Predigt am 10. Oktober 2021  über 2.Mose (Exodus) 34, 4-10 & 28

Liebe Gemeinde,

Bis vor drei Tagen waren meine Frau und ich in Frankreich. Dort geht man als Fußgänger auch bei Rot über die Straße. Wenn kein Auto kommt, überquert man einfach die Straße. Das ist da ganz normal.

Wenige wissen, dass man dafür theoretisch bestraft werden könnte. Die Polizei kann dafür 4 Euro Bußgeld verlangen.

Hierzulande bleiben beinahe alle Fußgänger an der roten Ampel stehen, auch wenn weit und breit kein Verkehr kommt. In Deutschland müsste man für die Ordnungswidrigkeit 5 Euro bezahlen. Kaum mehr als in Frankreich und trotzdem halten sich beinahe alle daran.

In der Bibel steht nichts darüber, wie man sich als Fußgänger an einer Ampel verhalten muss. Damals gab es weder Autos, noch Ampeln, noch Zebrastreifen.

In der hebräischen Bibel, im Alten Testament zählt man insgesamt 365 Verbote und 248 Gebote. Orthodoxe Juden bemühen sich alle diese Regeln möglichst wörtlich zu beachten. Das mag uns viel vorkommen, aber im Vergleich zu unseren tausenden von Gesetzen und Verordnungen, die wir in Deutschland ziemlich genau einhalten, ist das beinah gar nichts.

Ich habe gelesen, dass es in Deutschland etwa 4.500 Bundesgesetze und Bundesverordnungen gibt und dazu kommen noch tausende von Ländergesetzen und Landesverordnungen. Gesetze spielen also eine große Rolle in unserem Leben,

Auch im heutigen Predigttext aus dem Alten Testament geht es um Gesetze, aber nicht nur:

Exodus 34,4-10 & 28

Da hieb Moses zwei Steintafeln zurecht wie die ersten, und früh am Morgen stieg er den Berg Sinai hinan, wie der Herr es ihm geboten hatte, und er nahm zwei Steintafeln mit sich. Der Herr aber fuhr in der Wolke herab und trat dort neben ihn. Und er rief den Namen des Herrn aus. Und der Herr ging an ihm vorüber und Moses rief: Der Herr, der Herr, ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und von großer Gnade und Treue, der Gnade bewahrt Tausenden, der Schuld, Vergehen und Sünde vergibt, der aber nicht ungestraft lässt, sondern die Schuld der Vorfahren heimsucht an Söhnen und Enkeln, bis zur dritten und vierten Generation. Und sogleich neigte sich Mose zur Erde und warf sich nieder und sprach: Wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen, Herr, so gehe der Herr in unserer Mitte. Wohl ist es ein halsstarriges Volk, doch vergib unsere Schuld und unsere Sünde, und nimm uns an als dein Eigentum. 1Da sprach er: Sieh, ich schließe einen Bund. Vor deinem ganzen Volk werde ich Wunder tun, wie sie auf der ganzen Erde und unter allen Völkern nicht geschaffen worden sind. Und das ganze Volk, in dessen Mitte du bist, wird das Werk des Herrn sehen. Furchterregend ist, was ich mit dir tun will…

28 Und Moses war dort beim Herrn vierzig Tage und vierzig Nächte, ohne Brot zu essen und Wasser zu trinken, und er schrieb auf die Tafeln die Worte des Bundes, die zehn Worte.

Es geht wohl hier um das, was wir die zehn Gebote nennen, die Moses auf dem Berg Sinai erhalten hat. Sie werden hier die „zehn Worte“ genannt. Wir haben sie im Konfirmandenunterricht gelernt. Sie stehen im Katechismus. In vielen reformierten Kirchen sind sie an die Wand geschrieben. Im 2. Buch Mose wird erzählt, dass Gott selber diese Gebote auf Steintafeln geschrieben hat und dass Moses sie vom Berg Sinai heruntergetragen hat. Als er unten ankam und sah, wie sich das Volk Israel von seinem Gott abgewandt hatte, um ein goldenes Kalb anzubeten, da ist Moses wütend geworden. Aus Zorn hat er die Steintafeln hingeschmissen und sie sind zerbrochen. Wohlgemerkt war es Mose, der wütend war und nicht Gott. Jedenfalls gibt Gott dem Volk eine zweite Chance und nun kommt Moses ein zweites Mal vor Gott und bringt Steintafeln mit auf den Berg. Dieses Mal schreibt Moses die Gebote auf, die Gott ihm diktiert.

Im 2. Buch Mose stehen nicht nur die zehn Gebote. Kapitel für Kapitel folgt ein Gebot auf das andere, Regeln für das Zusammenleben des Volkes und Regeln für die Verehrung Gottes, Regeln für das Opfern, Regeln für den Gottesdienst, für die Feiertage und den Sabbat. Es geht also um die Gesamtheit der Lebens- und Verhaltensregeln, die nach biblischer Überlieferung durch Moses dem Volk Israel mitgeteilt wurden.

Dieses Regelwerk ist nicht das Ergebnis von Beratungen und Abstimmungen in einem Parlament. Es ist überliefert als Gottes Willen und bietet seitdem so etwas wie den Rahmen für das gesellschaftliche und religiöse Leben, nicht nur für Juden, sondern auch weitgehend auch für uns bis auf den heutigen Tag. Es prägt das, was man als jüdisch-christliche Kultur bezeichnet, aber was uns der heutige Predigttext sagen will, ist, dass Gott nicht nur ein Gesetzgeber ist.

In unserem Predigttext gibt es nämlich noch zwei Aspekte, die genauso wichtig sind und die unser Verhältnis zu Gott wesentlich bestimmen.

Erstens ist da die Erkenntnis, dass Gottein barmherziger und gnädiger Gott ist, langmütig und von großer Gnade und Treue, der Gnade bewahrt Tausenden, der Schuld, Vergehen und Sünde vergibt“. In der Beziehung zu Gott geht es also nicht bloß um blinden Gehorsam und das Befolgen von Regeln, sondern auch darum von Anfang an dass der Mensch unfähig ist, immer das Gute und Richtige zu tun. Trotzdem lässt Gott den Menschen leben und vergibt ihm seine Schuld. Andrerseits bleiben Ungehorsam und Bosheit des Menschen nicht ohne Konsequenzen. Ja, bis in die dritte und vierte Generation spüren wir die Folgen, sagt Moses. Denken wir nur an die Folgen von Kriegen. Wie das Töten, die Vertreibung von Menschen, die Gewalt, die Zerstörung von Städten noch Generationen später unvergessen bleibt. Denken wir an die Folgen der Umweltverschmutzung, denken wir daran, wie der Raubbau an Ressourcen, die Abholzung von Wäldern, die Vergiftung der Böden noch viele Generationen gesundheitlich belasten wird. Denken wir daran, wie Generationen nach uns die Last unserer Verschwendung, die Last der Staatsverschuldung werden tragen müssen. Nichts bleibt ohne Folgen, ohne Strafe und dennoch erkennen und erfahren wir, dass Gott an uns festhält, dass Gott uns liebt und uns nicht vernichten will. So wendet sich Moses vertrauensvoll an Gott und bittet stellvertretend für das ganze Volk: „Vergib unsere Schuld und unsere Sünde, und nimm uns an als dein Eigentum.“

Zweitens bestimmt noch etwas anderes unser Verhältnis zu Gott, nämlich die Zusage, dass Gott Wunder tun will. Wir erfahren, dass Gott nicht ein für alle Mal gesprochen hat, nicht ein für alle Mal Gebote verkündet hat, die in Stein gehauen sind, und uns dann allein gelassen hat mit all diesen Geboten und Verboten, an denen wir schier verzweifeln könnten.

Nein, Gott bleibt mitten unter den Menschen lebendig und Gott tut erstaunliche Dinge.

So jubelt Moses und freut sich darüber, dass Gott ein lebendiger Gott ist, der das Volk aus Ägypten befreit und durch die Wüste begleitet hat.

So erleben es auch die Menschen in der Erzählung, die wir heute aus dem Markusevangelium gehört haben. Jesus sagt zu dem Gichtbrüchigen: Dir sind die Sünden vergeben! Und er heilt ihn von seiner Krankheit, dass er aufstehen und wieder laufen kann.

So kommen in unserer Beziehung zu Gott drei Dinge zusammen:

Erstens gibt es Regeln und wir kennen diese Regeln.

Zweitens weiß Gott, dass wir diese Regeln verletzen. Er gibt uns aber immer wieder eine Chance, auch wenn wir an den Folgen unserer Schuld und an der Schuld früherer Generationen manchmal schwer tragen müssen.

Drittens ist Gott nicht nur ein Regelwerk in Stein gemeißelt sondern ein lebendiger Gott, der unter uns wirkt und erstaunliche Dinge tut, ein Gott der Wunder tut, ein Gott, der begeistert und heilt und uns liebt.
Amen