Predigt am 12.6.2022 über 1. Mose 50, 15 – 21

15 Die Brüder von Josef bekamen jetzt wieder etwas Panik. Denn jetzt war ihr Vater tot und konnte sie nicht mehr beschützen, falls Josef doch noch die Hasskappe gegen sie schieben würde. „Was machen wir nur, wenn er uns jetzt hasst und uns das zurückzahlen will, was wir ihm ange-tan haben?“ 16 Sie schrieben Josef deswegen einen Brief: „Lieber Josef, dein und unser Vater hat uns noch eine Anweisung gegeben, bevor er gestorben ist. Er sagte: 17 „Bittet Josef um Verzeihung wegen der linken Sachen, die ihr ihm angetan habt! Sagt ihm: Wir bitten dich um Verge-bung und unser Gott ist Zeuge!“ Als Josef den Brief las, kamen ihm die Tränen. 18 Seine Brüder gingen dann zu ihm hin und knieten sich auf den Boden. „Wir tun alles, was du willst! Wir sind deine Sklaven!“ 19 „Hey, Leute, steht auf! Ihr braucht echt keine Angst zu haben! Ich bin doch nicht Gott! 20 Ihr hattet wirklich üble Pläne mit mir, aber Gott hat das absolut Genialste da draus gemacht. Er hatte den besten Plan, er wollte über diesen Umweg vielen Menschen das Leben retten. Es war alles in seiner Idee mit drin. 21 Es gibt keinen Grund noch Angst zu haben! Ich pass auf euch und eure Kinder ab jetzt auf, könnt ihr euch wirklich drauf verlassen!“ So holte Josef seine Brüder erst mal runter und ermutigte sie.

 

Liebe Gemeinde,
nein, das ist nicht die Lutherübersetzung und auch nicht die Zürcher Bibel… das ist die Volx-Bibel… volx hinten mit x geschrieben… eine Bibel, die aus der Jesus-People-Bewegung kommt… von Menschen, die als Christen bewusst an sozialen Brennpunkten– z.B. in Berlin – zu wirken sich vorgenommen haben und die in ihrer Begegnung mit denen am Rande der Gesellschaft schnell gemerkt haben: Die sprechen ganz anders. Da gibt es keinen Partner, keinen Ehepaar oder Lebensabschnitts-partner, sondern da heißt es: Das ist mein Typ… oder eine Sache, die irgendwie beachtlich und bemerkenswert ist, ist nicht etwas, was dein und Ihr Interesse zu wecken sich anheischig machen könnte… nein, viel zu lang: das ist ein „burner“. Und darum kann Josef in dieser Geschichte, in der es zu einem guten Ende zwischen ihm und seinen Brüdern kommt…. darum kann Josef natürlich auch nicht  seinen Brüdern „gram“ sein, wie es selbst noch in der neuesten Lutherübersetzung heißt… gram… ja, gewiss ein gutes Wortes… aber – du lieber Himmel! - ein Wort absoluter Hochsprache… ein Wort, bei dem ich denke, dass es die meisten der Abiturienten nicht mehr verstehen…nein, Josef kann nicht seinen Brüdern gram sein. Die Brüder fragen sich:  Was machen wir nur, wenn Josef uns immer noch hasst?

Das versteht man. Das versteht jeder. Und jeder versteht damit auch: Da steht etwas Spitz auf Knopf. Die Sache kann scheitern. Sie kann an ein unglückliches Ende kommen. Sie könnte nicht mit einer Versöhnung abschließen, sondern mit einer Zerrüttung.

„gram“… darum: viel zu schwach… „anfeinden, befehden, verfolgen“ umschreibt denn auch das Wörterbuch die Vokabel, die da im Hebräischen steht… anfeinden, befehden, verfolgen… er könnte uns hassen, der Josef…

Nun, Josef hasst nicht. Er vergibt. Vielleicht erinnert er sich daran, dass er selbst auch nicht ohne war. Dass er seine Brüder gereizt hat bis aufs Blut. Dass er ein Angeber war. Ein Aufschneider. Hochnäsig. Kurz: Dass die Verteilung von Täter und Opfer so ganz nahtlos zwischen ihm seinen Brüdern nun auch nicht aufgeht. Er war auch ein Täter, der Josef. Einst. Und dass seine Brüder sagten: Jetzt ist Schluss. Der braucht eine Grenzerfahrung – das war verständlich. Sicher, sie hätten ihn nicht in eine Zisterne wer-fen und dann an eine Karawane verkaufen müssen. Das nicht. Das war überzogen. Aber ein Denkzettel für einen Angeber und Auf-schneider – ein solcher Denkzettel gefällt uns in aller Regel ja auch

uns ganz gut.

Bei meinem Schulfreund in der Siedlung lebte jemand, ein Mann (nicht ganz alt, aber auch nicht mehr ganz jung), der die großen amerikanischen Autos liebte – und sie auch pflegte. Alles immer tipptopp innen wie außen. Ihm machte es Spaß, das Garagentor aufzuschieben und sich mit seinem Straßenkreuzer… langsam fahrend, damit ihn alle sehen konnten… durch die Siedlung zu be-wegen oder in der nächsten Stadt an prominenter Stelle zu parken. Eines Tages kam dieser Mann mit einem neuen Auto an. Er hatte sein altes gegen ein neues getauscht. Das neue war natürlich noch größer, hatte noch mehr Chrom… und sah noch amerikanischer aus – so wie jener Mann das liebte. Als er in die Auffahrt seines Hauses fuhr und dort hielt, war er rasch von etlichen jungen Men-schen aus der Nachbarschaft umringt… und auch ein paar ältere kamen herbei, um das neue Auto in Augenschein zu nehmen. Der Mann fühlte sich geschmeichelt, strich mit der Hand über den glänzenden Lack des Autos und meinte mehrmals: Da hat sich General Motors wieder was Nettes einfallen lassen. Da hat sich General Motors wieder was Nettes einfallen lassen.

Ja, so war es wohl. Und niemand – weder von den Jungen noch von den Alten, die da in der Auffahrt um das neue Auto herum-standen, wagte in irgendeiner Weise einen Widerspruch. Als nun aber jener Mann sich hinters Steuer setzte, um dieses Gefährt, auf das er so stolz war, in die Garage zu fahren, stellte sich heraus: das Nette, was sich General Motors mal wieder hatte einfallen las-sen, passte in die Garage nicht hinein. Das Nette war zu groß. Der Mann war sprachlos. Eben noch 200 Wörter pro Minute. Jetzt verstummt. Und alle – so sind halt Nachbarn – alle, ob alt oder jung, die das miterlebt hatten, gingen mit so einem Grinsen nach Hause.

Ich schätze: die meisten von uns wären das auch: grinsend nach Hause gegangen, in der Überzeugung: Geschieht ihm recht – dem Angeber. Geschieht ihm recht.

Nicht die Liebe zu amerikanischen Autos, wohl aber eine Bega-bung, Träume zu haben und diese deuten zu können, sind das ho-he Ross, auf dem Josef sitzt. Zudem ist er seines Vaters Lieblingssohn und trägt  im Gegensatz zu seinen Brüdern  einen bunten Rock, ein buntes Gewand… gewissermaßen so, als wären da elf schwarze Raben, alle ziemlich ähnlich; er aber, Josef, ist der eine Papagei unter all den Raben… Das konnte nicht gutgehen. Und das ging auch nicht gut: Weg mit ihm! Zunächst wollen sie ihn töten, die Brüder, aber dann verkaufen sie ihn an eine Karawane. und die verkauft ihn weiter an den Hof des Pharao in Ägypten…

Das bringt großes Leid über Josef. Und das bringt auch Jakob, dem Vaters Josefs, großes Leid. Jakob will sich kaum trösten las-en. Er ist über den vermeintlichen Tod des Josef… denn die Brü-der zeigen ihrem Vater das Gewand Josefs, das sie mit dem Blut eines Ziegenbockes getränkt haben… also denkt Jakob: Josef ist einem wilden Tier zerrissen worden … Jakob ist über den vermeintlichen Tod des Josef todtraurig.

Wenn ich ein Filmregisseur wäre, würde ich sagen: Hier machen wir mal einen Schnitt. Das ist filmtechnisch ein gutes Ende. Ein gutes Ende für den ersten Teil einer – sagen wir mal – 6-teiligen Serie über die Geschichte Josefs und seiner Brüder.

Denn alle, die den Anfang mit Josefs Angebereien, mit der überzogenen Rache seiner Brüder und der tiefen Trauer des Vaters mit-bekommen haben… alle fragen sich natürlich: Wie geht es denn jetzt weiter? Wie? Fortsetzung folgt… so hieß es dann früher im Fernsehen, als es noch die sogenannten Straßenfeger gab. Fortsetzung folgt. Und wenn es ein erster, zweiter oder dritter Teil einer Serie tatsächlich schaffte, Spannung aufzubauen und diese Frage: Wie geht es denn jetzt weiter? , dringlich zu machen… dann fieberte – vielleicht nicht die ganze Nation – aber sehr viele fieberten mit und saßen auf die Minute pünktlich vor dem Fernseher, wenn der

nächste Teil der Serie ausgestrahlt wurde…

Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern… die ist eine Novel-le, so hat das Gerhard von Rad gesagt… das heißt: sie wird nicht nur irgendwie erzählt, sondern sie ist bewusst als Erzählung gestaltet… mit Spannungselementen wie sie einem Film-Regisseur zur Ehre gereichen würden… dabei kein Kinderfilm das Ganze, eher ein Krimi, ein Drama, freigegeben ab 12 Jahren… und je nachdem, wie sehr man Gefallen daran hätte, die Annäherungs-versuche der Frau des Potiphar in Szene zu setzen… die Frau des Potiphar, die den schönen Joseph verführen will, so dass er vor ihr flieht… je nachdem wäre dieses Drama vielleicht auch erst ab 16 freigegeben… Das war die Frau von Portifar, / die ungemein erfahren war / in allen Liebessachen… sangen ja einst die Comedian Harmonists nicht ganz ohne Grund… Verwicklungen also, Verwicklungen, die den Josef - diesmal völlig schuldlos - schon wieder ins Gefängnis bringen. Und damit könnte gut ein 2. Teil der Serie Josef und sein Brüder enden, ein zweiter Teil, der ebenfalls eine Spannung aufbaut

und erneut die Frage aufwirft: Wie geht es denn jetzt weiter?

Meine Mutter, die pflegte ja stets die Spannung und damit auch die Lust am Mitfiebern voreilig zunichte zu machen… kaum waren in einer Sendung, bei einem Film, einer Filmfolge, einer Filmserie alle handelnden Personen irgendwie vorgestellt… dann sagte Mutter sogleich… wirklich sehr schnell , nach wenigen Minuten nur…: Die, die da…. und der, der da… die kriegen sich…die kriegen sich…

auch wenn mein Bruder, mein Vater und ich wie aus einem Munde

sagten: Mutter…das wollen wir doch noch gar nicht wissen…und vielleicht stimmt´s ja auch nicht… nein: das musste raus: Die kriegen sich... und es stimmte auch immer… die kriegten sich wirklich.

In der Geschichte von Joseph und seinen Brüdern ist das auch so. Die kriegen sich. Weshalb manche die Geschichte als zu glatt, zu kitschig, nicht kritisch genug usw. ablehnen. Ist die Welt nicht so ganz anders? Heißt es nicht: Unter jedem Dach ein Ach? Wo geht schon wirklich etwas auf – und dann auch noch so harmonisch?

Nun, ich sage mal: Ist doch schön. Ist doch schön, wenn da nach Irrungen und Wirrungen welche wieder zusammen sind. Ist doch schön, wenn da welche im Frieden zusammen sind und sich offen in die Augen schauen können. Ist doch schön. Es gibt doch auch gute Nachrichten, auch wenn die lange nicht so viel Aufsehen erre-gen wie schlechte. Aber es gibt sie. Josef vergibt. Er trägt nicht nach. Er rechnet nicht auf. Er hasst nicht. Er grollt nicht. Vielleicht erinnert er sich tatsächlich: Ich war auch nicht ohne. Und meine Brüder sind es auch nicht. Niemand ist ohne Fehler. Niemand. Und dem einen, der ohne Fehler ist, Ihm, dem entsprechen wir just so, dass wir einander vergeben. Just so. Darum sagt Josef: Hey Leu-te, steht auf. Ihr braucht keine Angst zu haben. Ich bin doch nicht Gott, so die Volx-Bibel. Die Lutherbibel übersetzt: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen. Und die Zürcher Bibel sagt: Gott hat alles zum Guten gewendet.

Ja, das kann er. Alle Dinge zum Guten wenden Und manchmal geschieht das auch.

Damit will ich nicht die Welt schön reden. Aber ich will Gott … ja:

schön reden… wäre missverständlich ausgedrückt… ich will Gott als Wort unbedingter Hoffnung groß machen…

Martin Buber wurde mal gefragt, wie er in dieser Welt, die so schrecklich ist, immer noch das Wort „Gott“ in den Mund nehmen könnte.

Und Buber hat geantwortet: Ja, es ist das beladenste aller Menschenworte. Keins ist so besudelt, so zerfetzt worden. Gerade deshalb darf ich darauf nicht verzichten. Die Geschlechter der Menschen haben die Last ihres geängstigten Lebens auf dieses Wort gewälzt und es zu Boden gedrückt; es liegt im Staub und trägt ihrer aller Last...

„Es trägt ihrer aller Last“… es trägt unser alle Last… Das tut es. Er tut das. Haben wir doch auch schon oft besungen: Du edles Angesichte, / davor sonst schrickt und scheut / das große Weltgewichte: / wie bist du so bespeit, / wie bist du so erbleichet! / Wer hat dein Augenlicht, / dem sonst kein Licht nicht gleichet, / so schändlich zugericht´?... Wenn ich einmal soll scheiden, / so scheide nicht von mir… Er trägt unser aller Last.

Josef kannte noch kein Passionslied…aber er wusste genug von Gott, um vergeben zu können… Hey Leute, steht auf. Ihr braucht

keine Angst zu haben. Amen.