• Predigt
»Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.« (Röm 1,7) Amen.

Liebe Gemeinde,
der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im 5. Buch Mose, Kapitel 8. Ich lese den ersten Teil – in der Übersetzung der Guten Nachricht:
Und Mose sprach zu seinem Volk: »7 Der Herr, euer Gott, wird euch in ein schönes und fruchtbares Land bringen. In der Ebene wie im Bergland gibt es dort Quellen und Bäche, die unerschöpflich aus der Tiefe hervorsprudeln. 8 Es gibt Weizen und Gerste, Trauben, Feigen und Granatäpfel, Oliven und Honig. 9 Ihr werdet euer Essen nicht sorgsam einteilen müssen, es wird euch an nichts fehlen. Das Land hat sogar eisenhaltiges Gestein und in seinen Bergen könnt ihr Kupfer schürfen. (Pause)
10 Wenn ihr euch dann satt essen könnt, sollt ihr dem Herrn, eurem Gott, aus vollem Herzen danken für das gute Land, das er euch gegeben hat. 11 Vergesst nicht den Herrn, euren Gott! Missachtet nicht seine Weisungen, Gebote und Rechtsbestimmungen, die ich euch heute verkünde! ...«


I.
Liebe Gemeinde!
Wahrscheinlich können Sie von weitem gar nicht erkennen, was ich hier in der Hand halte. Es ist ein winziger Kern aus einem einfachen Apfel.
Ein kleiner Apfelkern – wie passt das zum großen Thema von Erntedank? Da kommen uns doch eher die Bilder von geschmückten Tischen in den Sinn, auf denen die Erträge der Felder und Bäume in all ihrer Pracht zu sehen sind – wie ausschnittsweise hier in unserer Kirche.
Beides hat mit Erntedank zu tun: Der ausgereifte, geerntete, saf­tige Apfel und der kleine, unscheinbare Apfelkern, den wir so schnell unbedacht wegwerfen.

Heute feiern wir das Erntefest. Und wir sagen Gott Dank für alles, was er uns zum Leben gibt und wachsen lässt. Wir danken Gott auch für das, was er zwischen Menschen hat wachsen lassen. Für Vertrauen und Liebe, für Freundlichkeit und Geduld, für Anteil geben und Anteil neh­men. Für das Helfen und das Hilfe-Empfangen.
Wir danken Gott dafür, dass andere für uns und vor uns gesät, ge­pflanzt und geerntet haben. Ohne die anderen Menschen, die vor unserer Zeit z. B. Apfelbäume gepflanzt und veredelt haben, hätten wir keine reifen, genießbaren Äpfel. Das meiste, was wir ernten, verdanken wir der Sorge und Mühe anderer Menschen.1
Aber diese Anstrengungen von Menschen wären vergeblich, wenn nicht Gott – der Schöpfer allen Lebens – seinen Segen darauf gibt. Wenn Gott nicht das Wachstum zu unse­ren Bemühungen dazugibt, können wir nichts ernten. So heißt es ja auch in dem bekannten Erntedanklied: »Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.« (Pause)

II.
Lassen Sie uns noch einmal auf diesen Apfel schauen. Er ist die Frucht eines langen Ent­wicklungsprozesses. Aus einem winzigen Apfelkern ist irgendwann ein kleines Apfelbäumchen geworden. Es ist über die Jahre gewachsen. Zweige wurden veredelt. Dann fängt das Bäumchen an zu blühen, und aus den Blüten entstehen die Früchte. So ein Apfel ist über einen langen Zeitraum gewachsen, wie auch wir.
Am Erntedank bedenken wir deshalb auch unser eigenes Leben, betrachten, was darin gewachsen ist, wofür wir Gott danken:
- für unsere Eltern und Geschwister,
- vielleicht für eine behütete und glückliche Kindheit,
- für Menschen, die uns den Glauben an Gott nahe gebracht haben,
- für Menschen, die uns ohne große Worte Gutes getan haben,
- für Menschen, die an unserer Seite stehen,
- für erfüllte Tage und Tage des Wartens.
Vielleicht sagen wir Gott auch Dank für manchen Umweg in unserem Leben, weil es uns weiser, sanfter, mitfühlender gemacht hat.
Es gibt vieles, wofür wir Gott Dank sagen, wenn wir unser Leben betrachten.

III.
In unserem Predigttext geht es aber nicht nur um das Danken.
Es geht auch um eine Mahnung, die Gott seinem Volk mitgibt auf dem Weg in das Gelobte Land. Denn es gibt ein paar Regeln, an die sich das Volk halten soll. Wir denken hier zunächst an die 10 Gebote, die Mose seinem Volk kurz vorher übermittelt hat:
z. B. einen Tag in der Woche von der Arbeit zu ruhen.
Nicht zu stehlen. Vor Gericht nicht zu lügen.
Anderen ihren Besitz nicht zu neiden.
Wir denken auch an die Speisegesetze. Bestimmte Dinge sollen die Israeliten nicht essen, z. B. Tiere, die Krankheiten übertragen können. Auch Frösche sollen sie nicht essen, weil sich sonst Mücken zu stark ausbreiten und Krankheiten wie Malaria begünstigen. Christliche Ausleger haben sich lange über diese Speisegebote im Alten Testament lustig gemacht und sie für überholt erklärt:
»Warum soll Gott einem freien Christenmenschen
vorschreiben, was er essen soll?«

Heute wissen wir, dass in vielen Speisegesetzen jahrhundertelange Naturbeobachtung zum Ausdruck kommt. Sie sind ökologisches Erinnerungswissen und Beispiele für die Weisheit der Heiligen Schrift.2
Gott gibt seinem Volk da etwas an die Hand, wie die Israeliten nachhaltig im verheißenen Land leben können. Denn das Land soll nicht nur für eine oder zwei Generationen ein ›Gelobtes Land‹ sein, sondern für alle künftigen Generationen – für die Kinder, die Kindeskinder und deren Kinder.

IV.
Es geht also in dem Predigttext nicht um mich, nicht um uns heute, sondern um die Zukunft von Menschen in dem verheißenen Land. Und übertragen geht es auch um die Zukunft des Menschen in der Schöpfung Gottes.
Mose sieht vier große Gefahren, wie dieses Ziel, wie die Verheißung Gottes sich auflösen kann. Hören wir dazu den zweiten Teil unseres Predigttextes aus dem 5. Buch Mose:

»12-14 Werdet nicht übermütig, wenn es euch gut geht, wenn ihr reichlich zu essen habt und in schönen Häusern wohnt, wenn eure Viehherden wachsen, euer Gold und Silber und all euer Besitz sich vermehrt. Vergesst dann nicht den Herrn, euren Gott! Er hat euch aus Ägypten, wo ihr Sklaven gewesen seid, herausgeführt. (…) 17 Vergesst das nicht. Und sagt nicht: »Das alles haben wir uns selbst zu verdanken; mit unserer Hände Arbeit haben wir uns diesen Wohlstand geschaffen.«
18 Seid euch vielmehr bewusst, dass der Herr, euer Gott, euch die Kraft gab, mit der ihr dies alles erreicht habt. Und er hat es getan, weil er zu den Zusagen steht, die er euren Vorfahren gegeben hat (...). 19 Aber ich warne euch: Wenn ihr den Herrn, euren Gott, vergesst und hinter anderen Göttern herlauft, wenn ihr sie anbetet und ihnen dient, werdet ihr unweigerlich zugrunde gehen.«

V.
Liebe Gemeinde,
Mose warnt hier die Israeliten vor vier Gefahren:
einmal im Wohlstand abzuheben,
dann die eigene Leistung überzubewerten,
Gott zu vergessen und
schließlich anderen Verheißungen hinterherzulaufen.

a. Ich denke, das erste kennen wir. An Wohlstand gewöhnt man sich schnell. Wir denken, es geht immer weiter nach oben. Eine neue Küche in der Wohnung, ein neues Auto, ein neues Handy, eine besondere Urlaubsreise. Wir vergessen dann, dass es um uns herum schon lange Menschen gibt, die an dem gesamt-gesellschaftlichen Wohlstand nicht mehr teilhaben. Wir vergessen, wie es in unserem Leben vor 30, 40, 50, 60 Jahren ausgesehen hat.
Wenn ich meiner Tochter erzähle, wie bescheiden die Weihnachtsgeschenke in meiner Kindheit waren, in einer 7-köpfigen Familie, hört sie das mit Erstaunen. Und ich füge dann hinzu, dass meine Eltern mitten im Krieg und in der Nachkriegszeit mit Hunger und Entbehrung groß geworden sind. Und was unter unserem Weihnachtsbaum lag, waren praktische Dinge: ein Pullover, Socken, Spielzeug, mit dem alle spielen konnten, Orangen und Schokolade.
Wir fünf Kinder waren nicht unglücklich, das waren wir erst, wenn wir die Geschenke der Nachbarskinder sahen. So ist das mit dem Wohlstand: Man misst ihn immer an dem, was die anderen haben, nicht an dem, was wir mit Gottes Hilfe erreicht haben.

b. Ich sage »mit Gottes Hilfe«, weil Mose das so deutlich sagt. Nicht unsere Leistungen haben uns dahin geführt, wo wir sind, sondern Gott. Er hat das alles vorbereitet – das fruchtbare Land und die Rohstoffe. Und wenn der eine mehr leisten kann als die andere, soll niemand das Erreichte sich selbst zuschreiben. Es kommt von Gott und dient allen – den Starken und den Schwachen, denen mit den besseren Startbedingungen und denen mit den schlechteren Startbedingungen. Weil Gott den gemeinsamen Grund gelegt hat, ist das, was jeder daraus machen kann, allen gemeinsam.


c. Die dritte Gefahr, die Mose erwähnt, ist: Gott zu vergessen.
Dieser Apfel hier – was muss da alles zusammenkommen, damit so ein Apfel entsteht? Das Erbgut in dem Kern, genügend Licht, Feuchtigkeit und Wärme, Energie aus Fotosynthese, Bestäubung durch Wind und Insekten, das Gleichgewicht von Bakterien, Pilzen usw. Und dann entsteht ein Apfel mit Stiel, Stielgrube, Schale, Gefäßbündellinie, Kernfach, Kernhaus, Kern, Kernhausachse, Kernhöhle, Kelch und Kelchgrube.
Gott hat sich das alles ausgedacht und in seiner Schöpfung für ein Zusammenspiel gesorgt, für Vielfalt, Anpassung und Reparaturen. Wenn wir da zu sehr eingreifen, greifen wir Gottes Schöpfung an und gefährden unsere eigenen Lebensgrundlagen. Das betrifft nicht nur die Verfeuerung von fossilen CO2-Speichern, sondern auch Umweltgifte und noch viel schlimmer die Vergiftung des menschlichen Miteinanders durch Ausgrenzung, Gewalt, Hass und Krieg.

d. Damit komme ich zur letzten Gefahr, die Mose erwähnt: das Vertrauen auf gott-fremde Verheißungen.
Die Herausforderungen unserer Zeit sind groß. Um den Klimawandel einzudämmen, braucht es eine weltweite gemeinsame Anstrengung. Aber das ist fast unmöglich in einer Welt, die so unversöhnlich gespalten ist in Ost und West, Nord und Süd, reich und arm.
In Niederösterreich haben wir vor drei Wochen die schweren Überschwemmungen gesehen. Es ist ein Gesamtschaden von etwa 1 ½ Mrd. Euro entstanden. Und trotzdem haben die Wähler und Wählerinnen dort am vergangenen Sonntag zu 60% Parteien gewählt, die die menschliche Ursache des Klimawandels in Frage stellen. Sie sehen im Klimawandel keine große Gefahr und bezweifeln die Wirksamkeit klimaschützender Maßnahmen.
Auf den Plakaten dieser Parteien ist zu lesen, dass das Land vor fremden Gefahren geschützt werden muss. Und auf einem Plakat wurde sogar das Unservater verballhornt: »Euer Wille geschehe«, war da zu lesen. Also nicht Gottes Wille, sondern der Wille des Vollstreckers eines manipulierten Wählervotums.
Auf welche Verheißungen vertrauen die Menschen da? Auf die Überlegenheit ihrer Kultur, ihrer Nation? Auf ihren Reichtum, auf die Vormachtstellung ihres Wirtschaftssystems? Darauf, im Notfall die Grenzen dicht zu machen und andere auszuweisen?
Ich meine, das sind keine Verheißungen, sondern eher Illusionen. Illusionen, die uns nicht helfen werden, zu einer weltweiten gemeinsamen Anstrengung zu kommen. Eine Anstrengung, die bestimmt auch mit viel Verzicht verbunden sein wird.
Mose sagt dazu: »Wenn ihr den Herrn, euren Gott, vergesst und hinter anderen Göttern herlauft, wenn ihr sie anbetet und ihnen dient, werdet ihr unweigerlich zugrunde gehen.« (V.19)


VI.
Doch ich will damit nicht schließen. Ich komme zum Schluss noch einmal auf den Apfelkern zurück:
a. Der Apfelkern ist winzig – wie vielleicht gerade auch unsere Hoffnung.

b. Bevor der Apfelkern keimt, muss er durch den Winter, um nicht zu früh auszutreiben und zu erfrieren. – Auch wir müssen offenbar durch einen unbequemen Winter hindurch, bevor etwas Neues ans Licht kommen kann.

c. Und bis zur ersten Ernte der Äpfel kann es bis zu 10 Jahren dauern. Das heißt, wenn wir heute einen Apfelkern pflanzen, kann es sein, dass wir die ersten Früchte des Baumes gar nicht mehr erleben werden.
Und trotzdem lohnt sich die Mühe. Wenn nach vielen Jahren andere Menschen Äpfel von diesem Baum ernten, werden sie es uns hoch anrechnen. Sie werden uns dankbar sein, dass wir für spätere Zeiten etwas gepflanzt haben. Und wir können das, weil Gott vorgesorgt hat. Er hat diesem kleinen Apfelkern den Bauplan für das Leben eingesetzt. Wenn wir uns das zu Erntedank vor Augen führen, geben wir Gott die Ehre. Dann geben wir dem von Gott gewollten Leben eine Chance. Dann werden wir nach einem langen kalten Winter wieder Hoffnung gewinnen, dass etwas Neues wachsen wird.

»Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.« (Phil 4,7). Amen.

Anm.
1 Der Predigtanfang ist inspiriert von https://www.seelsorge-im-alter.de/materialboerse/detailansicht/news/das-gleichnis-vom-senfkorn

2 Vgl. https://dctb.de/wp-content/uploads/2021/01/Nachhaltigkeit-Schloe.pdf