Predigt von Pastorin Griemsmann am Sonntag, den 10. Januar 2020

Römerbrief 12, Verse 1 und 2:

Ich ermahne euch nun, Brüder und Schwestern, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

Liebe Gemeinde,

dem Neuen wohnt ein Zauber inne, dichtete Hermann Hesse. Wo ist dieser Zauber zu Beginn des neuen Jahres? Was lässt uns zögern? Was hindert uns? Beim Jahreswechsel haben wir vieles vermisst: eine fröhliche Silvesterparty, ein Konzert am Neujahrstag, Ausflüge in den Schnee, unbekümmerte Ferientage für Schüler und Schülerinnen, Schnäppchenjagd in den Geschäften. All das fehlt. Und der Verlust stimmt traurig. Aber auch das sollten wir festhalten: Die Feinstaubbelastung ist in diesem Jahr viel geringer. In den Wohnungen können wir uns Zeit für einander nehmen, für Lektüre, Musik und Spiele, für lange Telefonate, für Informationen aus dem Internet. Wir können arbeiten und lernen. Die Tage werden schon ein bisschen länger und heller. Es ist ein zurückgezogenes Leben. Auf Zeit. Befristet. Aus gutem Grund.

Bei der Ehrenamtlichen der ökumenischen Essenausgabe machte sich Enttäuschung breit, als die Gäste nur vereinzelt eintrafen. Jedoch konnten die Obdachlosen deshalb ohne Wartezeit eintreten, sich aufwärmen, bekamen ihre warme Mahlzeit, fanden einen ruhigen Platz. Sie mussten nicht angehalten werden, den Raum möglichst schnell wieder über den Ausgang zu verlassen. Weil der Besucheransturm ausgeblieben ist, ist es ruhiger. In den Fokus kommen die einzelnen Menschen. Das hat sein Gutes. Ein geschenkter Perspektivwechsel.

Der Apostel Paulus beendet seinen lehrenden Teil des Römerbriefs im 11. Kapitel und wendet sich in den letzten fünf Kapiteln mit Konkretionen an den Kreis der Lesenden. So viele Fragen hatte er ihnen im ersten Teil beantwortet: über die Barmherzigkeit Gottes, die in Christus Jesus offenbar geworden ist, über die Zugänge der Glaubens für die Juden und für die Heidenvölker, über die große Hoffnung der Christen und die Befreiung der Schöpfung. Und wahrscheinlich gingen seine Ausführungen weit über die Beantwortung von Fragen hinaus. In unserem Predigttext versucht er den Brückenschlag von dem Inhalt des Glaubens zu den Umsetzungen: wie kann  der Glaube gelebt werden? Worauf ist zu achten?

Auf die Barmherzigkeit Gottes sollen die Christen mit einem vernünftigen Gottesdienst antworten. Ihre Opfer sollen sie nicht am Eingang eines Gotteshauses bei Händlern erwerben und Priestern übergeben, sondern sie sollen sich selbst einbringen – in ihrem Tun und Lassen. Mit Hingabe. Wie sagte schon der Prophet Hosea (6,6): Gott spricht: Denn ich habe Lust an der Liebe, und nicht am Opfer, und an der Erkenntnis Gottes, und nicht am Brandopfer. Was ist das für ein Gottesdienst? Vernünftig oder vernunftgemäß oder geistig – so wird der griechische Begriff übersetzt. Auf jeden Fall ist es ein Gottesdienst, in dem sich die Menschen als vernunftbegabt, denkend, bewertend und überlegend einbringen können. Die Funktion der Liturgie, der Rituale und der Sakramente nimmt Paulus nicht in Blick. Er wendet sich also nicht gegen schön gestaltete, liturgische Gottesdienste. Ansprechende Gottesdienst tun vor allem denen gut, die sie mitfeiern: sie dienen der Erbauung und dem Trost, der Vergewisserung und der Gemeinschaft. Sie feiern die Hoffnung. Die Lieder singen gegen Resignation und Verzweiflung. Sie geben Kraft.

Aber das Verhalten versteht Paulus genauso wie der Prophet Hosea als Dienst der Menschen für Gott. Nachdem Gott seine Barmherzigkeit als Dienst für die Menschheit offenbar werden lässt, können die Menschen Gott dienen. Der Dienst für Gott fließt in den Alltag, in das Entscheiden und Tun ein. Beruft er Menschen nicht in den Dienst? Traut er diesen Dienst nicht denen zu, die auf ihn hören?

Nach dem Verstehen der Grundlage des Glaubens geht es nun um das Umsetzen. Auch da beginnt etwas Neues: Nachdem ihr von Gottes Barmherzigkeit erfahren habt und sie euch für euer eigenes Leben erkennen könnt, achtet darauf, wer oder was auf euch noch einwirkt. Entzieht euch den bisherigen Dingen und lasst andere an euch geschehen. Lasst Gottes Erneuerung an euch wirken, so könnt ihr Gottes Willen besser erkennen und ein Ja dazu finden. Das geschieht langsam. Es ist ein Prozess

Paulus geht behutsam vor. Er weiß. dass sich das Neue nur langsam und in Rückversicherung ausbreiten kann. Und dass es viele Hindernisse gibt, den Aufbruch mitzuvollziehen: Besondere Verzögerungen gab es in der Geschichte des Volkes Israel, als es noch in Ägypten lebte und die Verhandlungen des Mose mit dem Pharao erlebte: der Aufbruch wurde verzögert durch den Starrsinn des Pharao. Sicher. Durch seinen Hochmut. Die 10 Plagen sollten Moses Verhandlungsposition unterstützen. Auf Seiten der Israeliten gab es ein mangelndes Selbstbewusstsein, sich auf Gott einzulassen. Sie standen unter Stress, weil sie sich vor den  Konsequenzen seiner Zuwendung scheuten. Vor diesem Verhalten warnte Paulus die Gemeinde in Rom: vor Überheblichkeit der einen gegenüber den anderen. Es heißt: „Dass niemand mehr von sich halte, als sich´s gebührt.“ Und gegen mangelndes Selbstbewusstsein der einzelnen erinnerte Paulus sie mit folgenden Worten daran: „Wir haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.“ Und psychischen Stress begegnete er durch das Bild des Körpers mit den vielen Gliedern: „dass aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben..“. Hochmut, falsches Selbstbewusstsein und Stress - All das behinderte in Ägypten und in Rom den Aufbruch ins  neuen Leben.

Paulus reiht nicht eine Forderung an die andere. Er will nicht überfordern. Er spricht die Leser in Rom als denkende, bewertende, urteilende Menschen an: Achtet darauf, welche Worte ihr hört? Fördern sie Frieden und Gerechtigkeit? Überlegt, in welchen Zusammenhängen ihr euch bewegt. Dienen sie dem Zusammenleben? Sind sie Gott wohlgefällig?

Paulus Worte sollen keinen neue Stress auslösen, gewiss nicht. Wenn ein Neuanfang in unserem Leben gelingen soll, dann müssen wir auf Gottes Töne in unserem Leben hören. An manchen Orten weitet sich mein Horizont, andere Ort vermitteln mir Scheuklappen. De Geduld mancher Menschen tut mir besonders gut, andere setzen mich unter Stress. Statt nur Tun und Machen, kann die einige Situation überprüft werden. Wir können Gottes Wirken an und in uns Raum zu geben, damit er uns verwandelt und Neuanfänge möglich werden....

Vielleicht hilft uns gerade diese Möglichkeit, um mit den Enttäuschungen heute umzugehen: sich gute, vernunftgemäße Gründe sagen zu lassen, warum der Kontakt noch weiterhin beschränkt werden muss. Weiterhin Geduld aufbringen, obwohl es immer mühsamer und aufwändiger wird. Die Einschränkungen in unserem Leben auch weiterhin als Chance begreifen, das Unscheinbare aufwerten, das Selbstbewusstsein der Schwächeren stärken. Und für die, die so viel Überheblichkeit und Hochmut zeigen, beten, damit ihnen ihre neue Aufgabe mit weniger Öffentlichkeit erträglich wird. Unseren Sinn erneuern, unsere Lebensbezüge überprüfen und Gottes Geist Raum geben, so kann unser vernünftiger Gottesdienst in neuen Jahr aussehen.

Amen.