Predigt von Pastor Christoph Rehbein
über Lukas 10, Vers 20
am 21. Februar 2021

Liebe Gemeinde, ich fange am Ende an.
Bei dem für Februar ausgelosten Monats-Bibelvers.
Leicht zu merken: Lukas 10, Vers 20.
Jesus sagt zu denen, die mit ihm unterwegs sind:

Freut euch, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind.

Die Freude zu der Jesus auffordert, die stelle ich noch für einen Moment zurück.
Dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind...

Das fiel mir am Freitagabend ein. Als ich einen ausführlichen Bericht im Fernsehprogramm aus Hessen sah. Über Hanau ein Jahr danach. Über den Mord eines 43-jährigen komplett fehlgesteuerten Mannes an neun Menschen. Die ihm nicht passten, weil er sie fremd fand in seiner Stadt, in Hanau-Kesselstadt. Ihre Namen sind aufgeschrieben auf Plakate. Sie sind zu lesen auf T-Shirts der Angehörigen. Sie sind eingeschrieben in ihren Herzen. Ein Vater stellt der Polizei schwere Fragen, deren Antwort noch aussteht. Eine Mutter ist mit dem Bürgermeister von Hanau in Schulen unterwegs. Um ganz einfach die Menschenrechte zu beschreiben. Und was es bedeutet, mit Leib und Seele dafür einzustehen. Ihre Geschwister sind stark und solidarisch mit den Opfern, die ihnen so nahe stehen, noch immer. Und sie lassen ihren Tränen freien Lauf vor der Kamera.

Einer der Ermordeten, Ferhat Unvar, hat Gedichte geschrieben.
Eine Zeile klingt jetzt wie eine Vorahnung:

Tot sind wir erst dann, wenn man uns vergisst.

 Und das genau, das wird verhindert! Wenn ihre Namen erinnert und laut gelesen werden. Auch bei uns in Hannover. Vorgestern bei 750 Menschen am Steintor:

Mercedes Kierpacz,  Hamsa Kurtovic, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Paun, Sedat Kürbüz, Kaloyan Velkov, Ferhat Unvar, Fatih Saracoglu, Gökhan Gültekin.

#Saytheirnames. Das ist der Name des Treffpunktes von Angehörigen und Freunden. In Hanau gegenüber der Shisha-Bar, die als Ort der furchtbaren Tat geschlossen wurde.

Sind die neun Namen jetzt im Himmel aufgeschrieben? Im Islam wie im Christentum heißt die Antwort Ja. Gott, Arabisch Allah, ist hier wie dort ein Gott der Gerechtigkeit. Das blühende Leben der jungen Mitmenschen – auf der Erde ist es brutal abgeknickt. Getötet.
Trotzdem – wir halten fest: am Glauben, an der Hoffnung. Die neun haben Frieden im Himmel, bei Gott, gefunden. Frieden, den wir noch suchen müssen. Als unmittelbar Betroffene wie als Mittrauernde.

Freut euch, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind.

Das wäre sehr schwer zu sagen gewesen, vorgestern dort in Hanau. Das wären zwei Worte zu viel. Freut euch? Nein. Das passt da einfach nicht.
Ich schalte um auf unsere Situation, die weniger stark belastet ist.
Wie geht es uns damit? Freude empfinden? Ich denke, das fällt fast allen gerade sehr schwer.
Mutation des Virus. So heißt das angstmachende Faktum, das auch die Region Hannover befällt. Und insgesamt die Zahlen wieder nach oben treibt. Könnte schneller wirksam werden als der Impfstoff, der so langsam an den Start gekommen ist. Geduld ist gefragt, aber wer hat sie noch?

Freut euch, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind!?

Wie gern würde ich meinen Namen erst einmal wieder auf Erden aufschreiben! Ihn registrieren, damit meine Anwesenheit dokumentieren lassen. Meinetwegen sehr gerne, wenn ich damit wieder unter Menschen komme, im Kino, Restaurant oder in der Gemeinde.
Unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden gaben gestern beim Zoom-Unterricht ihrem derzeitigen Lebensgefühl immerhin überwiegend noch die Note Drei. Obwohl die vielen Videokonferenzen für die meisten sehr anstrengend sind.

Befriedigend, reicht das noch aus? Läuft uns jetzt die Zeit davon?

Jesus sagt den Menschen, die sich zu ihm halten, erst einmal etwas Überraschendes. Die machen gerade die Erfahrung: In der Gegenwart des Mannes aus Nazareth werden kranke Menschen wieder gesund. Verzweifelte schöpfen wieder Hoffnung. Lebensmüde werden wieder munter und optimistisch. Die um Jesus herum sind, die spüren plötzlich selber heilende Kräfte in sich. Und gehen auch ohne ihn zu den Menschen, die bedürftig sind. Lieben ihre Nächsten so, dass die Welt plötzlich anders aussieht. Dämonen verlieren an Kraft, Schlangen und Skorpione ihren Schrecken. Ein großes Fenster wird aufgestoßen zum Reich Gottes. Dessen Kommen wir bis heute mit jedem Vaterunser-Gebet herbeisehnen. Jesus weiß: Noch ist Gottes Zeit nicht vollkommen da. Noch sind wir bedroht vom Tod. In Jerusalem stehen drei Kreuze, die haben wir noch vor uns. Noch haben nicht alle Menschen den Schalter auf Gottes Liebe umgelegt.

Im KU machen wir uns den christlichen Glauben mithilfe eines Perlenarmbandes klar. Ein evangelischer Bischof in Schweden hat es in den neunziger Jahren erfunden. Es wird zusammengehalten durch einen Knoten unter der goldenen Perle. Das Symbol für Gott. In dessen Namen wir Gottesdienst feiern. Der jede und jeden von uns auf rechter Straße führt um seines Namens willen. Des Namens, der da lautet: Ich bin der ich bin. Ich werde für euch da sein als der ich für euch da sein werde.

Die vorletzte runde Perle des Armbandes ist schwarz wie die Nacht. Sie steht für den Tod. Für die ganze Leidenszeit von Jesus, die letzten Mittwoch mit dem Aschermittwoch angefangen hat. Sie ist nicht umsonst länger als die Adventszeit.

Tot sind wir erst dann, wenn man uns vergisst. So dichtet Ferhat Unvar.

Wie gut, dass die lange Erinnerungszeit an das Leiden Jesu auf das Frühjahr gelegt ist. Ich habe gestern Morgen, bevor es hell wurde, in unserer Straße eine erste Amsel laut singen gehört. Die hat mir eine feste Hoffnung eingeflötet, meinen Glauben neu gestärkt.

Ich möchte meine Gedanken und Gefühle nicht von sinkenden oder wieder steigenden Inzidenzien bestimmen lassen. Wesentlich ist doch vielmehr das Vertrauen darauf:

Gott kennt den Namen jedes Menschen, den er, den sie geschaffen hat. Am Ende steht nicht der Tod, nicht einmal der gewaltsame und zu frühe Tod. Über der Erde ist Gottes Himmel. Am Ende steht wieder das Leben.

Die letzte Perle, die wieder hinführt zu Gott, ist die weiße. Auf das Leiden folgt das Leben. Auf die Passion folgt Ostern, auf den Tod die Auferstehung.

Und am Ende steht wieder Gottes Name: Der über alle unsere Namen wacht, den wir mit Jesus Christus verbinden, dem Trost im Leben und im Sterben.

Darum freut euch, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind.

Und der Friede Gottes, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.