nach der Rettung wird Pi vernommen. Die Versicherungsvertreter glauben ihm seine Geschichte nicht. Also erzählt Pi ihnen eine zweite Geschichte, diesmal ohne Tiere, aber für Versicherungsvertreter annehmbarer. Zum Schluss fragt Pi: Welche Geschichte halten Sie für besser – die mit den Tieren oder die ohne die Tiere? Die mit den Tieren, sagen beide Versicherungsvertreter. Sehen Sie, sagt Pi, und so ist es auch mit Gott.

Die Geschichte mit Gott ist die bessere. Sie ist es. Darum loben wir Ihn, auch dann, wenn uns nicht zu loben zumute ist. Wir loben Ihn dennoch… unser Lob ist das vorweggenommene Echo der neu-en Schöpfung, nach der alle Welt seufzt. Amen.