Predigt von Pastor Eluisabeth Griemsmann über das Lied "Wer nur den lieben Gott lässt walten"
am Sonntag, den 2. Januar 2022

Liebe Gemeinde,

Georg Neumark wurde 1621, drei Jahre nach Beginn des dreißigjährigen Krieges, in Thüringen geboren. Kurze Zeit später zogen seine Eltern in die Reichsstadt Mühlhausen, die ihren Einwohnern Schutz vor militärischen Übergriffen bot. Georg zeigte eine musische Begabung, liebte Musik und Dichtkunst. Im Alter von 19 Jahre verließ er seine Heimatstadt, um in Königsberg Jura zu studieren und sich in die Gesetzmäßigkeiten der Poesie einweisen zu lassen. Er schloss sich einer sogenannten „Kaufmannsfuhr“ an. Diese Art zu reisen, sollte ihn vor Überfällen schützen, wie sie so oft vorkamen. Doch in der Altmark - auf dem Weg zu einem Ostseehafen - wurde die Reisegesellschaft überfallen und völlig ausgeplündert. Georg wollte nicht zurückkehren, sondern seine Reise fortsetzen. Dafür musste er Geld verdienen. In Magdeburg, Lüneburg und Hamburg traf er auf freundliche Menschen, die ihn vorübergehend aufnahmen. Aber erst in Kiel konnte er im Januar 1641 eine Stelle als Hauslehrer antreten und seine Existenzgrundlage sichern. Dort dichtete er sein bekanntes Lied: Wer nur den lieben Gott lässt walten...

Unser Lebensgefühl ist ein ganz anders als das der Menschen im 17. Jahrhundert. Unser Selbstverständnis, unser Menschenbild, unser Wissen und unser Glaube. Es gibt andere Bedrohungen und Gefährdungen. Was lässt sich überhaupt vergleichen? In der Jahreswende erleben wir einen Neubeginn. Die Ereignisse des alten Jahres wirken noch nach. Fotos werden vor dem inneren Auge sichtbar: von den Überflutungen, von den Intensivstationen, von dem Flughafen in Kabul. Trennungen und Abschiede waren unter den Coronabedingungen besonders schmerzhaft. Und die Vorgaben um die Weihnachtsruhe und die Kontaktbeschränkungen machen einen fröhlichen Jahreswechsel schwierig. Wir stoßen in mehreren Bereichen an unsere Grenzen, erkennen, dass eine Korrektur brauchen. Doch wir hegen auch viele Hoffnungen für das neue Jahr. Und es gibt gute Aussichten, die uns ermutigen und Vorfreude verbreiten. Wir können immer wieder Überraschungen zum Guten erwarten. Auch in unserer Gemeinde können wir beobachten, dass Gott neue Menschen für seine Sache hier gebrauchen will. Veranstaltungen können wir mit ins neue Jahr nehmen. Reisen sollen nachgeholt werden. Und bitten - wie die Mütter und Väter im Glauben - Gott um das Gelingen, um seinen Segen.

Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit. Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut.

Georg Neumark blickte in Kiel auf eine gefährliche, beschwerliche Reise zurück. Er hatte einen Überfall überlebt und war ausgeraubt worden. In seinem Berufs- und Studienplänen war er ausgebremst worden. Auf der Suche nach einer festen Stelle musste er viel Geduld aufbringen und war von der Freundlichkeit anderer Menschen abhängig. In Kiel endlich lösten sich alle Anspannungen, und er konnte befreit und dankbar dieses Lied schreiben und singen. Göttliche Bewahrung war für ihn greifbar geworden. Er hatte seine Hoffnung nicht vergeblich auf Gott gesetzt. Er konnte sich weiterhin zu dem zugewandten und allmächtigen Gott bekennen. Das Lied entstand nicht direkt in der Krise. Aber es konnte Empfehlungen für Krisenzeiten geben. Dabei muss es den Nerv der Zeit getroffen haben. Hätte es sich sonst von Mund zu Mund verbreitet? Erst 16 Jahre später wurde es in Weimar in einer Liedersammlung gedruckt und schriftlich verbreitet.

Nach Verlässlichkeit suchen und fragen wir auch in unserer Zeit, in der sich viele wirtschaftliche und gesellschaftlich Probleme auftun, in der Menschen vor dem Krieg, aber auch vor den Folgen der Klimakrise flüchten. Wir können die Ressourcen der Erde nicht weiterhin zu unbekümmert gebrauchen wie bisher. Sie sind begrenzt. Die Globalisierung erleben wir in der Auswirkungen der Klimakrise und auch in der Verbreitung von Viren. Was bisher als selbstverständlich galt, wird in Frage gestellt. Auch wir wollen nicht auf Sand bauen, sondern auf Stein. Die Liedstrophe spricht vom Vertrauen zu Gott, dem Schützer und Erhalten des Lebens. Er ist allmächtig, aber auch zugewandt und freundlich. Indem wir einstimmen, können wir unseren Kummer und unsere Ängste vor Gott bringen. Wir können die Hoffnung aussprechen, dass er es gut fügen möge. Wir können ihn bitten, dass gute Entwicklungen gestärkt werden, dass Entscheidungen dem Wohl der Schwächeren dienen – auch durch uns.  Wir können aus den Krisen Lehren ziehen, dass wir weiterhin füreinander da sein wollen und können.

Was helfen uns die schweren Sorgen, was hilft uns unser Weh und Ach? Was hilft es, dass wir alle Morgen beseufzen unser Ungemach? Wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit.

Sorgen, Weh und Ach spielen eine große Rolle im Leben der Menschen. Georg Neumark hatte sie kennengelernt. Er solidarisierte sich mit ihnen. Aber er befürchtete wohl einen unheilvollen Sog, der immer tiefer ins Leiden führen würde. Klagen sollte nichts Positives bewirken können. Deshalb zog er eine unsichtbare Bremse. Dabei warb er aber um Zustimmung der anderen. Unser Lied fragt nach dem Nutzen des Klagens. Und sagt, dass die Klage nur wenig hilft. Ist das so? Wir sehen das heute etwas anders. Wir wissen, dass Menschen Grund zum Klagen haben. Denn es geschieht Unrecht. Und ein Verlust tut einfach weh. Das soll nicht verschwiegen werden. Schweigen kann sogar krankmachen. In der Bibel dürfen Menschen ihre Klage vor Gott bringen und mit ihm streiten. Hiob hat deshalb in der Bibel viel Raum für seine Klage erhalten. Aber dann er fand doch den Weg zurück. Wir brauchen heute sicher viel mehr Zeit, um von der Klage zu dieser Einsicht zu finden. Aber dann sollten wir auch zulassen, dass eine Wunde heilen darf - und auf das Ermutigende schauen.  

Georg Neumark schlägt in seinem Lied einen Perspektivwechsel vor: Man halte nur ein wenig stille und sei doch in sich selbst vergnügt, wie unser's Gottes Gnadenwille, wie sein Allwissenheit es fügt; Gott, der uns sich hat auserwählt, der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt.

Die großen theologischen Streitthemen seiner Zeit werden im Leben der Christenmenschen geerdet: Gottes Vorherbestimmung und Gottes Erwählung. Keine theoretische Debatte. Sie trösten die Glaubenden. Sie geben Sicherheit und Zuversicht. Sie sind Ausdruck der Zuwendung Gottes und zeigen sich im Leben. Davon ist der Dichter überzeugt. Er kennt die rechten Freudenstunden, er weiß wohl, wann es nützlich sei; wenn er uns nur hat treu erfunden und merket keine Heuchelei, so kommt Gott, eh wir's uns versehn, und lässet uns viel Guts geschehn. Jesu Worte aus der Bergpredigt klingen an: Nicht so viele, laute Worte machen. Gott weiß, was Menschen brauchen. Das wird er ihnen geben. Sie brauchen jedoch das Vertrauen, dass er es tun wird und die Geduld darauf zu warten. Und er möchte, dass sie ihrerseits Treue bewahren; das wird mit Gutem belohnt. Die Heuchelei wiederum wird entlarvt und erhält von Gott keine Zuwendung.

Denk nicht in deiner Drangsals Hitze, dass du von Gott verlassen seist und dass ihm der im Schoße sitze, der sich mit stetem Glücke speist. Die Folgezeit verändert viel und setzet jeglichem sein Ziel.

In dieser Strophe wird es besonders intensiv und innig. Auf der einen Seite der Lehrende, der Seelsorgende und auf der anderen Seite der/ die Leidtragende. Auch Seelsorge braucht einen geschützten Raum und Zeit für ein persönliches Gespräch. Der eine klagt sein Leid und fühlt sich von Gott verlassen. Er soll auch eine Antwort erhalten. Dieses Gegenüber hat biblische Grundlagen: in den Psalmen mit der Klage und dem Vertrauen sowie in der Weisheit mit der Geduld und der Empfehlung zur Treue.

Es sind ja Gott sehr leichte Sachen und ist dem Höchsten alles gleich: Den Reichen klein und arm zu machen, den Armen aber groß und reich. Gott ist der rechte Wundermann, der bald erhöhn, bald stürzen kann.

Die biblischen Loblieder der Hannah und der Maria haben bereits davon gesungen. Beide Frauen loben Gottes Zuwendung zu denen, die gering, klein, schwach und jung angesehen werden. Erst Gottes Anrede und Gottes Zutrauen machen sie groß. Und so besingen sie Gottes Zuwendung und Stärkung der Schwachen, ebenso wie die Demütigung der Großen und Mächtigen. Es sind revolutionären Gedanken gegen bestehende Machtstrukturen. Wenn das die Mächtigen verstanden hätten, ...?    

Was bleibt nach all diesen Erklärungen für die Glaubenden zu tun? Georg Neumark führte sie zurück in ihren Alltag und erinnerte sie an das, was sie tun sollten und tun könnten.

Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht das Deine nur getreu und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu; denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht.

Was zu tun bleibt, ist das Singen, das fröhlich macht. Georg Neumark hat später auch viele weltliche Lieder und Musikstücke für den Hof in Weimar geschrieben und komponiert. Was zu tun bleibt ist das Beten. Es bittet um Hilfe in der Not und um Geduld - ohne große oder laute Worte. Es bittet auch für andere, die Hilfe brauchen, denen Unrecht geschehen ist. Was zu tun bleibt, ist drittens das Handeln nach Gottes Weisung. Die Hände sollen nicht in den Schoß gelegt, sondern Gottes Wege sollen gegangen werden. Dabei gibt es viel zu tun, was einfach getan werden muss. Doch für den Erfolg braucht es auch Gottes Segen

Sicher gibt es Situationen, in denen uns das Singen dieses Liedes guttut. Die Fragen und Antworten sind uns nicht fremd. Wenn wir an unsere Grenzen stoßen, wenn wir uns ausgeliefert und hilflos fühlen, können wir uns von den Aussagen dieses Liedes tragen lassen. Und in der Zeit der Pandemie erkennen wir die Vorzüge der Geduld, des Wartens und der Blick auf das, was doch gelingt und Anlass zur Freude. Oft verstehen wir uns jedoch als Christen und Christinnen viel aktiver, sehen mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Verantwortung für andere. Deshalb habe ich oft in den Gottesdiensten nur eine Auswahl von Strophen singen lassen. Am liebsten war und ist mir die letzte Strophe. Wie geht es Ihnen heute am Beginn des neuen Jahres?

Georg Neumark reiste nach einigen Jahren von Kiel nach Königsberg. Dort studierte er so, wie er es sich gewünscht hatte.  Zu anderen Musikern und Dichtern bekam er guten Kontakt. Er spielte Gambe und Cembalo. Nach Ende des 30jährigen Krieges traute er sich Königsberg zu verlassen. Vier Jahre später fand er als Hofpoet eine gute Anstellung in Weimar. Dort gründete er auch eine Familie. 1681 starb er. Sein Wahlspruch lautete: Wie Gott es will, so halt ich still. Sein Gottvertrauen hat ihn im Leben und Sterben getragen.
Amen.