Predigt am 27. September 2020

über 2. Timotheus 1, 4-10

Liebe Gemeinde, das ist einer der jüngeren Texte im Neuen Testament.

Aus der zweiten Generation der jüdischen Gemeinden, die sich auf Jesus beziehen. Und die sich daher christlich nennen.

Ich denke beim Hören dieser Worte sofort an ein Gespräch mit einem Teamer aus der Konfirmandenarbeit. Ich glaube, es war im letzten Herbst, da fuhren wir eine Strecke zusammen auf der Autobahn. Wir sprachen über Auto-Aufkleber und was sie jeweils verraten über die Person am Steuer. Gar nicht selten sahen wir einen Fisch. Neben dem Kennzeichen oder an der Heckklappe.

Angler, vermutete der Teamer.

In dem Fall weiß ich es besser: ein Christenmensch!

Gegenfrage: Wie das? Wäre das nicht ein Kreuz?

Ich kam ins Erzählen. Warum ich glaube, dass der Fisch in den frühen Gemeinden das wichtigere Symbol wurde. Es steht ja auch für die Auferstehung Jesu. Ein lebendiges, bewegliches Tier, schnell im Wasser. Ein Lebensmittel für viele, das auch. Und gesellig.

Mir fiel der große Holzfisch im Vorraum der Göttinger Reformierten Kirche ein. Den hatte ein Schreiner aus der Gemeinde gestiftet. Und viele kleine Fische wurden darauf platziert, die bildeten dann einen Schwarm. In den neunziger Jahren, als noch mehr Kinder getauft worden. Dann kamen wir etwas ins Philosophieren, der Teamer und ich. Dass all das unserer Gemeinde heute gut tun würde: mehr Lebendigkeit. Mehr Schnelligkeit. Und noch mehr Geselligkeit. Mehr Wasser, mehr Taufen. Ich denke so bei mir: Fehlt dem Kirchenfisch vielleicht die Flosse, die die Richtung vorgibt?

Viele wissen, dass in römischen Gefängnissen des ersten Jahrhunderts einige Christen einsaßen, weil sie Christus sehr viel ernster nahmen als den römischen Kaiser. Und in den römischen Katakomben fand man das Fisch-Symbol mit fünf Buchstaben und der Aufschrift Ichthys. Das ist das griechische Wort für das Wassertier. Eine Abkürzung. Sie bedeutet: Jesus Christus Gottes Sohn der Retter. Die Urform eines Glaubensbekenntnisses. Das Wort Retter ist in der längeren Fassung des Apostolikums verloren gegangen. Schade. Aber in drei Monaten ist es wieder da. Zu Weihnachten. Mit der anderen Übersetzung des griechischen Wortes, das mit dem letzten Buchstaben von Ichthys beginnt, mit dem Sigma: Soter, lateinisch Salvator. Mehr als eine Münchner Biersorte! - Heiland! Der, der uns heil macht von aller seelischen Krankheit, aller Mutlosigkeit, aller Todesverfallenheit. Christ, der Retter, ist da!

Jetzt aber, beginnt der letzte Vers unseres Textes. Mit dem der alte Apostel, der diesen Brief an Timotheus schreibt, Mut macht. Den Mann aus dem Presbyterium, den Gemeindeleiter, wieder begeistern will für das Feuer der Gabe Gottes. Das soll wieder brennen, in ihm! In der ganzen Gemeinde! Jetzt aber ist Gottes Gnade sichtbar geworden im Erscheinen unseres Retters, Jesus Christus. Er hat den Tod besiegt und hat aufleuchten lassen Leben und Unsterblichkeit durch das Evangelium. Das soll die Gemeinde neu erfahren, neu begreifen. Sie scheint wie ein Fisch vor sich hin zu dümpeln, dem die Flosse abhandengekommen ist. Der letzte Buchstabe fehlt. Kein lebendiger, aktiver Retter, kein Heiland ist in Sicht, der die christliche Gemeinde steuert und lenkt. Dabei zeichnet ja gerade das den Glauben aus – darauf weiß der Apostel hin: Niemand muss einen für alle pompös sichtbaren Kaiser auf dem Thron anbeten. Unser Herr sitzt im Himmel, zur Rechten Gottes, auf dem Thron. Er ist unsichtbar. Aber er wird sichtbar im Erscheinen, er lässt Leben aufleuchten. Er gibt Licht auf deinen Weg: Da wo menschliche Begegnung gelingt. Wo Gemeinschaft entsteht. Wo man sich zusammen freuen und miteinander weinen kann. Da wo dieser Geist zum Zuge kommt, der für viele zum Konfirmations – oder Taufspruch geworden ist:

Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

Der Apostel, der so schreiben kann im Sinne des Paulus, denkt an dessen Zeit im Gefängnis. Es steckt ein Gutteil Märtyrer-Theologie im zweiten Timotheusbrief: Für das Evangelium Mühsal und Plage ertragen in der Kraft Gottes – damit ist die Lebensgefahr jener Zeit milde ausgedrückt.

Allein, das Gefängnis scheint ein Ort zu sein, in dem des Apostels klare Gedanken reifen. So schön formuliert, dass sie zum Auswendiglern – Bibelvers heranreiften, der in diesem Jahr oft zitiert wird. Gott gibt uns den Geist der Kraft, griechisch dynamis. Eine Gemeinde, die sich vom auferweckten Christus steuern lässt, die entwickelt Dynamik. Die sieht sehr klar, wohin die Richtung geht, im ersten Vers unseres Textes lässt der Apostel das anklingen: Er sieht in seinem Glaubensbruder aus dem Presbyterium, in Timotheus, einen Glauben, der frei ist von aller Heuchelei. Gespeist nicht von fake news, sondern von Good News, der Guten Nachricht, eben dem Evangelium.

Gott gibt uns den Geist der Liebe: Hier widerfuhr mir die überraschendste Entdeckung beim Lesen unseres Verses in seinem Zusammenhang. Dieser Glaube, frei von Heuchelei, so schreibt der Apostel an Timotheus, der war schon in deiner Großmutter Lois und in deiner Mutter Eunike.

Der, der dem Tod die Macht genommen hat (Luther-Übersetzung von Vers 10a!), verbindet uns mit denen, die vor uns waren. Ein Hoch auf die Großmutter, die mitten im Krieg an ihrem Glauben festhielt und mit den Kindern betete. Und, Gott sei Dank, kümmern sich auch heute viele Mütter darum, dass abends vor dem Schlafengehen ein Gebet gesprochen wird.

Dass Kinder in Kontakt zur Gemeinde kommen! Wo sie selbst auch in schwierigen Zeiten wie der Pubertät eine Geborgenheit gespürt haben. Der Geist der Liebe verbindet uns mit denen, die uns das Leben und viel Liebe schenken. Eltern und Großeltern.

Last not least gibt uns der Vater Jesu Christi den Geist der Besonnenheit. Ein Wort, das aus griechischer Philosophie in diesen Bibeltext hineinfloss. Gleichwohl ganz auf der Linie des irdischen Jesus. Der den ihm Nachfolgenden ins Stammbuch schrieb: Seid klug wie die Schlangen und ohne falsch wie die Tauben. Dann wächst ein Glaube, der frei ist von Heuchelei. Der auch in unseren Zeiten nüchterne Erkenntnisse der Wissenschaft annimmt und besonnen in seinen way of life integriert. Sowohl im Bereich Virologie als auch im seit Freitag wieder neu ins Bewusstsein gerückten Klimadiskurs.

Luisa Neubauer, 23-jährige Geographie-Studentin aus Göttingen, wurde zum Gesicht der Freitags-Bewegung in Deutschland. Die HörZu fragt sie in dieser Woche im Interview: Sind Sie eher eine Optimisten oder eine Pessimistin?

Es folgt eine Antwort im Geist der Besonnenheit: Ich bin Possibilistin. ( Das Wort ist mir neu, aber so viel Englisch verstehe ich: Ich tue das was möglich ist.) - Also Luisa Neubauer, ein etwas längeres Zitat: Ich bin Possibilitistin und verstehe mich so als aktiven Teil des Wandels. Wir wissen, dass eine andere Zukunft möglich ist. Einige Menschen fragen sich - genau wie ich - aus christlichen Beweggründen: Was machen wir eigentlich mit der Schöpfung? Wie können wir es für uns selbst, vor den Kindern und Kindeskindern rechtfertigen, die natürlichen Ressourcen auszubeuten, obwohl wir wissen, dass es auch anders geht?

Diese Frage der Studentin lasse ich erst einmal stehen und bewege sie weiter…
Und komme zurück auf die Quelle der Zuversicht, dass unser Gemeinde-Schiff oder Gemeinde- Fisch immer neu auf Kurs kommt. Der Geist der Kraft, Liebe und Besonnenheit, der ist uns durch die Taufe gegeben. Den können wir nicht abschütteln. Und er ist wirksam in einer Gemeinde, die letzten Sonntag ein fröhliches Fest mit vielen Kindern gefeiert hat. Die anders als andere kaum sinkende Besucherzahlen in diesem Jahr beklagen muss. Die gute Kollekten erzielt, sicher auch heute für die Flüchtlingshilfe. Da kommt Freude auf, dass es auch anders gehen kann, so wie Luisa Neubauer erhofft. Und mit ihr viele von uns.

Lassen wir das Feuer der Gabe Gottes in uns brennen. Lassen wir unseren Fisch seine Flosse bewegen und schwimmen. Mögen wir uns von Christus erretten und weiter tragen lassen von jenem Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

Und Gottes Friede, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.

Amen.