• Predigt
»Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.« (Röm 1,7) Amen.

Liebe Gemeinde,
im September sind Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Und im November Präsdentschaftswahlen in den USA. Deshalb nehmen jetzt gerade die Angriffe auf den politi­schen Gegner zu: Den anderen Parteien wird politisches Versagen vorgeworfen. Sie werden verantwortlich gemacht für die hohe In­flation, die steigenden Energiepreise, für die Abwanderung der In­dustrie und für die hohe Zahl der Flüchtlinge, denen viel Negatives nachgesagt wird.
Besonders beliebt ist es bei den Politik-Beratern, wenn dem Konkurrenten um ein Regierungsamt ein kleiner Skandal ange­hängt werden kann. Der wird dann in der jeweiligen Presse genüsslich ausgebreitet.
Sie erinnern sich vielleicht noch an Annalena Baerbock, die vor der Bundestagswahl ein Buch geschrieben hatte. Es stellte sich her­aus, dass zahlreiche Passagen anderswo abgeschrieben wurden. Die Umfragewerte der GRÜNEN stürzten danach ab.

Ähnlich erging es Armin Laschet, der vor 3 Jahren bei einer Re­de des Bundespräsidenten im Überflutungsgebiet gefilmt wurde, wie er sich im Hintergrund über einen Witz lustig machte.

Wenn man genau hinguckt, gibt es in jeder Partei solche Patzer und Verfeh­lungen. Auch finden sich immer wieder Abgeordnete, die der Ver­suchung nicht widerstehen können, sich persönliche Vorteile zu verschaffen. Manche Affären wurden gewiss überbewertet. Doch jedesmal entsteht der Eindruck: Die meisten Politiker und Politike­rinnen gehen fahrlässig mit Steuergeldern um und sind in erster Li­nie auf ihren eigenen Vorteil bedacht.
Es ist sicherlich nicht gut, in die allgemeine Politiker-Verdrossen­heit einzustimmen. Ich frage mich aber schon, was es bedeutet, wenn das gemeinsame Ringen um Lösungen immer mehr in den Hintergrund rückt, wenn einzelne Parteien nur ihren eigenen Vor­teil suchen und das Ansehen der Politik dadurch immer mehr be­schädigt wird.

Wie können wir in dieser Situation hoffen, dass die vielen Pro­bleme unserer Zeit bei den gewählten Vertretern und Vertreterin­nen des Volkes gut aufgehoben sind? Und wie können wir christ­lich verantwortet dazu beitragen?

II.
Liebe Gemeinde, auch in der Bibel werden solche Fragen gestellt. Bereits im Alten Testament wird deutlich, dass das Königsamt im Alten Israel nur sehr zögerlich eingerichtet wurde. Man erwartete mehr Nachteile als Vorteile durch die Schaffung einer solchen Machtfülle. Und die weitere biblische Geschichte zeigt, dass Isra­el mit seinen Königen nicht sehr viel Glück gehabt hat.
Dies gilt auch für den bedeutendsten König Israels, für König Da­vid.
Der heutige Predigttext schildert ihn in einer außerordentlich brenzligen Situation. Der Prophet Nathan ist zu ihm gekommen, um ihm das Gericht Gottes anzusagen. David hat sich schwerer Vergehen schuldig gemacht; folgendes ist passiert:
Während die Soldaten Davids die Stadt Rabba belagern, hält sich David in Jerusalem auf. Bei einem Abendspaziergang auf dem Da­chgarten seines Palastes erblickt er im Nachbarhaus eine Frau, die gerade badet. Sie ist eine sehr schöne Frau und heißt Batseba. David findet Gefallen an ihr und zieht Erkundigungen über sie ein. Er erfährt, dass sie mit Uria, einem seiner Soldaten, verheiratet ist. Das stört David jedoch wenig. Er lässt sie in seinen Palast holen und schläft mit ihr. Dieser Fehltritt des Königs wäre vielleicht un­entdeckt geblieben, doch Batseba wird schwanger.
David versucht, seine Vaterschaft zu vertuschen und gewährt Bat­sebas Ehemann Heimaturlaub. Die Absicht ist klar: Uria soll mit seiner Frau schlafen, um den Eindruck zu gewinnen, er sei der Va­ter des Kindes. Doch Uria macht David einen Strich durch die Rechnung. Er weigert sich, zu Batseba einzukehren. Er übernach­tet lieber bei den Knechten im Stall; für ihn kommt es nicht in Fra­ge, die häuslichen Annehmlichkeiten zu genießen, während seine Kameraden an der Front auf freiem Feld lagern.
David wird nervös; zunächst verlängert er den Heimaturlaub Urias und versucht, ihn mit Alkohol gefälliger zu machen. Doch Uria schläft auch an diesem Abend nicht bei seiner Frau, sondern erneut bei den Knechten im Stall. Schließlich schickt David ihn an die Front zurück und erteilt seinem Heerführer Joab einen Befehl: Joab soll Uria bei dem nächsten Angriff an die vorderste Front stel­len, damit er dort sein Leben lässt.
Und genauso kommt es dann: Uria stirbt, und David holt Bat­seba später in sein Haus, wo sie ihm einen Sohn gebiert.

III.
Soweit die Vorgeschichte unseres Predigtextes. Der große König und Gottesmann David ist gestrauchelt. Gott hatte seinem Königtum ewigen Bestand zugesagt; aus seiner Nachkommen­schaft sollte der Messias geboren werden (2. Sam 7). Und jetzt? Der erste Sohn Davids ist das Ergebnis von Machtmissbrauch, Vergewaltigung, Ehebruch, Lüge, Betrug und Mord. War das der Weg, den Gott mit seinem Gesalbten vorgezeichnet hatte? Wohl kaum!
Doch, hören wir den Predigttext; er steht im 2. Samuelbuch, Ka­pitel 12:

1 Der Herr schickte Natan zu David. Als er zu ihm kam, erzählte er ihm eine Geschichte: »Zwei Männer lebten in einer Stadt. Der eine war reich, der andere arm. 2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder. 3 Der Arme aber hatte nichts als ein kleines Lamm. Das hatte er sich gekauft und aufgezogen. Es wuchs bei ihm heran, zusammen mit seinen Kindern. Es aß von seinem biss­chen Brot, trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß. Es war für ihn wie eine Tochter. 4 Eines Tages kam ein Reisen­der zu dem reichen Mann. Und es war üblich, ein Essen für den Gast zuzubereiten, der zu ihm gekommen war. Doch der reiche Mann wollte seinen Besitz schonen und keines von seinen Schafen und Rindern nehmen. Deshalb nahm er das Lamm des armen Mannes. Das bereitete er zu und setzte es dem Gast vor, der zu ihm gekommen war.«
5 David wurde sehr zornig über den Mann und sagte zu Natan: »So gewiss der Herr lebt! Ein Kind des Todes ist der Mann, der das getan hat! 6 Und das Lamm muss er vierfach ersetzen – zur Strafe dafür, dass er das getan hat und das Lamm des Armen nicht ver­schonte.« 7 Doch Natan entgegnete David: »Du bist der Mann! So spricht der Herr, der Gott Israels: Ich habe dich zum König über Israel gesalbt und dich aus der Hand Sauls gerettet. 8 Den Besitz deines Herrn habe ich dir gegeben und die Frauen deines Herrn dir in den Schoß gelegt. Ich habe dir das Haus Israel und Juda ge­geben. Und wenn das zu wenig gewesen ist, dann will ich dir noch dies und das dazugeben! 9 Warum hast du das Wort des Herrn verachtet? [...]: Den Hetiter Urija hast du mit dem Schwert getö­tet und dann seine Frau geheiratet. Ja, du hast ihn durch das Schwert der Ammoniter aus dem Weg geräumt. 10 So soll jetzt das Schwert für alle Zeit gegen dein Haus gerichtet sein – zur Stra­fe dafür, dass du mich verachtet hast: Du hast dir die Frau des He­titers Urija genommen und sie zu deiner Frau gemacht. 11 So spricht der Herr: Ich werde dafür sorgen, dass aus deinem eigenen Haus Unheil über dich kommt. [...]
13 Da bekannte David vor Natan: »Ich habe Unrecht getan gegenüber dem Herrn!«
Und Natan antwortete David: »Der Herr sieht über deine Schuld hinweg, sodass du nicht sterben musst. 14 Doch der Sohn, der dir geboren ist, muss sterben. Denn du hast den Herrn dadurch ver­höhnt, dass du ein solches Unrecht begangen hast.« 15 Und Na­tan ging in sein Haus zurück.

IV.
Liebe Gemeinde,
» ... und Nathan ging in sein Haus zurück.«
Das klingt so, als sei die Geschichte nun zu Ende. Doch tatsächlich geht sie weiter. Während Nathan sich entfernt, geht David in sei­nem Palast auf und ab. Er ist zutiefst erschüttert. Irgendwie hatte er geglaubt, als König Immunität zu besitzen. Als oberster Garant des Rechts war ihm das Gespür dafür abhanden gekom­men, dass auch er selbst Recht und Gesetz unterworfen war. [Das geht manchen Regierungschefs so, aktuell sehen wir das in Venezuela und vor 3 ½ Jahren konnten wir es in den USA beob­achten.]
O.K. David hatte mit Batseba angebandelt, aber nachdem Uria ge­fallen war, könnte ihm daraus niemand mehr einen Vorwurf ma­chen. Hatte er sich nicht vorbildlich um die junge Witwe geküm­mert? Dass er seine Hände beim Tod Urias mit im Spiel hatte, wer wollte ihm das nachweisen? Sein oberster Heerführer Joab war ihm als Offizier unterstellt; der würde bestimmt nichts ausplau­dern. Natürlich – das konnte er sich denken – wurde am Hof ge­tratscht. Aber auch das, glaubte David, würde bald aufhören.
Doch plötzlich steht Nathan vor seiner Tür. Zuerst freut sich David, den wackeren Propheten wiederzusehen. Er gehört zu Da­vids ›Politikberatern‹ – wie man heute sagen würde. Vor allem in religiösen Fragen ist der Rat und das Ansehen Nathans unverzicht­bar.
Nathan trägt ihm diese eigentümliche Geschichte vor mit dem reichen Mann, der aus Habgier dem armen Mann sein einziges und geliebtes Schaf genommen hat. Was sollte das? Solche Fälle werden beim Gericht der Ältesten im Stadttor entschieden. Überhaupt ärgert es David, dass solche Fälle immer wieder auftre­ten und Unruhe ins Volk bringen. Und jetzt wird schon der König selbst damit belästigt. Er muss ein Exempel statuieren:

»Null Toleranz für solche Vergehen: Der reiche Mann soll das Lamm vierfach ersetzen – wie es das Gesetz vorschreibt. Darüber hinaus soll er mit dem Tode bestraft werden. Denn ich bin König und sorge in meinem Land für Recht und Ordnung!«

David will den Starken markieren, um von seinem eigenen Ver­gehen abzulenken. Doch als er das vor Entsetzen starre Gesicht Nathans sieht, hält er inne. Die Augen des Propheten sind fest auf ihn gerichtet. (Pause)

»Du«, sagt Nathan nach einer Ewigkeit, »Du bist der Mann, von dem ich sprach!« David ist zuerst irritiert. »Wie redet dieser Prophet zu seinem König? Habe ich nicht Macht, ihn für im­mer zum Schweigen zu bringen?« Doch dann hält er entsetzt inne:
Für den Diebstahl hatte er die Todesstrafe vorgesehen, was droht dann ihm? Machtmissbrauch, Vergewaltigung, Ehebruch, Lüge, Betrug und Mord – mit seinen Vergehen hat David die Gül­tigkeit des Rechts infrage gestellt und damit die Legitimität seines gesamten Königtums.
David muss den Worten Nathans gar nicht weiter zuhören. Zu ge­nau weiß er, was ihn erwartet. Gott hatte ihn aus der Hand Sauls errettet, ihn zum König über ganz Israel gemacht. Er hätte ihm je­des Mädchen zur Frau gegeben. Aber das war ihm nicht genug. An einer verheirateten Frau musste er sich vergehen und ihren Mann dem sicheren Tod ausliefern.

»Es ist aus. Aus und vorbei.« denkt David. »Ich habe das Wort des Herrn verachtet und mir selbst das Urteil gesprochen.«
Und so verkündet es Nathan dann auch: »Das Schwert soll nicht mehr von dem Hause Davids weichen, und aus seinem eigenen Hause soll ihm Unglück erstehen. In aller Öffentlichkeit wird Gott David bloßstellen, so wie David Gott bloßgestellt hat.
David ist zutiefst erschüttert. Das Versteckspiel ist vorbei – die Heimlichtuerei vor Gott – als wäre das überhaupt möglich! Er hat sich und allen anderen etwas vorgemacht. Hat Grenzen überschrit­ten, rücksichtslos sich immer mehr in Lügen verstrickt und andere mit hineingezogen. Dieses Spiel ist jetzt vorbei.
Immer mächtiger ist David geworden, aber auch immer einsamer. War das niemandem aufgefallen? Warum hatte sich niemand getraut, ihn daraufhin anzusprechen? Doch jetzt ist keiner mehr da, der ihm nach dem Mund redet, ihn schont und bei Lau­ne hält. Jetzt steht ihm der Prophet Gottes gegenüber.
(Pause)

V.
David reagiert mit einem kurzen Schuldbekenntnis: »Ich habe Unrecht getan gegenüber dem Herrn!«
David kommt nicht mit Ausreden, versucht auch nichts zu beschö­nigen. Er bekennt sich in allen Anklagepunkten schuldig. Er ge­steht Gott zu, über ihn zu richten und ist bereit, für seine Verfeh­lungen zu sterben.
Genau das ist der Wendepunkt der Geschichte. Weil David seine Schuld erkennt und bekennt und um Vergebung bittet, kann Nathan ihm diese Vergebung in der Vollmacht Gottes zusprechen.
Wo Schuld verheimlicht oder verharmlost wird, werden die Gottesbeziehung und danach die zwischenmenschli­chen Beziehungen vergiftet. Wo dagegen Schuld beim Namen genannt und bekannt wird, dort beginnt Vergebung, dort kann Vertrauen neu wachsen. Ja, mehr noch: Gott akzeptiert Batseba als Davids Frau und segnet diese Ehe, die doch so im Schatten be­gonnen hatte. Die Ehe mit Batseba wird zum Ausgangspunkt der Dynastie Davids. Sie gewährt die Verheißung auf ewigen Bestand seines Königtums. Aus dieser Linie stammen König Salomo und auch Jesus, wie wir in seinem Stammbaum bei Matthäus nachlesen können.

Aber die Geschichte endet damit keineswegs in Eintracht und Har­monie. Vergebung ist in der Bibel nicht gleichbedeutend mit der Befreiung von den Folgelasten. Das Leben Davids ist fortan überschattet. Er ist mit insgesamt 8 Frauen verheiratet. Und die Söhne Ammon, Absalom und Adonia werden gewaltsam ster­ben. Absalom erhebt sich sogar gegen den Vater.
Auch auf dem ersten mit Batseba gezeugten Sohn ruht keine Verheißung. Wie Nathan vorhergesagt hatte, wird er früh sterben. Auf dem, im Verbrechen gezeugten Sohn soll kein Segen liegen.

VI.
Liebe Gemeinde,
unsere Geschichte erzählt den sich immer wiederholenden fürch­terlichen Irrtum der Zynischen und Mächtigen dieser Welt, dass sie über dem Gesetz stehen, dass sie Herren über Leben und Tod sind, bzw. dass sie sich aneignen können, was immer sie wollen.

In der Lust, sich zu nehmen, was er will, macht sich König David zu einem dieser Mächtigen. Sie bestreiten anderen das Leben und in Wahrheit gewinnen sie doch nichts für ihr eigenes Leben hinzu.

Liebe Gemeinde,
es ist leicht, solches Verhalten zu verdammen. Viele Politik-Berater freuen sich insgeheim, wenn der Gegenseite ein Fehler un­terläuft. Und sie tun alles dafür, den Skandal möglichst lange hoch­zukochen. Damit riskieren sie, dass der Fehl­tritt eines Einzelnen zum Anlass wird, das ganze System abzulehnen. Es geht ihnen nicht um die Bekehrung des Betroffenen, sondern um die Durchset­zung ihrer eigenen politischen Ziele und Ansichten. Die moralische Entrüstung, von Medien gezielt hoch­gespielt, dient der Vernich­tung des Gegners, nicht dem Heil des Sünders, geschweige denn dem Wettbewerb um die besten Ideen für das Gemeinwesen.
Wir sind großartig im Aufdecken von Schuld und Versagen bei anderen und haben schnell ein Urteil fertig. Dabei merken wir gar nicht, wie oft unsere Schuld der der anderen gleicht. Viel­leicht haben wir sogar Anteil an mancher Schuld derer, die wir an den Pranger stellen. Durch unser Schweigen z.B., durch unsere eige­ne Vorbildwirkung oder unser Verhalten aufgrund fertiger Urteile.

Wohlfahrt und Bestand des Landes hängen keineswegs an den Politikern und Politikerinnen allein. Es bedarf dazu auch der notwendigen Kritik. Und die Kritisierten müssen die Kritik auch an­nehmen können. Deshalb muss die Kritik den Kritisierten eine Chance lassen. Es fehlt aber in der Politik eine Kultur des Verge­bens. Deshalb wählt mancher Beschuldigte den Weg des Vertu­schens und des Hinauszögerns. Und das macht die Sache meistens noch schlimmer und verstärkt die Politikverdrossenheit.
Wir alle brauchen die ›prophetische Fähigkeit‹ Natans, näm­lich den Mut, andere auf Störungen aufmerksam zu machen. Nur so lassen sich aufrichtige Beziehungen, Freundschaften und Ar­beitsverhältnisse erreichen. Andererseits brauchen wir selber Men­schen, die uns ebenfalls entgegentreten, die uns, wenn nötig, scho­nungslos mit unserer Schuld konfrontieren, wenn wir sie zu ver­drängen suchen.
Und bei alledem ist nicht zu vergessen, dass unser Geschick in Gottes Händen liegt. Und die Macht der Regierenden ist nur ge­liehen. Auf Gott können wir vertrauen – selbst in unserer Angst und in unserem Versagen.
»Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.« Amen.