Predigt
»Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.« (Röm 1,7) Amen.
I.
Liebe Gemeinde,
unser Predigttext ist einer der Wohlfühltexte im Neuen Testament:
»Seht die Vögel unter dem Himmel an:
Sie säen nicht, sie ernten nicht (...);
und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.« (V.26)
Wir können uns gut vorstellen, wie Jesus mit diesem Gleichnis die Sorgen der Menschen damals aufgenommen hat. Viele von den Zuhörer*innen Jesu werden große Mühe gehabt haben, über die Runden zu kommen. Denn die Römer hatten dem Land eine hohe Steuerlast auferlegt. Und Zöllner trieben diese Steuern vor Ort ein, nicht selten unter persönlicher Bereicherung. Viele Haushalte bekamen das zu spüren. Für Tagelöhner war es schwierig, jeden Tag Arbeit zu finden. Wenn die Ernte in einem Jahr schlecht ausfiel, stiegen die Preise. Manche trugen ihre abgewetzte Kleidung auf und waren dankbar für jedes Stück Brot.
Für diese Menschen stand die tägliche Sorge ums Überleben im Vordergrund. Und zwar so sehr, dass sich dieses Sorgen wie ein Schatten über ihr Leben gelegt hat. Selbst in Zeiten, in denen es besser ging, konnten sie die antrainierte Sorge nicht mehr ablegen.
Diesen Menschen sagt Jesus, dass etwas in ihrem Leben nicht in der richtigen Reihenfolge steht. Vor lauter Sorgen vergessen sie, das ihnen geschenkte Leben zu leben und ihren Körper auch ohne Verkleidung wertzuschätzen. Jesus sagt:
»Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?« (V. 25)
→ Ich finde es bemerkenswert, dass Jesus in diesem Gleichnis auch auf den Körper des Menschen zu sprechen kommt. Er nennt die Lilien auf dem Felde. Sie sind so vielfältig und wunderschön, dass selbst König Salomos Seidengewänder da nicht mithalten können. In ›Geh aus mein Herz‹ von Paul Gerhardt klingt das so: »Narzissus und der Tulipan,
die ziehen sich viel schöner an
als Salomonis Seide.« (EG 503,2).
Und so, wie Gott die Lilien auf dem Felde geschaffen hat, so hat er auch den menschlichen Körper geschaffen. Jeder einzelne Körper hat eine besondere Ausstrahlung und muss dafür keine vorgegebenen Normen erfüllen. Kleidung kann diese Ausstrahlung unterstützen, aber das ist alles nichts gegen die Sorgfalt, die Gott bei der Schaffung jedes menschlichen Körperteils an den Tag gelegt hat.
II.
Liebe Gemeinde,
ich hatte bei dem Gleichnis Jesu von einem Wohlfühltext gesprochen. Ein Gleichnis, das unsere tägliche Sorge um Nahrung und äußeres Aussehen auf Gottes fürsorgliches Handeln lenkt. Die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde – Gott hat das alles wunderbar geschaffen und kümmert sich jeden Tag darum. Wenn das schon für Pflanzen und Tiere gilt, dann erst recht für den Menschen, dessen Körper Gott als letztes geschaffen und in seine Schöpfung eingefügt hat.
Doch Sie merken – vielleicht genau wie ich –, dass dieses Wohlfühlbild kippt, wenn wir an die hohen Temperaturen in der letzten Woche denken, oder daran, wie selten es geworden ist, draußen einen Schmetterling zu sehen. Die Artenvielfalt und das Gleichgewicht der Natur sind (ausgerechnet) durch uns Menschen bedroht. Der Blick auf die verbliebene Schönheit der Natur löst bei uns heute nicht unbedingt das Gefühl aus, dass wir uns weniger Gedanken machen müssen. Im Gegenteil, die Sorgen um unser Leben werden größer. Lilien kommen zwar sehr gut mit hohen Temperaturen zurecht. Aber bei den ›Vögeln am Himmel‹ sieht es anders aus. Sie müssen sich neue Lebensräume suchen; ihre Reproduktionsrate hat abgenommen. In Deutschland sind von 1980 bis 2016 rund 40 Prozent aller Feldvögel verschwunden.1
Und auch wir Menschen spüren die Veränderungen. An vielen Stellen auf unserem Planeten werden Nahrung und Wasser knapp; Arbeit ist dort nur schwer zu finden und Konflikte nehmen zu. Viele Menschen verlassen ihre Heimat und kommen notgedrungen zu uns – je länger umso mehr – daran ändern auch neue Mehrheiten in den Landtagen nichts.
III.
Liebe Gemeinde,
ich habe vorhin gesagt: »Die Artenvielfalt und das Gleichgewicht der Natur sind durch das menschliche Handeln bedroht.« Genauer müsste ich wohl sagen: Sie sind bedroht durch ein Zuviel an menschlichem Sorgen. In Jesu Gleichnis heißt es:
»Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.« (V. 35).
Jesus sagt das, weil er merkt, dass viele Menschen genau das nicht können – die Menschen damals im besetzten Judäa nicht und auch wir heute nicht, obwohl es uns im Vergleich zu ihnen so viel besser geht.
Der niederrheinische Kabarettist Volker Pispers hat sich 2016 in seinem Bühnenprogramm gefragt, woran das liegt. Volker Pispers hat Katholische Theologie studiert und beobachtet, dass in unserem westlichen System Wachstum und Produktivität zu einer neuen Religion geworden sind – zu etwas, das man bereit ist, unhinterfragt zu glauben.
Steigerung der Produktivität – so Volker Pispers – das bedeute, wenn immer weniger Menschen innerhalb kürzerer Zeit immer mehr herstellen müssen. »Höher, schneller, weiter« sei das Motto dieser Religion.
Und wir bekamen das in dieser Woche bei den Nachrichten aus dem Volkswagen-Konzern vor Augen geführt. VW hatte sich vor 5 Jahren zum Ziel gesetzt, seine Produktivität bis 2025 um 30% zu steigern. Um das zu erreichen, müssen die Kosten gesenkt werden. Weil zur Zeit aber nicht genügend Autos verkauft werden, bedeutet das nun die Entlassung vieler Menschen an den VW-Standorten auch in Niedersachsen.
Volker Pispers kritisiert diese Orientierung an Produktivität und Wachstum. Er hat dazu eine nachdenkliche Geschichte erzählt. Und die geht so:
»Ein Löwe, der jagt eine Antilope, dann frisst er, bis er satt ist. Dann sagt er ›Boh, war dat lecker.‹ Dann legt er sich in die Sonne und wartet, bis er wieder Hunger kriegt. Der Löwe kommt doch nicht auf die Idee zu sagen: Ich habe für die Antilope jetzt 15 min. gebraucht. Wenn ich mich ranhalte, schaffe ich heute noch vier; dann kann ich morgen frei machen. Der Löwe ist ja nicht bescheuert, der hat ja nicht BWL studiert. Im Gegensatz zum BWLer weiß der Löwe [nämlich] ganz genau: Wenn er heute 5 Antilopen fängt, kann er am nächsten Tag gar nicht frei machen. Nein, da muss er nämlich einen Kühlschrank bauen am Freitag, um die Antilopen frisch zu halten. Und am nächsten Freitag kann er wieder nicht frei machen. Da muss er für den Strom sorgen, um den Kühlschrank zu betreiben. Es muss das Haus drumherum gebaut werden, das Ganze muss bewacht werden. Und am Ende hat der Löwe nie mehr Zeit, in Ruhe in der Sonne zu liegen und zu sagen: ›Boh, war dat lecker. Wat jet et mir jut«. Nur dem Menschen – dem, der schon alles hat – dem kann man einreden, dass er jedes Jahr noch mehr Antilopen pro Tag jagen muss, damit er sich jedes Jahr das neuste Kühlschrankmodell leisten kann. Denn das ist das, was uns glücklich macht: Mehr, mehr heute als gestern, morgen mehr als heute. Kapitalismus heißt: Man kauft Dinge, die man nicht braucht, von Geld, das man nicht hat, um Menschen zu beeindrucken, die man nicht leiden kann.«
… so weit der Kabarettist Volker Pispers.
IV.
Liebe Gemeinde,
Jesus war kein politischer Kabarettist, aber sein Bühnenprogramm von vor 2.000 Jahren bestand nicht nur aus Wohlfühlgleichnissen, sondern auch aus theo-politischen Überlegungen.
Bei den starken Bildern von den ›Lilien auf dem Felde‹ und den ›Vögeln unter dem Himmel‹ kann schon einmal aus dem Blick geraten, was Jesus vor und nach dem Gleichnis sagt.
Bei unserer wöchentlichen Pastorenbesprechung hat Pastor Schulte-Degenhardt uns darauf aufmerksam gemacht, dass Jesus zu Beginn folgendes sagt:
»24 Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. 25 Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben ...«
Für Jesus ist die übermäßige Sorge bei den Menschen also Folge einer Grundentscheidung, nämlich dem Mammon mehr zu vertrauen als Gott dem Schöpfer. Oder um es mit Volker Pispers zu sagen, alles von Wachstum und Produktivität zu erwarten, nicht aber davon, wie Gott die Zukunft seiner Schöpfung gedacht hat.
Und zum Schluss des Gleichnisses wendet sich Jesus an die, die den Mammon zu ihrem Götzen gemacht haben:
»32 Nach all dem trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. 33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. 34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.«
Liebe Gemeinde,
wir wissen nicht genau, wie sich Jesus diese Gerechtigkeit im Reich Gottes vorgestellt hat. Und darüber kann man auch trefflich streiten.
Für uns Reformierte war seit Zwingli immer klar, dass dies keine Gerechtigkeit sein kann, die erst im Jenseits gilt. Zwingli hat deutlich gemacht, dass unser Gemeinwesen die Gerechtigkeit Gottes zwar nicht abbilden kann, dass unser Zusammenleben aber nach der Maßgabe von Gottes Gerechtigkeit gestaltet werden muss. Er selbst hat z.B. im Bauernkrieg dafür gesorgt, dass die Bauern im Kanton Zürich von der Leibeigenschaft und von einer zweiten Ernteabgabe befreit wurden. Weder für die Leibeigenschaft noch für die doppelte Abgabe der Bauern gäbe es eine biblische Vorschrift – so Zwingli.
Zwingli hat auf diesen Satz aus dem Gleichnis Jesu vertraut:
»33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. 34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen.«
Zwingli ahnte, dass die Ungerechtigkeiten dieser Welt nie alle verschwinden würden. Er wusste aber, dass diese Ungerechtigkeiten im Reich Gottes keinen Bestand mehr haben werden. Er dachte deshalb wie Jesus die Geschichte von ihrem Ende her, d.h. vom Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit. Und das gab ihm den Mut, vor 500 Jahren Umstände in Zürich zu ändern, die für die Bauern eine große Last waren. Sie sollten nicht länger in der täglichen Sorge um das Überleben bleiben.
»33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
Zwingli vertraute darauf, dass es sich lohnt, für Ungerechtigkeiten sensibel zu bleiben und sie abzuschaffen, wenn das möglich ist. Er hoffte, dass daraus eine Erneuerung der Gesellschaft entsteht, die Kreise zieht, von der auch Menschen profitieren, die eher am Rand stehen.
V.
Liebe Gemeinde,
das ist natürlich eine Utopie, ein gesellschaftlicher Gegenentwurf.
Zur Zeit leben wir in einem System, dass auf Wachstum und Produktivität setzt. Ein System, dass unsere Sorgen für die Zukunft gerade nicht beruhigen kann.
Jesus lenkt unseren Blick darauf, dass dieses dauernde Sichsorgen nicht gesund ist, dass wir dieses Sorgen an Gott abgeben können, weil er für uns sorgt, auch wenn wir das nicht (immer) verstehen. Und wenn wir unseren Blick auf Gottes Reich und seine Gerechtigkeit richten, dann spiegelt etwas zurück in unsere Gegenwart. Wir sehen die Welt mit anderen Augen. Wir sehen, wo wir etwas ändern können. Nicht die große Revolution, sondern das Reich Gottes, das wächst wie ein Samenkorn: winzig am Anfang, dann aber in der Lage, Steine zu verrücken (Mk 4,26-34).
»Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.« Amen.