Predigt zu Lukas 19,1-10 – Der Zöllner Zachäus

Pastorin coll, Carolin Zierath

  1. Predigttext

Liebe Gemeinde,

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Lukasevangelium, im Kapitel 19, die Verse 1-10. Es ist die Geschichte von Zachäus, dem Zöllner. Ich lese aus der Zürcher Übersetzung vor. Den Bibeltext unterbreche ich mit Versen aus einer Ballade von Rainer Schnebel mit dem Titel „Zachäus der Bäumling“    

1 Und Jesus kam nach Jericho und zog durch die Stadt.
2 Und da war ein Mann, der Zachäus hieß; der war Oberzöllner und sehr reich.
3 Und er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus sei, konnte es aber wegen des Gedränges nicht, denn er war klein von Gestalt.
4 So lief er voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn sehen zu können; denn dort sollte er vorbeikommen.

Ich sitze im Baum auf einem Ast,
ich bin nur klein und er ist so groß.
Wir tragen beide eine Last,
der Baum trägt mich, ich Sorgen bloß.
Der Baum ist schön, der Baum ist gut,
im Baum zu sitzen macht mir Mut.
Ich meide das Licht und liebe den Schatten,
im Baum, im Schatten will ich sein,
und die, die mich gefürchtet hatten,
die stehen unten dichtgedrängt und klein.
Mich im Schatten sieht man nicht,
ich sitze allein, sie stehen im Licht.

Man liebt mich nicht
und will mich auch nicht sehen
sie verachten mich schlicht,
keiner will zu mir stehen.
Ich bin allein so wie ich bin,
allein zu sein macht keinen Sinn.
Wir warten alle auf einen Mann,
da vorne kommt er durch die Massen,
es heißt, dass er Leben verändern kann,
dann müsste ich ja meinen Schatten verlassen.
Ich will ihn nur sehn,
beim vorübergehen.

5 Als Jesus an die Stelle kam, wo Zachäus im Baum saß, schaute er nach oben

Der Baum gibt mir Geborgenheit,
doch vor meinem Baum hält Jesus an,
er redet von tiefer Veränderbarkeit,
ich bin ganz nah an Jesus dran.
Jetzt trifft mich sein Blick,
er meint mich, es gibt kein Zurück.
Dann spricht er mich an,
mein Versteck ist erkannt,
Jesus selbst hat mich dann
bei meinem Namen genannt.

Zachäus, los, komm herunter, denn heute muss ich in deinem Haus einkehren.
6 Und der kam eilends herunter und nahm ihn voller Freude auf.
Er, Jesus, holt mich vom Rand in die Mitte hinein,

das kann nur Gottes Liebe sein.
Ja, er holt mich vom Rand in die Mitte hinein,
das muss Gottes Liebe sein.

7 Und alle, die es sahen, murrten und sagten: Bei einem sündigen Mann ist er eingekehrt, um Rast zu machen.
8 Zachäus aber trat vor den Herrn und sagte: Hier, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, Herr, und wenn ich von jemandem etwas erpresst habe, will ich es vierfach zurückgeben.
9 Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams.
10 Denn der Menschensohn ist gekommen zu suchen und zu retten, was verloren ist.

  1. Hinführung

Liebe Gemeinde,

Als ich die Geschichte von Zachäus nach Längerem mal wieder in der Bibel durchlas, fiel mir auf, wie nüchtern sie eigentlich erzählt ist. Die Zürcher Übersetzung, die ich gewählt habe, ist sogar schon etwas lebendiger gestaltet als die Lutherübersetzung. Wenn es in der Zürcher heißt „Und er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus sei, konnte es aber wegen des Gedränges nicht“, dann kommt darin schon sehr viel Gefühl zum Ausdruck. Im Verhältnis zu manch anderer biblischen Geschichte, muss man sagen, ist diese Geschichte auch recht lang erzählt. Oft sind die biblischen Geschichten ja sogar noch kürzer und nüchterner gehalten.

Dennoch, ich habe mich dieses Mal beim Lesen gefragt, wie erging es eigentlich den Menschen bei diesem Geschehen? Wie erging es all den Menschen, die dicht gedrängt beieinander standen und so sehnsüchtig auf Jesus warteten.

Und vor allem, wie hat sich Zachäus bei all dem gefühlt, was ging in seine Inneren vor?

III.      Eine missliche Situation

Die Ballade von Rainer Schnebel gibt mir einen kleinen Eindruck davon.

Sie beschreibt, dass Zachäus lieber unbemerkt bleiben will. Die Menschenmenge ist im Licht. Sie sind viele, er ist allein auf dem Baum. Er will im Schatten bleiben, sich nicht der Menschenmenge stellen. Sein schlechtes Gewissen macht ihm zu schaffen. Er ist ins Dunkel geraten. Das zeigt mir auch der Bibeltext, in dem ohne jeden weiteren Erklärung in Vers 8 die plötzliche Wende kommt, wenn es da heißt: „Zachäus aber trat vor den Herrn und sagte: Hier, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, Herr, und wenn ich von jemandem etwas erpresst habe, will ich es vierfach zurückgeben.“

Sein schlechtes Gewissen musste groß gewesen sein, denn dieser Vers zeigt deutlich, dass er die Gesetze der Tora kannte, gegen die er verstieß. Er zitiert hier nämlich aus der Tora, genauer aus dem 2. und 4. Buch Mose, wenn er sagt, dass er das Vierfache zurückgeben will. Er weiß, was dort geschrieben steht über die sündigen Taten und welche Art von Wiedergutmachung darauf zu folgen hat.

Ist das auch der Grund, warum Zachäus Jesus gern sehen möchte? Sein schlechtes Gewissen und die Möglichkeit, es wieder gut zu machen?

Im Bibeltext steht nur, dass Zachäus auf der Suche nach Jesus ist. Alles andere ist also Spekulation. Sicherlich wird er von Jesus und seinen Taten gehört haben. Ebenso wie die anderen Bewohner von Jericho. Aber da ist, denke ich, noch mehr: Er wird nicht nur durch das schlechte Gewissen angetrieben. Ich denke vielmehr es ist eine Hoffnung oder eine Erwartung, die ihn antreibt.  Anscheinend ist sein Leben etwas aus der Bahn geraten. Das mag vor allem an der Art der Ausübung seines Berufes gelegen haben: Als Oberzöllner besteht seine Hauptaufgabe darin, den Menschen Geld abzunehmen. Ein Oberzöllner zahlt dem Staat ein Jahr im Voraus einen gewissen Betrag. Und dann muss er dafür sorgen, dass er beim Einziehen der Steuern und Gebühren irgendwie selbst auf seine Kosten kommt. Zachäus kann also die Steuern und Zölle nach freiem Ermessen festlegen. Er verlangt natürlich mehr Geld als nötig wäre. Zachäus ist ein knallharter Geschäftsmann. Nur so kann er sich selbst und seiner Familie ein besseres Leben ermöglichen. Ein großes Haus, eine gut gefüllte Speisekammer und ein bisschen Luxus. Zachäus hat seinen Traum realisiert: Er ist wohlhabend.

ABER, das muss er jetzt erkennen, er ist nicht glücklich. Er ist ein Ausgestoßener. Zachäus hat seinen Platz in der Gemeinschaft der Menschen verloren. Er wird nicht anerkannt und noch schlimmer, die Menschen schimpfen sogar auf ihn, überall wo er hinkommt.

Sicherlich leidet auch die Familie des Zachäus. Wer will schon etwas mit der Tochter des Oberzöllners zu tun haben?

Zachäus hat sich in seinem Leben verirrt und nun steckt er fest. Wie kommt er nur aus dieser misslichen Situation wieder heraus?

  1. Er wird gefunden

Zachäus fasst den Entschluss, irgendetwas in seinem Leben zu ändern. Er weiß selbst noch gar nicht genau, was er ändern möchte. Und er weiß auch noch gar nicht, was das mit diesem Tag und diesem Jesus zu tun hat. Er geht an diesem Tag einfach nur verunsichert auf diesen Platz und verkriecht sich in seinen Baum. Was er in diesem Moment weiß ist, dass er einfach nur wieder glücklich sein will. Ein Wunsch, den doch eigentlich jeder Mensch hat. Zachäus sucht das Glück. Er sucht – und, das erstaunliche an dieser Geschichte, er wird gefunden. Ja, Zachäus sucht und wird gefunden. Das Glück findet ihn. Jesus findet die Suchenden.

Jesus ruft ihn bei seinem Namen: „Zachäus!“ – Der „Gerechte“ heißt das. Passt doch gar nicht, war mein erster Gedanke. Er ist doch der sündige Zöllner. Ein sündiger Gerechter?  Ja, denn Jesus kommt und handelt in Gottes Auftrag, so steht es im Text „Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist“. Jesus schaut Zachäus ins Herz. Er sieht mehr, als die anderen Menschen sehen. Er nimmt Zachäus wahr. Als Mensch, so wie er ist. Jesus erinnert ihn daran, wo er hin gehört. Nicht auf einen Baum. Sondern mitten in die Gemeinschaft. Er hat einen Platz bei den Menschen. Er hat einen Platz bei Gott. Und vor Gott ist er längst ein Gerechter, trotz all seiner Verfehlungen. Gott nimmt auch die Sünder an. Denn Gott liebt den Menschen. Den Schwachen und den Starken gleichermaßen. Das ist Gottes Zusage an uns: „Ich will das Verlorene suchen und das Verirrte zurückbringen. Was schwach ist stärken und was stark ist behüten.“ (Ez 34,16a). So verspricht Gott es im Alten Testament beim Propheten Ezechiel.

  1. Gottes Zusage

Und Gott Zusage steht auch heute noch! In jedem Leben gibt es die Momente, in denen man sich verloren fühlt und denkt: „Ich habe einen geliebten Menschen enttäuscht. Ich genüge meinen eigenen Ansprüchen nicht. Ich bin alleine und ungeliebt. Ich mache alles falsch. Ich bin einfach nichts wert.“ Der Erfolgsdruck in unserer Gesellschaft ist enorm. Und wenn man dann einmal scheitert, besteht die Gefahr, dass man daran kaputt geht. Man geht verloren: Plötzlich stehe ich alleine da, ohne Freunde. Die Familie möchte nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich habe das Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben. Das Leben geht weiter ohne mich – und ich habe meinen Platz darin verloren. Doch genau dann kann ich mir sicher sein, dass jemand diesen Verlust bemerkt. Gott nämlich. Er macht sich dann auf die Suche nach mir. Gott liebt mich. So wie ich bin. Dieses Wissen wirkt unglaublich befreiend. Es nimmt den Erfolgszwang weg. Ich muss nicht erst große Taten oder Veränderungen vollbringen, damit Gott beginnt mich zu lieben. Seiner Liebe kann ich mir sicher sein: Im Erfolg und im Scheitern.

Zachäus musste sich nicht erst vorher ändern, damit Jesus ihn besucht. Dennoch bewirkt der Besuch von Jesus bei ihm eine extreme Verhaltensänderung, diese plötzliche Wende, die nicht unbemerkt bleibt: Er möchte seinen Reichtum teilen und den Schaden, den er angerichtet hat, wieder gut machen. Zachäus hat jetzt eine andere Blickrichtung. Er weiß wieder wo er hin gehört. Er wurde wieder auf seinen Weg gebracht. Und Zachäus hat nun ein anderes Verhältnis zu Gott – und zu sich selbst. Wann immer er jetzt von seinem Weg ab kommt weiß er, Gott wird mich finden.

Und auch wir dürfen aus seiner Geschichte lernen: Gott findet auch uns.

Dieses Wissen stimmt mich am heutigen Sonntag, der die Dankbarkeit zum Thema hat, ganz besonders froh und dankbar. Wir gehen Gott nicht verloren! Gott sei Dank!!! Diesen Gott will ich loben, der mich immer wieder findet und aus den Tiefen meines Lebens holt.

Amen.