Predigt von Vikarin Sabine Schumacher zu Johannes 3,14-21
Systemrelevant. Zwei-Haushalts-Regel. Inzidenz. Lockdown Light. Team Vorsicht. Kontaktverfolgung. Ausgangssperre. Impfneid. Hotspot. Superspreader. Pandemie-Überbrückungshilfe.
Experten zählen mehr als 2500 neue Wörter, die wir in der Pandemie gelernt und neu verwendet haben.
Diese Woche konnten wir Jahrestag feiern. Fünf Jahre Corona-Pandemie. Am 11.März wurde die Pandemie von der WHO offiziell ausgerufen. Und vom 12.-16.März, also nachgerechnet gerade mal jetzt von Mittwoch bis Sonntag ging es in Deutschland rund. Unterschiedlichste Schließungen und Maßnahmen wurden diskutiert. Der erste Lockdown folgte dann am 22. März.
Vielleicht haben Sie die Erinnerung daran auch in der Zeitung oder in den Nachrichten verfolgt. Als ich die Artikel zu diesem Jubiläum entdeckt habe, wollte ich das am liebsten wegschieben und mich nicht damit beschäftigen. Das war eine anstrengende, schmerzhafte Zeit, die uns wahrscheinlich alle sehr herausgefordert hat. Mich selbst hat sie um die Hochzeitsfeier gebracht. Ganz trotzig haben Mark und ich zwar dennoch im Herbst 2020 im kleinen Kreis standesamtlich und kirchlich geheiratet, aber die große Party fiel aus. Und steht immer noch aus.
Vor fünf Jahren begann eine Krise, die unser Leben grundlegend verändert hat: „Krise“ das Wort hören wir auch heute immer wieder – dieser Begriff kommt aus dem Griechischen: „krisis“ – und bedeutet ursprünglich Entscheidung, Urteil oder Wendepunkt. Es ist die entscheidende Phase.
Eine Krise, das haben wir erlebt, offenbart vieles. Sie wirkt wie ein Brennglas: Sie urteilt und zeigt, was verborgen war; sie enthüllt, was wir lieber im Dunkeln ließen.
Zum Beispiel wurde deutlich, wie schlecht unsere Schulen ausgestattet sind. Oder unter welchen prekären Arbeitsbedingungen Pflegepersonal oder Lieferdienste arbeiten müssen. Sie zeigte uns den Personalmangel in entscheidenden Berufen und machte soziale Benachteiligungen sichtbar. Sei es in den Wohnverhältnissen, in der Bildung oder in der Gesundheitsversorgung.
Unser heutiger Predigttext handelt auch von Krisenerfahrungen. Krisis. Entscheidung. Urteil. Er ist hochanspruchsvoll und steht im Johannesevangelium im dritten Kapitel die Verse 14-21. Der Abschnitt überliefert einen nächtlichen theologischen Fachdiskurs zwischen dem Schriftgelehrten Nikodemus und Jesus. Ich kann mir das gut vorstellen wie beide, vielleicht mit einem guten Schluck Rotwein in der Hand, gemeinsam über knackige Fragen diskutieren:
Wie kann ein Mensch neu geboren werden? Wer ist dieser Jesus, und was tut er für die Menschen?
Weil dieser Text so dicht ist, werde ich ihn nicht am Stück lesen, sondern wir gehen ihn in drei Abschnitten, Schritt für Schritt durch. Wir starten mit der Frage, wer dieser Jesus ist, und was tut er für die Menschen tut.
Ich lese die Verse 14-15: „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.“
Diese geheimnisvolle Stelle erinnert uns an eine alte Geschichte: Als das Volk Israel in der Wüste von Giftschlangen gebissen wurde, stellte Mose auf Gottes Anordnung eine eherne oder bronzene Schlange auf. Die Verwundeten schleppten sich herbei und richteten ihren Blick auf die bronzene Schlange. Wer sie ansah, wurde geheilt. Diese erhobene Schlange steht für Rettung in der Krise. Es geht hier um Vertrauen und die richtige Blickrichtung.
Wohin schauen wir in der Krise? Blicken wir nach unten, auf die Giftschlangen, die uns bedrohen, beißen und lähmen wollen? – oder richten wir unseren Blick nach oben, zur Schlange, zum Zeichen der Hoffnung und Heilung? Jesus verweist in diesen Versen auf seine eigene Erhöhung – seine Kreuzigung. Das Kreuz wird damit zu einem Zeichen der Hoffnung mitten in der Krise. Indem Jesus hier auf seine Erhöhung am Kreuz verweist, macht er deutlich, dass Erlösung nicht darin besteht, Krisen auszuweichen oder sie zu ignorieren. Stattdessen geht es darum, sich gerade da an Gottes Barmherzigkeit zu erinnern. Sich gerade da an ihn zu wenden.
Doch was bedeutet es konkret „auf ihn zu blicken“? Sicher nicht, dass wir in der Krise sinnvolle Maßnahmen wie damals die 3G-Regeln einfach abschaffen. Oder uns entspannt zurücklehnen, in der Hoffnung, dass sich alle Probleme von selbst lösen. Es bedeutet, unseren Blick bewusst auf Christus zu richten. Wir haben einen Ansprechpartner für unsere Sorgen. Aus dieser veränderten Perspektive gewinnen wir Mut. bewahren innere Zuversicht und Orientierung – gerade in Krisenzeiten.
Denn das wichtigste steht schon fest. Auch wenn wir Menschen und so vieles auf dieser Erde versagt: Gott liebt diese Welt. Gott lässt uns nicht im Stich.
Ich lese weiter V.16: „Jesus spricht: ,Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.‘“
Das ist vermutlich einer der bekanntesten und zentralsten Bibelverse überhaupt. Gott begegnet der Krise mit Liebe. Er macht uns damit ein Beziehungsangebot. Keine Einsamkeit, keine Isolation, kein starrer Blick auf unsere Grenzen. Stattdessen öffnet sich ein Horizont, der weit über unsere Begrenztheit hinausgeht.
Warum brauchen wir diese Rettung? Weil wir spüren, dass vieles in unserer Welt nicht so läuft, wie wir es uns wünschen. Vieles geht schief. Wir brauchen jemanden, der größer ist als wir, der uns eine verlässliche Perspektive schenkt. Besonders dann, wenn unsere vermeintlichen Sicherheiten zerbrechen.
Denken wir zurück an die Pandemie, als Donald Trump im Frühjahr 2020 sagte: „Wir haben es völlig unter Kontrolle. Es ist eine Person, die aus China kommt, und wir haben es unter Kontrolle. Es wird alles gut werden.“ Wie sehr sich diese Einschätzung und viele weitere, als falsch erwiesen, haben wir alle erlebt. Wie Trumps Aussagen zu trauen ist, bezweifeln wir noch heute. Wir leben in einer unsicheren Zeit. Wir brauchen Jesus, gerade weil wir nicht alles unter Kontrolle haben. Gott begegnet unseren Krisen nicht mit bloßen Worten oder Vertröstungen. Er handelt. Er schenkt uns seine Liebe – konkret und sichtbar in Jesus Christus. Diese Liebe bedeutet Rettung. Sie bedeutet, dass wir mitten in der Unsicherheit. Mitten im Scheitern nicht allein sind. Gott liebt die Welt so sehr, dass er ganz nah bei uns sein will. Er lässt uns nicht allein. Er begleitet uns. Er stärkt uns und schenkt letztendlich ewiges Leben.
So lesen wir in V. 17-21: „Denn Gott hat den Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes geglaubt hat. Dies aber ist das Gericht: Das Licht ist in die Welt gekommen, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber tut, was der Wahrheit entspricht, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott gewirkt sind.“
Bisher habe ich das griechische Wort Krisis als Krise, Urteil oder Entscheidungspunkt übersetzt. Hier im Text taucht es auch auf und wird mit Gericht übersetzt. Einerseits erinnert uns der Begriff an Gottes endgültige Entscheidung am Ende aller Zeiten. Andererseits geht es insbesondere in diesem Text um unsere heutigen Entscheidungen, die jetzt schon Auswirkungen haben.
Fest steht: Unser Glaube trägt uns durch das Gericht durch diesen Entscheidungspunkt. Glauben ist hier ein aktiver vertrauensvoller Schritt. Wenn wir Gott vertrauen, wenn wir Jesus und seinen Wort Glauben schenken, dann ist die Krise entschieden.
Eigentlich leben wir mit einem „Spoileralarm“, also einer Vorwegnahme auf das Ende: Denn wir wissen bereits jetzt, wohin Gottes Geschichte führt – nicht ins Gericht, sondern zur Rettung. Wer glaubt, darf sich darauf verlassen, dass Gottes letztes Wort nicht Verzweiflung, sondern Hoffnung heißt. Und das allerletzte Wort wird Liebe heißen. Diese Hoffnung und Liebe Gottes zeichnen sich schon jetzt in unser Leben und unser Handeln ein, da wo wir uns mit Gott verbinden. Das Gericht, das Brennglas, der Entscheidungspunkt wird von Jesus in der Diskussion mit Nikodemus mit Licht und Finsternis veranschaulicht. Es ist unbequem, ins Licht zu schauen, vor allem wenn es Dinge sichtbar macht, die wir lieber verdrängen würden. Licht zeigt nicht immer das Angenehme, aber es ist nötig zur Heilung.
Wenn man so will: Die Corona-Zeit hat unsere Schwächen aufgedeckt – aber auch unglaubliche Solidarität hervorgebracht. Erinnern wir uns an Angela Merkels Worte: „Dass sich so viele an diese Verhaltensregeln halten, das berührt mich sehr. So retten wir Leben.“ Krise macht deutlich, was lebensrettend ist und was nicht. Die Krise – das Gericht – führt uns letztlich ins Licht. Und hier in der Krise offenbart sich Gott nicht als zerstörerischer Richter, sondern in Jesus Christus als liebender Retter, als barmherziger Fürsprecher. Er ist das Licht der Welt.
Was heißt das heute für uns?
Es bedeutet, dass wir uns bewusst erinnern– an unseren barmherzigen Gott.
Wie spannend wäre es da, in der Familie oder im Freundeskreis noch einmal zu überlegen: Wo haben wir Gottes Barmherzigkeit in der Pandemie konkret erfahren? Was heißt es für uns, uns in den heutigen Krisen erneut an Gottes Barmherzigkeit zu erinnern? Wenn Sie mögen, unterhalte ich mich auch gerne mal länger mit Ihnen darüber. Und es bedeutet, dass wir mit Gott bewusst in Kontakt treten und ihn erinnern:
Du hast zugesagt, du willst barmherzig sein!
Es bedeutet,
dass wir mit unseren Fragen den Blick immer wieder auf Jesus richten.
Dass wir mit ihm darum ringen, wo wir selbst in Krisen feststecken.
Dass wir ihm klagen, wo Dunkelheit herrscht und kein Licht zu sehen ist –
bei den verfolgten Christen in aller Welt,
bei Menschen in Angst und Not,
dort, wo Hoffnungslosigkeit herrscht.
Ich wünsche uns, dass wir gerade dann erfahren, dass Gott uns hört. Dass er barmherzig ist.
Er hat uns das vielfach gezeigt, und er wird es am Ende aller Zeiten vollenden.
So gilt uns die Gewissheit: Immer wieder kommt ein neuer Frühling, immer wieder kommt ein neuer März. Immer wieder bringt er neue Blumen, immer wieder Licht in unser Herz.
Amen.