Liebe Gemeinde,

ich weiß es noch wie heute. Als ich 13 war, hat mich mein bester Freund geschockt. Ich sagte ihm, dass ich manchmal bete. Meine Mutter hatte mir das beigebracht, seit ich ein Kind war. Vor dem Schlafengehen gab es ein kurzes Gebet. Mein Freund erklärte das für kompletten Blödsinn. Ich könnte genauso gut einen Besenstiel anbeten. Der würde sich nicht rühren wegen meiner Worte. Genauso wenig würde sich auch ein Gott bewegen, mir zu helfen.

Und dann hörte ich während meines Konfirmandenunterrichts mal eine Predigt, von der ich heute noch etwas weiß. Und zwar einen Bibelvers, den der Pastor die Telefonnummer Gottes nannte. Leicht zu merken: 5015. Psalm 50, Vers 15. Wo Gott selber spricht und allen, die beten, Mut macht:

Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten.

Ich habe das dann öfter in meinem Leben getan. Trotz des kräftigen Protestes von meinem Freund. Ich finde, wer zu Gott betet, kommt zu sich, weil er nicht alles selbst leisten muss. Und wer betet, kommt somit weiter.

Die Menschen, die damals mit Jesus unterwegs waren, die hatten eine Ahnung. Sie nennen ihn ihren Herrn und Meister, weil sie von ihm lernen können. Auch das Beten. Bei den Freunden von Johannes dem Täufer hatten sie das gesehen. Dessen Jüngerinnen und Jünger waren oft im Gebet versunken.

Wir hören nun aus dem Lukas Evangelium Kapitel 11 die Verse 1-13 aus der Übersetzung der Basis-Bibel...

Das ist eine Menge Stoff. Ich will versuchen, die drei Schritte, die Jesus mit den ihm Zuhörenden geht, zusammenzufassen. Zuerst gibt er ihnen Worte, mit denen du alles erbitten kannst, was du zum Leben brauchst. Sie kommen uns bekannt vor. Aus ihnen ist das Gebet entstanden, das wir am Ende jedes Konfirmandenunterrichts und in jedem Gottesdienst zusammen sprechen. Das mit den Worten Unser Vater beginnt. Ein Gebet, von dem viele jüdische und auch muslimische Gläubige sagen: Das können wir mitbeten. Das verbindet uns. - Ein Gebet, das du gut alleine beten kannst, wenn dir gerade die Worte für ein eigenes Gebet fehlen. Ein Gebet, das seine besondere Kraft entfaltet, wenn es viele andere neben dir laut mitsprechen. Ein Gebet, das in alle Sprachen übersetzt ist.

Und dann folgt zweitens das Beispiel mit dem Freund, der in der Nacht geweckt wird. Es leuchtet sofort ein, dass der verärgert reagiert. Jetzt waren die Kinder endlich eingeschlafen, vielleicht kriegt die Jüngste gerade Zähne. Und dann dieses Gepolter. Warum bekommt der Drei-Brote-Bittsteller von nebenan am Ende seinen Willen? Weil er nicht locker lässt, weil er unverschämt ist. Und ein Freund, eine Freundin, die kann das ab, wenn ich nicht lockerlasse. Jesus vergleicht Gott mit so einem Freund, den du auch um Mitternacht belatschern darfst. Ruf mich an in der Not. Meine Nummer ist niemals besetzt. Alle Anrufe werden beantwortet.

Ich denke in diesen Tagen an Christi Himmelfahrt vor zwei Jahren. Da hatten wir wegen des ersten Lockdown von März bis Mai keine Gottesdienste. Wie gut das tat, draußen vor der Kirche nach der Zwangspause wieder laut ein Vater unser zu beten. Und zu spüren: Da ist eine Macht, die größer ist als Corona. Wir können immer noch beten. Und gilt das nicht auch für diesen schrecklichen Krieg so nah hinter der Ostgrenze Polens? Beten wir unverschämt genug?

Martin Luther King hatte mal einen Traum, der unerfüllbar schien:

black and white together. Und das geht heute schon viel besser als noch vor 60 Jahren. Gottes Uhr dreht sich manchmal langsam. Und es mangelt uns an Geduld. Mein Traum wäre: Wir beten zusammen mit immer mehr orthodoxen Christenmenschen. Soldaten, die die Kriegsziele ablehnen, reihen sich ein. Denn wer betet, faltet die Hände. Der oder die zeigt nicht länger mit dem Finger auf andere: Du allein bist schuld am Krieg. Wer betet, kann nicht gleichzeitig schießen und verlernt den Umgang mit Waffen. Wir sind doch alle Menschen mit dem Recht auf Leben! Jesus sagt es uns zu, was wir gerade gehört haben. Legt alle Scham ab! Und seid unverschämt! Bittet und es wird euch gegeben. Sucht und ihr werdet finden. Klopft an und es wird euch aufgemacht.

Es wird dir vielleicht nicht genau das gegeben, warum du bittest. Gott schenkt einen Frieden, der auch die anderen zu ihrem Recht kommen lässt. Und es dauert manchmal sehr lange, bis Gott eine Tür öffnet. Doch wir haben einen großartigen Rückenwind beim Beten. Die Erfahrung all der Psalmbetenden, dass Gott anders ist als ein Besenstiel. Er antwortet. Der jüdische Theologe Schalom Ben Chorin hat dazu folgendes gesagt: „Das Gebet ist das unmittelbare Tor zu Gott. Ein Tor, das jüdischen und christlichen Gottsuchern offen steht. Ja das die ganze Menschheit zusammenschließt im gemeinsamen Gebet um den Frieden und im Glauben an den einen Schöpfergott.“

Ein letztes höre ich noch heraus aus dem Vergleich, den Jesus zieht: Der sein Kind liebende Vater gibt keine Schlange und auch keinen Skorpion. Gottes Antwort besteht nicht aus Gift. Er gibt vielmehr das tägliche Brot. Und darüber hinaus Lebensmittel, Mittel zum Leben. Fisch und Ei, wertvolle Proteine, kräftigende Nahrung. Ihr Menschen könnt böse sein - Jesus kennt auch unsere Gewaltbereitschaft. Er holt uns aber ab bei dem, was alle Eltern spüren: Auch ihr wisst, was euren Kindern gut tut. Ihr gebt es Ihnen. Ihr wollt, dass eure Kinder eine Zukunft haben. Wieviel mehr wird euer Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten.

In zwei Wochen werden wir Pfingsten feiern, das Fest des Heiligen Geistes. Als wir gestern mit unserer Konfirmandengruppe die katholische Clemenskirche besuchten, haben wir das Geist-Symbol schon entdeckt, hinter einer Marienfigur: Die weiße Taube – sie bringt den Frieden Gottes. Der weiter reicht als unsere menschliche Vernunft. Der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus. Amen.