Predigt am 19. Dezember 2021 (4. Advent)
über Psalm 105, Vers 3b

Liebe Gemeinde,

aus diesen eben gehörten ersten fünf Versen des 105. Psalms nehme ich den aus der Mitte (V. 3b). Er ist für heute die Tageslosung:

Es freue sich das Herz derer, die den Herrn suchen.

Drei Worte nehme ich wiederum heraus, die möchte ich zum Klingen und zum Schwingen bringen: sich freuen, das Herz und suchen.

Sich freuen, das fällt vielen schwer in diesem Advent. Wir hatten im Spätsommer noch so gehofft auf ein allmähliches Ende der Einschränkungen und Belastungen. Hatten gehofft, dass ein Weihnachten bevorsteht, in dem es allein heißt: Christus kommt. Und nicht auch: Omikron kommt.

Nun ist es anders – und gefühlt nur wenig besser als vor einem Jahr. Immer noch Abstände und möglichst wenig Berührung – die meisten finden das schrecklich. Auch wenn man sich fast schon daran gewöhnt hat. Und auch wenn sie schwer auszusprechen sind, gehen uns die neuen Wörter schon fast unfallfrei über die Lippen: Virusvaraintengebiete, Inzidenzzahlen, Impfpflicht…

Nun sollen wir uns also mit der Tageslosung freuen. Geht das überhaupt auf eine Aufforderung hin? Ich glaube: ja! Und zwar dann, wenn wir neben all die Impfpflicht-Diskussionen Hoffnungsgeschichten stellen. Mutmachgeschichten weitererzählen. Dann gehen die Mundwinkel einmal wieder nach oben. Und ein Lachen dessen, der erzählt, zaubert den Zuhörenden zumindest ein Lächeln aufs Gesicht. Ich erzähle mal eine: Vorgestern Abend habe ich in der Südstadt, in der Kleinen Düwelstraße 21, noch mal Führerschein gemacht...

Anders als Sie jetzt vielleicht denken, keine Nachprüfung! Sondern einen Fahrrad-Rikscha-Führerschein. Auf so einem noch etwas größeren Gefährt als das, auf dem manche Eltern ihre Kinder spazierenfahren. Oder putzmuntere Vierbeiner.

Hier geht es um ein Projekt für ältere Mitmenschen, die schlecht zu Fuß sind. Die Lust haben, zum Beispiel mal wieder durch die Eilenriede zum Milchhäuschen gefahren zu werden. Oder einfach zu ihrer früheren Lieblingssitzbank. Das kann jetzt jeder Rikscha-Geprüfte anbieten. Stephanie Eichel, die Frau vom Hannover-Marathon, hatte die Idee dazu. Das Projekt heißt Radeln ohne Alter und die Johanniter haben es mit einer großen Spende ermöglicht.

Es freue sich das Herz derer, die den Herrn suchen.

Daran freut sich das Herz. Überhaupt das Herz. In der hebräischen Bibel, also im Alten, im Ersten Testament, kommt das Wort oft vor. Dabei geht es um mehr als die medizinisch wichtigen Blutkreislauf. Der, wie wir sagen, von der Pumpe angetrieben wird. Im hebräischen Denken ist das Herz, hebräisch lew, die Mitte von allem, was den Menschen ausmacht: sein Verstand, sein Gefühl und sein Wille. Darum wird das 1. Gebot mit diesen Worten erfüllt: Du sollst Gott den Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Dann spürst du, wie du von ihm geliebt wirst, wie seine Kraft in dich einfließt. Dann wirst du gehalten und dann kommt Freude auf. Aus deinem tiefsten Inneren. Eine ungeteilte Freude. Eine riesige Freude. So wie du dich freust, wenn ein Kind geboren wird.  Als Mutter. Als Vater, als Oma und Opa. Aber auch als großer Bruder oder große Schwester: Oft können gerade Kinder sich am dollsten freuen. Sie lachen, sie strahlen – und das steckt an!

Kinder hat Ernst Anschütz im Blick, als er nach einer älteren Vorlage das Lied O Tannenbaum dichtet. Er war eigentlich Theologe und promovierter Philosoph, wurde dann aber Lehrer mit einem großen Herz für Kinder. Er war selber siebenfacher Vater. Sein Ziel: Kindern die Botschaft von Weihnachten erklären ohne komplizierte theologische Sätze. Vor 200 Jahren, als Anschütz in Leipzig das Lied schuf, war der Tannenbaum in deutschen Wohnstuben schon weit verbreitet. Dein Kleid will mich was lehren, dichtet der Lehrer. Schön hat er das gesagt, schon in der ersten Strophe: Wie treu sind deine Blätter. Die Hoffnung und Beständigkeit, was Letzteres ist, muss man Kindern wiederum erklären, aber gibt Trost und Kraft zu jeder Zeit, das kann jedes Kind verstehen. Trost brauchen Kinder gerade in unserer Zeit, in der wir alle auf Abstand trainiert werden. Kinder haben es ganz natürlich gerne nah und direkt. Kinder haben es gerne herzlich. Von Herzen sollen sich freuen alle, die den Herrn suchen. So übersetzt die moderne Basis-Bibel. Kinder spüren genau, dass Weihnachten noch einen tieferen Sinn hat als Geschenke zu bekommen, liebe Gemeinde.

Als große Kinder kennen wir die beiden Weihnachtsgeschichten aus Matthäus 2 und Lukas 2 gut. Im Krippenspiel, dass wir gerade einüben, fließen beide zusammen. Die Hirten kriegen die Nachricht von einem Engel: Ihr könnt mehr als immer nur hier und dort suchen nach dem Sinn des Lebens. Ihr werdet finden das Kind! Ihr findet Gott an einem ganz überraschenden Ort: da, wo ein neues Leben beginnt. Darum der Tannenbaum als ein Symbol. Grün ist die Farbe der Hoffnung. Wo es grün wird, da kommt neues Leben auf. Und damit Freude.

In der anderen Geschichte sind es die suchenden Gelehrten, die fündig werden. Weil sie dem Licht folgen, das ein großer heller Stern gibt. Wer suchet. der findet. So heißt ein kräftiges Sprichwort, das auf Jesus selbst zurückgeht. Wer anklopft, dem wird aufgetan. Wer bittet, der empfängt (Lk 11,10). Im nächsten Vers (4b) in Psalm 105 heißt es: Sucht Gottes Antlitz allezeit. Gott ist erkennbar. Gott hat ein Gesicht. Er hat sogar viele Gesichter: Maria und Josef, die Hirten und die Weisen erkennen es im Neugeborenen, der sich für sie als Messias erweist. Und der später sagen wird: Was ihr für eine:n meiner geringsten Brüder oder Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan. (Matth. 25,40)

Das wäre doch ein Ziel für die vor uns liegende Zeit der letzten Adventstage: Wir sehen in das Antlitz, in das Gesicht unserer Mitmenschen. Das keine Maske unkenntlich machen kann. Wir geben uns gegenseitig Anteil an unseren Hoffnungsgeschichten. Wir nehmen Traurigkeit wahr und Tränen, wir sehen aber auch hier und da ein Lachen, dass uns zum Lächeln bringen kann. Weil Weihnachten auch in Corona-Zeiten nicht totzukriegen ist, sondern lebt. Wie sagte neulich eine Konfirmandin: Ich finde es gerade in diesem Jahr so wichtig, die Lichter zu genießen und den Tannenbaum.

Von Herzen sollen sich freuen alle, die den Herrn suchen.

Und die ihn auch finden werden, in der Krippe, in den Worten des Engels und im Antlitz ihrer Mitmenschen.

Ich möchte schließen mit einer Geschichte, die ich auf einer Adventskarte zugesandt bekam:

Ein weiser Rabbi stellte seinen Schülern einmal die folgende Frage:

„Wie bestimmt man die Stunde, in der die Nacht endet und der Tag beginnt?“

Einer der Schüler antwortete: „Vielleicht ist es der Moment, in dem man einen Hund von einem Schaf unterscheiden kann?“

Der Rabbi schüttelte den Kopf.

„Oder vielleicht dann, wenn man von weitem einen Dattel- von einem Feigenbaum unterscheiden kann?“

Der Rabbi schüttelte wieder den Kopf:

„Aber wann ist es dann?“

Der Rabbi antwortete: „Es ist dann, wenn ihr in das Gesicht eines anderen Menschen schaut und dort eure Schwester oder Euren Bruder erkennt. Bis dahin ist die Nacht noch bei uns.“

Und der Friede Gottes, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.
Amen.