Predigt

Liebe Gemeinde,
eine der Geschichten, die mein Verständnis von christlichem Leben und christlicher Mission geprägt haben, ist eine Geschichte die Jeff Bezos, der berühmte Gründer und Firmenchef von Amazon, erzählt hat. seiner Großmutter und seinem Großvater. Als 10jähriges Kind saß er auf dem Rücksitz des Autos und begann, die Zigaretten zu zählen, die seine Großmutter während dieser langen Autofahrt rauchte. Jeff hatte gerade aus einer Werbung erfahren, dass man mit jedem Zug an einer Zigarette zwei Minuten seines Lebens verliert. Als sie kurz vor dem Ziel waren, reckte das schlaue Kind seinen Kopf nach vorne zu seiner Großmutter und sagte ihr: „Großmutter, du hast fast 9 Jahre deines Lebens verloren.“ Jeff erwartete, dass seine Großeltern seine Klugheit und seine Fähigkeiten beim Zählen und Rechnen bewundern würden. Aber stattdessen fing seine Großmutter an zu weinen, und sein Großvater hielt das Auto an, stieg aus, ging auf Jeff zu und sagte: „Jeff, eines Tages wirst du lernen, dass es schwieriger ist, liebevoll zu sein als schlau.“ Jeff erkannte, dass der Erfolg in der Welt mit unserer freundlichen Einstellung zusammenhängt, nicht damit, was wir wissen oder wie klug wir sind, sondern damit, wie wir mit den Menschen um uns herum liebevoll umgehen.
Heute sind wir hier in Hannover versammelt, um den Pfingstsonntag zu feiern, einen bedeutenden Tag im Kirchenjahr, an dem der Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Apostel und andere Anhänger Jesu Christi gedacht wird. Dieses Ereignis gilt als der „Geburtstag“ der Kirche, weil es den Beginn des öffentlichen Wirkens der Apostel und der Verbreitung des Evangeliums markiert. An Pfingsten kam der Heilige Geist mit Wind und Feuer. Dies markiert den Übergang von Gott, der unter uns wohnt (in Christus), zu Gott, der in uns wohnt (durch den Geist). Derselbe Geist, der die Apostel erfüllte, erfüllt nun die Gläubigen heutzutage.
Wir feiern Pfingsten nicht nur als ein Ereignis, das in der Vergangenheit stattgefunden hat, sondern wir feiern die Gegenwart des Heiligen Geistes heute. Wie leben wir heute aus dem Geist? - Das ist die Hauptfrage, die sich uns als Kirche heute stellt. Wie verstehen wir unseren Auftrag als eine Kirche, die heute aus dem Geist lebt?.
Eine der Herausforderungen, der wir uns als Kirche heute stellen müssen, insbesondere die jüngere Generation, ist die Frage, wie sich die Kirche auf die Welt um uns herum auswirkt und wie die Kirche zur Veränderung und zum Wandel in der Welt beitragen kann. Wie können wir unseren Glauben zwischen Montag und Sonnabend leben und die Welt beeinflussen? Der Missionswissenschaftler David Bosch schreibt in seinem Buch Transforming Mission: „Bei der Mission geht es nicht nur darum, Seelen zu retten, sondern die Welt zu verändern“. Wenn wir heute dazu aufgerufen sind, im Geist zu leben, dann bedeutet das, dass wir eine transformierende Nachfolge leben, die die Welt prägt.
In Galater 5,16-26 wendet sich Paulus an die Glaubensgemeinschaft, die zwischen Gesetz und Gnade zerrissen war. Die Lehren aus dem jüdischen Erbe führten zu einer Auseinandersetzung in der Gemeinschaft. Nachdem sie den Glauben an Jesus Christus erfahren hatten, wollten sie zum Gesetz zurückkehren und den Glauben als eine Reihe von Praktiken betrachten, die sich auf das Fleisch beziehen. Deshalb war das Verhältnis zwischen Gnade und Gesetz und zwischen Fleisch und Geist eine wichtige Frage, die sich der Glaubensgemeinschaft damals stellte.
Die Gemeinde wollte ein gut durchbuchstabiertes Verhaltenssystem; sie wollte nicht, dass „der Glaube durch die Liebe wirkt“ (Galater 5,5); das klang zu kompliziert. Deshalb erklärt Paulus, dass das Gesetz mit den Worten „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Galater 5,15) erfüllt ist. Er betont, dass sie dazu berufen waren, einander in Freiheit, freiwillig und aus Liebe zu dienen, nicht unter dem Joch des Gesetzes.
Paulus ruft die Gemeinschaft auf, einen Schritt in die Freiheit zu tun und in einer Beziehung der Freiheit mit Gott zu leben, als Söhne und Töchter, als Erben, und so in einer Partnerschaft mit Gott zu sein; das ist der Kern des Evangeliums. Aber die Galater waren versucht, wieder dem Gesetz zu erliegen und von der Freiheit in die Knechtschaft überzugehen. Paulus ruft zur Befreiung auf, zur Freiheit, im Geist zu leben und im Geist zu wandeln". Wenn wir die freien Kinder Gottes sind, neigen wir oft dazu, uns wieder in die Knechtschaft zu begeben, uns beherrschen zu lassen und schwach zu werden.
Eine der wichtigsten Kräfte, die uns heute zu kontrollieren versuchen, sind die unterschiedlichen Wahrnehmungen, mit denen uns die Welt umgibt. Zum Beispiel prägen die Medien heute die Art und Weise, wie wir uns selbst sehen. Wenn wir auf die Ideen hören würden, mit denen wir täglich bombardiert werden, würden wir feststellen, dass alles, was uns umgibt, dazu aufruft, „nach dem Fleisch zu leben“, und dass der Leitgedanke „nach dem Geist zu leben“ unangebracht erscheint. Wenn Sie heute Erfolg haben wollen, kommt es darauf an, wie Sie aussehen und wie Sie Menschen mit dem beeindrucken, was sie sehen können. Es gibt heute einen Trend in der Welt, der sich „Imagepflege“ nennt und bei dem Profis an Ihrem Aussehen arbeiten, um Sie zu einem Star zu machen. Alles um uns herum ruft danach, den Weg des Fleisches zu gehen, durch unsere Klugheit, unsere eigenen Anstrengungen und durch die Wirkung, die wir mit Hilfe der Medien erzielen.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe kein Problem mit den Medien, mit schönem Aussehen oder mit Strategien für den Erfolg. Meine Sorge ist, dass wir uns zu oft auf all die Gesetze um uns herum konzentrieren und vergessen, unser Leben im Geist zu führen. Wie können wir jenseits des üblichen Geredes und der uns aufgedrückten Werte leben? Vielmehr sollten wir hinterfragen, was um uns herum gilt, indem wir "unser Leben im Geist führen". Alles, was Gott uns gegeben hat, ist dazu da, unserem Gott zu dienen. Diese Spannung zwischen Fleisch und Geist wird vereint, um uns auf den Weg der Verkündigung der guten Nachricht zu führen.
Im Geiste zu leben heißt also, in Freiheit zu leben. Freiheit klingt ansprechend für die jüngere Generation. Das Wort Freiheit ist heute sehr beliebt. Oft verstehen wir Freiheit so, dass sie sich auf das richtet, was uns und unserem persönlichen Ehrgeiz dient. In der Welt wird Freiheit für gewöhnlich auf uns selbst bezogen. Es ist meine Freiheit, die zählt. Aber im Geist zu leben bedeutet zu verstehen, wie wir unsere Freiheit nutzen, um andere zu befreien und ihnen zu dienen und mit anderen freundlich umzugehen und nicht mit unserer persönlichen Klugheit beschäftigt zu sein. Ein freier Jünger zu werden, dem es darum geht, die Freiheit in Christus mit anderen zu teilen, als eine befreiende Kraft in ihrem Leben, die niemand begrenzen oder aufhalten kann. Und wenn wir nach der Freiheit in Christus leben, kann uns niemand einschränken: kein politisches System, keine institutionelle Struktur und keine Kirche, sondern wir werden offen für das Werk Gottes in allen Kirchen und bewegen uns auf das Reich Gottes zu, das keine Grenzen kennt. Wir werden durch den Geist verwandelt, und unsere Freiheit kommt von innen. Im Geist zu leben bedeutet, von innen her frei zu sein.
Im Geist zu leben und unser Leben im Geist zu führen bedeutet, zu leben wie unser Herr und einen Lebensstil und eine Lebensweise zu haben, die Christus widerspiegeln. Einmal erzählte mir ein Pastor aus Syrien, der in Aleppo lebt, wie sehr sich sein Lebensstil seit Beginn des Krieges in Syrien verändert hat. Er sagte: „Früher habe ich mehrere Stunden damit verbracht, eine Predigt vorzubereiten, jetzt verbringe ich meine Zeit damit, die hungernden Familien mit Lebensmitteln zu versorgen und Gas für den Ofen einer Witwe zu besorgen, die für ihre Kinder tagelang nicht kochen konnte oder damit, Familien mit Wasser zu versorgen. Er sagte: „Ich hätte nie erwartet, dass sich mein Lebensstil so ändern könnte. Im Geist zu leben bedeutet, offen zu sein für die Bereitschaft, als Jünger unseren Lebensstil zu ändern, auch wenn das bedeutet, dass wir unsere Bequemlichkeit aufgeben müssen.
Im Geist zu leben bedeutet, die Mauern der Kirche zu verlassen. Eine der Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, wenn wir begreifen wollen, was Mission bedeutet, ist die dringende Notwendigkeit, die Grenzen der Kirche zu überwinden. In den letzten Jahren hat unsere Kirche im Libanon einen neuen Dienst begonnen, indem sie Schulen für syrische Flüchtlingskinder eröffnete, die ohne Schulbildung auf der Straße lebten und von Missbrauch bedroht waren. Der Gang auf die Straßen und in die Zelte und die Aufnahme von Kindern aus Flüchtlingslagern hat unser Verständnis von christicher Nachfolge drastisch verändert. Es war eine Zeit, in der unsere reformierte Kirche einen neuen Weg entdeckte, Kirche zu werden, in der die Flüchtlinge um uns herum uns neu lehrten, Leib Christi in der Welt zu sein. Die Welt wird erst dann glauben, wenn wir bereit sind, die Hand auszustrecken, auch in fremde Bereiche, die uns erschüttern.
Im Geist zu leben bedeutet, das Kreuz mit unserem Herrn zu tragen. Einmal im Jahr 2006 beschloss unsere Jugendgruppe, Lebensmittel für eine Gruppe muslimischer Brüder und Schwestern zu packen, die wegen des Beschusses im Süden des Libanon ihre Häuser verlassen mussten und in unseren Schulgebäuden untergebracht waren. Unsere Jugendgruppe verbrachte einen ganzen Tag damit, das Essen vorzubereiten, und ging dann zur Schule, um die Lebensmittel zu verteilen. Während sie das Essen verteilten, hörte einer unserer Jugendlichen, wie jemand gegen Christen sprach und sich negativ über Jesus äußerte. Der Junge war beunruhigt und beschloss, mit der Verteilung aufzuhören, und wurde wütend darüber, dass seine Tat der Nächstenliebe auf so schreckliche Weise aufgenommen wurde. Ich ging auf ihn zu, beruhigte ihn und erinnerte ihn daran, dass sein Herr ein Kreuz trug und verspottet wurde, als er seine Liebe teilte. Um im Geist zu leben, müssen wir lernen, den Schmerz auszuhalten, wie unser Herr, im Vertrauen darauf, dass die Auferstehung kommt. Ein Leben im Geist lehrt uns, nicht aufzugeben, sondern in unserem Zeugnis auszuharren. Unser Herr hat auch am Kreuz ausgeharrt.
Im Geist zu leben heißt, mit Hoffnung zu leben. Es wird eine Geschichte über eine christliche Familie erzählt, die wegen ihres religiösen Glaubens verfolgt wurde. Trotz ihrer schwierigen Lage und der Bedrohung, bestand der Familienvater darauf, seine Familie zu einer Andacht zu versammeln. Er rief die Familie zum Gebet und hielt das Stück Butter, das er im Haus hatte, in der Hand, zündete es als Kerze an und betete gemeinsam mit seiner Familie. Der Sohn schaute ihn an und rief: „Papa, das ist das letzte Stück Essen, das wir haben, und du benutzt es hier als Kerze für den Gottesdienst.“ Der Vater sagte zu meinem Sohn: „Wenn wir nichts zu essen haben, können wir noch einige Wochen leben, aber wenn wir die Hoffnung verlieren, verlieren wir alles.“ Die Welt hat mit viel Leid zu kämpfen, und der Krieg in der Ukraine hat die Welt und insbesondere Europa vor neue Herausforderungen gestellt. Den Überlebenskampf der Flüchtlinge um uns herum zu sehen, fordert uns täglich heraus, wie wir im Geiste leben und diese Hoffnung für die Welt sein können, selbst wenn wir alles, was wir haben, einsetzen, um Hoffnung zu bringen, selbst wenn wir unser letztes Stück Butter verwenden, um über die Hoffnung zu sprechen, die kommen wird. Wir müssen all unsere Mittel einsetzen, um ein Licht für diejenigen zu sein, die das Gefühl haben, dass alles um sie herum entmutigend und schmerzhaft ist. Ich erinnere mich, dass die RELISH Gemeinde einmal eine Spende an die Kirche im Libanon geschickt hat, um den Schmerz der Vertriebenen zu lindern. Das Gleiche taten Kirchen in der Ukraine, um Erdbebenopfern in Syrien zu helfen. Das Gustav-Adolf-Werk und die Evangelisch-lutherische Kirche in Hannover unterstützen kontinuierlich unsere gefährdete Kirche im Nahen Osten. Das Wenige, das wir zu geben haben, bringt Hoffnung in die Welt und versichert uns, dass wir im Geist leben. Es erfordert nicht viel Aufwand; es ist ein Zeugnis, bei dem man die Dinge mit den Augen unseres auferstandenen Herrn anders sieht, der der Welt Hoffnung bringt.
Im Geist zu leben heißt schließlich, sich etwas vorzustellen. Und ich möchte mit den Worten aus dem Dokument schließen, das die lutherischen und reformierten Kirchen im Jahr 2017 in Wittenberg gemeinsam unterzeichnet haben und das als das Wittenberger Zeugnis bekannt ist.
Wir brauchen eine neue Vorstellungskraft, um so zusammen zu leben, dass wir unsere Einheit nicht nur als ein Geschenk, sondern auch als Berufung begreifen.

Wir brauchen eine neue Vorstellungskraft um von einer anderen Welt zu träumen, einer Welt, in der Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung herrschen.

Wir brauchen eine neue Vorstellungskraft, um Frömmigkeitsformen des Widerstands und der prophetischen Vision einzuüben, Frömmigkeitsformen, die dem Leben dienen, Frömmigkeitsformen, die von der Mission Gottes geprägt sind.
Liebe Freundinnen und Freunde,
heute ruft uns der Heilige Geist dazu auf, eine Gemeinschaft zu sein, die bereit ist, in Freiheit zu leben, zu leben wie unser Herr, den Mut zu haben, sich den Herausforderungen zu stellen und die Mauern der Kirche zu verlassen, und eine Botschaft der Hoffnung für die Welt zu verkünden. Heute wagen wir es zu träumen und eine Revolution in Freundlichkeit und Zärtlichkeit anzuführen. Wir feiern gemeinsam, was Gott der Kirche gegeben hat, mit allen menschlichen Fähigkeiten, und wir rühmen uns nicht damit, wie klug wir sein können, sondern damit, wie freundlich wir sein können, wenn wir die Liebe Christi mit anderen teilen.
Heute feiern wir das 10jährige Bestehen der RELISH-Gottesdienste, die als ein Akt der Freundlichkeit gegenüber den internationalen Mitbürgern, Auswanderern und Studierenden auf der Suche nach Gottesdiensten und Gemeinschaft ins Leben gerufen wurden. Es ist ein Raum der Gastfreundschaft und Unterstützung, der durch das Wirken des Heiligen Geistes in unserer Mitte inspiriert wurde. Eine neue Idee der Gründer, die gesegnet wurde und zum Segen für viele wurde.
Bei der Mission geht es nicht um uns, sondern um sie. Sie ist die fleischgewordene Liebe, die Jesus als Akt der Freundlichkeit mit uns geteilt hat. Wir lernen heute, dass es schwieriger ist, freundlich zu sein als klug, jenseits des Gewöhnlichen und Beliebten. Möge der Herr uns die Augen öffnen, um Freundlichkeit zu leben und von einer besseren Welt zu träumen. An diesem Pfingstsonntag, an dem es manchen so vorkommt, als würden wir den Kampf gegen die Mächte der Gier und des Bösen verlieren, sollten wir die Kraft der Gabe des Heiligen Geistes, der heiligen Phantasie, nicht unterschätzen.

Habt Hoffnung und wagt zu träumen, denn wir haben einen lebendigen Gott. Gott sei die Ehre in Ewigkeit. Amen.