Liebe Gemeinde,

wir haben soeben die Langfassung eines Dramas gehört, das uns die Apostelgeschichte des Lukas gleich in drei Versionen schildert. So wichtig ist das Damaskuserlebnis des Paulus!

Der jüdische Gelehrte Schalom Ben Chorin schreibt in seinem Buch über Paulus einen nachdenkenswerten Satz. Der fasst diese hohe Bedeutung zusammen. Der Satz ist etwas länger, aber sehr aussagekräftig.

Hören wir genau zu!

„Die Auferstehung des Jesus von Nazareth ereignete sich nicht in Jerusalem, sondern vor Damaskus, denn nur die Vision des Auferstandenen, die den Paulus auf seinem Weg nach Damaskus unmittelbar vor Betreten der Stadt widerfahren ist, wurde wirklich geschichtsmächtig.“

Liebe Schwestern und Brüder, die wurde so geschichtsmächtig, dass wir heute noch hier sitzen. Weil wir durch das Wirken des Paulus mit hineingenommen wurden in Gottes Bund mit Israel. Weil der Mann mit dem hebräischen Namen Scha-ul - das bedeutet: der von Gott Erbetene - zum Türöffner wurde in die weite Welt hinein.

Der gelernte Zeltmacher, der bei Rabbi Gamaliel die heiligen Schriften studierte, wird zum Missionar. Er wird sich von der Levante, von Tarsus, Jerusalem und Damaskus aus auf dem Weg machen bis nach Rom. Er wird das damals aktuelle Medium des Briefeschreibens nutzen, um neu gegründete Gemeinden zu stärken. Er wird die Halacha Jesu, die Lukas den neuen Weg nennt, ausbreiten. Mit Missionsreisen, mit allen nur möglichen Verkehrsmitteln, auch per Schiff. Kein Sturm wird ihn und seine Mitstreiter aufhalten können.

Doch damit all das geschehen kann, braucht es einen Mitarbeiter Gottes, der leicht übersehen wird.

Es ist Ananias.

Dessen hebräischer Name Chananja lautet: Gott ist gnädig.

Genau dafür steht Jesus als Rabbi und Wunderheiler in Wort und Tat ein. Seine Botschaft lautet: Geht auf die Menschen zu, die gegen euch eingestellt sind. Versucht euch an der Art von Nächstenliebe, die über schon befreundete Mitmenschen hinausgeht. Nehmt auch die in den Blick, die euch fremd oder feind sind!

Und genau so geht der Auferstandene mit einem um, der seine Macht missbraucht. Der meint, entscheiden zu können, wer zu Gott gehört und wer auszusortieren ist. Vor Damaskus ruft er ihn mit Namen: „Saul, Saul, was verfolgst Du mich?“

Und dann kommt Ananias ins Spiel. Der auf das hört, was Jesu Stimme, was Gottes Geist nun gerade ihm zu sagen hat.

Wer auf der Suche nach einem Vorbild im Glauben ist, hier ist er: Chananja!

Den Jesus mit Namen ruft. Und der dann sagt: Hier bin ich.

Dabei ist dieser Jünger alles andere als naiv. Er weiß, zu wem er da geschickt wird in das bestimmte Haus an der Geraden Straße in Damaskus. Sollte ein Gewalttäter zum Missionar werden können?

Ananias ist einer, der die Nachrichten hört. Ein gut informierter Anhänger jener jüdischen Gruppe des Neuen Weges, die dem Rabbi aus Nazareth folgt. Und doch bereit, mitten im Geräusch und Gerücht schlechter Nachrichten auf die Eine Stimme zu hören. Auf die es ankommt. Auf die Stimme, die aus dem Himmel zu ihm spricht.

Ich glaube, liebe Gemeinde, vielen von uns ist das Problem bekannt. Schlimme Nachrichten von Menschen, die ihre Macht missbrauchen, entmutigen uns, lähmen uns. Hindern uns sogar, noch etwas von Gott zu erwarten.

Ananias traut sich. Vertraut darauf, dass sein Name hält, was er verspricht: Gott ist gnädig.

Gott wird mit ihm sein, wenn er seinen schweren Auftrag ausführt. Für mich ist diese Szene der Höhepunkt der Geschichte:

Was Ananias tut, das tut er ganz.

Er ruft dem Saulus nicht etwa von weitem zu: Nun hör mal auf mit deinem blutigen Treiben!

Nein: Mit dem Rückenwind von Gottes Geist kommt er ihm vielmehr ganz nahe.

Und Gottes Bote tut zweierlei.

Er spricht seinen Gegner mit Namen an. Wir kennen das alle: Wenn mich jemand mit Namen ruft, dann höre ich besser zu. Und wenn dann noch eine Zärtlichkeit mitschwingt in der Anrede, dann kann sich etwas bewegen. Dann kann sich sogar vieles bewegen.

So wie es bei dem Erblindeten dann geschieht.

Ananias wendet sich ihm zu mit den zwei Worten: Bruder Saul! Das bedeutet: Wir gehören doch zusammen zu dem Einen Gott! Der uns Gebote gab, die dem Leben dienen.

Die sein Sohn, der von Gott auferweckte Jesus Christus, zur Geltung bringt.

Und zu dem Wort kommt die Tat: Die Hände ergänzen, was der Mund spricht. Segnend aufgelegte Hände lassen es dem Verirrten wie Schuppen von den Augen fallen. Sein Irrweg ist nun zu Ende. Der, dessen griechischer Beiname Paulus, der Kleine, bedeutet: Der kann nun vor Gott groß rauskommen! Und seine Vitalität in den Dienst des Lebens stellen.

Das alles, weil Gott am Menschen durch den Mitmenschen handelt. Weil er den Verirrten aufsucht. Weil er den vormals Mordhungrigen mit einem gänzlich unerwarteten Heilmittel sättigt: mit seiner nie versiegenden Gnade für gerade den, den er für seinen großen Auftrag bestimmt.

Und weil er den ganz normalen Bruder und die ganz normale Schwester im Glauben hier und da über sich hinaus wachsen lässt. Ungeahnte Heilkräfte werden so wirksam.

Dem Menschen, der Gott nah ist, bleibt das Leid nicht erspart. Das sehen wir am Weg jüdischer Propheten und am Weg Jesu. Das wissen wir selbst. Das wird auch Paulus vor Damaskus gesagt. Drei Tage keine Nahrung – die Zahl ist symbolkräftig.

Am Ende aber isst und trinkt er wieder.

Und nimmt seinen Dienst auf. Konstruktiv statt destruktiv. Predigend statt zerstörerisch.

Das Leben geht weiter – auch für uns.

Mit den Worten des Paulus schließe ich:

Gottes Friede, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft,

der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.

Amen.