• Predigt
»Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.« (Röm 1,7) Amen.

I.
Der Predigttext für den heutigen Gottesdienst steht im Buch des Propheten Jesaja, Kapitel 9:

»Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. (...) Denn zerbrochen hast du das drückende Joch, die Stange auf ihrer Schulter und den Schlagstock der Peiniger. Es ist wie damals, als die Midianiter besiegt wurden. Verbrannt wird jeder Stiefel, mit dem die Soldaten dröhnend marschierten. Ins Feuer geworfen wird jeder Mantel, der im Krieg mit Blut getränkt wurde.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.« (Jes 9,1-7)

II.
Liebe Gemeinde!
»Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.«

Wenn Sie nachher in Ihre Wohnungen zurückkehren, werden Sie wahrscheinlich als erstes die Lichter am Weihnachtsbaum anzünden.
Die dunklen Tage um uns herum schaffen ja das Bedürfnis nach Licht. Hell soll es werden in unseren Stuben, in unsern Fenstern, auf unseren Straßen. Lichterketten und blinkende Weihnachtssterne lassen uns für einen Augenblick vergessen, dass es auch dunkel und kalt in unserer Welt zugeht.
Die vielen Lichter dieser Tage lassen mancherorts aber auch vergessen, wozu es am Heiligen Abend in unserer Welt hell werden musste.
Um dies zu verstehen, möchte ich mit einer Geschichte beginnen, auf die ich bei der Vorbereitung gestoßen bin.1 Die Geschichte handelt von einem alten verschrobenen Mann namens Konrad.
Und diese Geschichte geht so:
Konrad lebte seit seiner Geburt in einem hessischen Dorf. In den achtundsiebzig (78) Jahren seines bisherigen Lebens hatte er eigentlich nie von sich reden gemacht – weder im guten noch im schlechten Sinne. Die Nachbarn wussten über ihn nur wenig Ungewöhnliches oder gar Interessantes zu berichten, außer, dass er ein wenig mürrisch und wortkarg war; aber das waren andere in dem Dorf auch... Eines Tages jedoch wurde dieser unscheinbare Mann zum Dorfgespräch:
In dem Ort fanden sich nämlich vor Weihnachten ein paar Jungen und Mädchen zusammen. Die hatten begonnen, das Krippenspiel einzuüben. Über die Verteilung der Rollen war man sich schnell einig. Nur fand sich keiner, der den bösen Wirt spielen wollte. (Sie wissen: der Herbergsbesitzer, der Josef und die hochschwangere Maria in den Stall schickte.)
Nach langem Überlegen fiel den jungen Leuten endlich ein, wer den Wirt spielen könnte: Der alte Konrad schien ihnen von Gestalt und Art gerade so, wie sie sich einen unfreundlichen und sturen Wirt vorstellten.
Niemand hatte ernsthaft damit gerechnet, aber Konrad sagte sofort zu. Und nicht nur das. Von Probe zu Probe brachte er sich energischer ein. Zu energisch – wie einige fanden.

Denn die Geschichte, die gespielt werden sollte, geriet dadurch in eine bedenkliche Schieflage. Am Liebsten wäre es Konrad gewesen, ein eigenes Wohnzimmer für Maria und Josef zu schaffen. Doch damit konnte er sich nicht durchsetzen. Aber er begann, nach und nach den Stall derart sauber und freundlich herzurichten, dass die anderen Spieler ihre eingeübten Reden gegen den bösen Wirt nicht mehr anbringen konnten. Der mürrische Alte verwandelte sich im Laufe der Proben in einen Menschen, der mit heiligem Eifer versuchte, das Unrecht wiedergutzumachen, das damals in Bethlehem von einem Wirt begangen wurde. (Pause)
Schließlich wurde die Sache immer schwieriger. Von Mal zu Mal kam Konrad mit neuen Gegenständen auf die Bühne und gestaltete mit ihnen den Stall wohnlicher und behaglicher. Und jedes Mal ärgerten sich die anderen Mitspieler, aber sie mussten nachgeben, denn Konrad drohte, auszusteigen, wenn der Stall nicht nach seinen Wünschen eingerichtet würde. Bald gab es einen Herd und ein eigenes Waschbecken, zudem einen Krug mit Wein und frisches Brot; beides lag nicht auf dem lehmigen Boden, sondern auf einem kleinen Tisch, über den der Alte ein sauber gewaschenes weißes Tuch gebreitet hatte. Alles passte gut zusammen, nur das Spiel nicht mehr, aber der Alte ließ sich nicht beirren.
Das Strohlager der Maria hatte sich in ein geradezu vornehmes Bett mit Daunenfedern verwandelt. Und auch die Krippe wurde zu einer wunderschönen Wiege, die in ihrer äußeren Form nicht mehr an eine Futterkrippe erinnerte. So kam, was kommen musste: Es entstand ein handfester Krach zwischen den jüngeren Spieler*innen und dem Alten. Der fackelte nicht lange, machte seine Drohung wahr und lud alles auf seinen Leiterwagen und fuhr nach Hause. Zurück blieb der einfache Stall, aber das Krippenspiel musste an diesem Heiligabend abgesagt werden.2

III.
Liebe Gemeinde,
soweit die Geschichte. Dieser Konrad, von dem ich erzählt habe, ist im Grunde wie wir. Er möchte die ganze harte Wirklichkeit der heiligen Nacht nicht wahrhaben. Aus der Tragödie von Bethlehem macht er ein rührseliges Stück für das Vorabendprogramm.
Dabei meint er es ja gut. Bei allem, was Konrad sich einfallen lässt, kann man geradezu sein frommes Gemüt erahnen.

Denn unverständlich ist für ihn, dass jemand die Eltern des Gotteskindes in einen Stall schickt, dass jemand einer hochschwangeren Frau die Unterkunft verweigert.
→ Welcher Mensch würde so etwas tun? (Pause)
Konrad ist wie wir, sagte ich. Er kann das Geschehen von Bethlehem nicht aushalten. Oder können wir das wirklich zusammendenken?
Hier die Herrlichkeit der Geburt des Erlösers,
→ dort ein Viehtrog, in den man dieses Kind legt?
Hier die Nachricht vom König der Könige
→ und dort ein Stall als Quartier und im Hintergrund das
unruhig schnaubende Vieh?
Oder wie passt das zusammen? Die Engel singen »Friede auf Erden...«, und kaum ist Jesus geboren, da müssen die Eltern nach Ägypten fliehen, um der Mordabsicht von König Herodes zu entkommen ... Friede auf Erden? Davon war man schon damals weit entfernt, und für dieses Kind des Friedens gab es keinen Raum in der Herberge der (damaligen) Welt.
Der alte Konrad wusste sich in dieser Situation zu behelfen. Aus dem Stall machte er eine feine Stube. Aus Stroh wurden Daunen. Das Krippelein wurde zum Wiegelein. Wein und Brot auf gedecktem Tisch. Am Ende gar Zentralheizung und fließendes Wasser...?

IV.
Und wir? Wir hängen zahllose Lichter in unsere Fenster. Wir machen es hell vor dem Haus und an den Fassaden. Und es wird in diesen Tagen auch irgendwie wohnlicher in unseren Herzen, in unserer Welt. Irgendwie gibt es eine stillschweigende Übereinkunft, dass das Dunkel, dass Leid, Zank und Unfrieden in den Weihnachtstagen außen vor bleiben sollen.
Also geht es bei uns Jahr für Jahr einige Tage lang ungewöhnlich friedlich zu: Wir beschenken einander, denken an die entferntesten Verwandten, schreiben Jahresgrüße an Menschen, die lange nichts von uns gehört haben, sagen nette Worte zueinander. Die Wohnstuben verwandeln sich in ein Meer von Lämpchen und Kerzen, vertraute Melodien erklingen, selbst abgeklärte Männer und Frauen bekommen ›weihnachtliche Gefühle‹.
Trautes Bild der Familie unterm Lichterbaum … alles sieht so festlich aus ... Ist das noch der Stall, in dem Jesus geboren wurde? Ist das der zugige Verschlag, den seine Eltern mit dem Vieh teilen mussten?

V.
Was wäre, wenn wir den festlichen Schmuck unserer Christtagsstuben einmal wie der alte Konrad auf den Leiterwagen packten? All die Kerzen, die Sterne, den Zuckerguss, all den elektrischen Glanz vor den Häusern und in den Fenstern?
Es wäre wahrscheinlich nicht einfach, die dann düstere Stimmung und Kälte zu ertragen. Und doch besteht genau darin die wahre Botschaft von Weihnachten: Gott kommt nicht in eine Welt voller Glanz, sondern in eine dunkle, unerlöste Welt.
Wie unerlöst unsere Welt ist, haben wir gerade wieder vor Augen geführt bekommen – mitten auf einem Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Ein verwirrter Mann mit Hass auf den Islam und auf die deutschen Behörden richtet mit seinem Mietwagen hundertfaches Leid an. Und eine Partei, mit deren Ideen der Attentäter sympathisiert, versucht, die Trauer in gruppen-bezogenen Menschenhass umzulenken. (Pause)
Die Botschaft des Weihnachtsfestes lautet mit den Engeln:
»Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.«
Wird daraus etwa nach dem 20. Dezember die erneute Verherrlichung der Vergangenheit mit Hass auf alle Menschen, die einigen nicht wohlgefallen sind? (Pause)
In Bethlehem, wo sich die Weihnachtsgeschichte zugetragen hat, war es ein armseliger Stall, so wie auch unser Leben manch-mal armselig ist.
Es war ein kalter Stall, so wie auch unsere Gefühle füreinander bald nach den Festtagen wieder erkalten.
Es war ein trostloser Stall, so wie unsere Herzen manchmal ohne Trost sind.
Es war ein hässlicher Stall, so wie die Gedanken, die wir voreinander verbergen.
Es war ein Stall, ohne jede Hoffnung auf bessere Tage.
Und in diesen Stall hinein wird das Friedenskind, der Friede-Fürst geboren. Gott ist sich nicht zu gut für eine Futterkrippe. In diesem dunklen Stall hat Gott einen Neuanfang gesetzt mit den Menschen, die ihre Hoffnung darauf längst verloren hatten (Israel) oder diese Hoffnung gar nicht erst kannten (Heiden).

D. h., es gibt keinen Ort auf dieser Welt, der nicht so düster wäre, dass Gottes Treue dort nicht sichtbar werden könnte?
Es gibt kein Herz, das zu dunkel wäre für Gottes Liebe?
Es gibt kein Leben, das Gott nicht verwandeln kann?
Es gibt keinen Hass, der mächtiger wäre als das Friedenskind.

Darum gibt es keinen Grund, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen: Es war ein Stall, es war ein Futtertrog, es war unwirtlich, dunkel, kalt...
Aber gerade die kalte Härte dieser Geschichte macht uns Hoffnung: Kleiner und ärmer als in einer Viehkrippe kann Gott auch in unserer zerrütteten und und heillosen Welt nicht anfangen!

»Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
(Jes 9,1). Amen.