Liebe Gemeinde,

wir hören zur Predigt heute morgen das Vorbild, den Prototyp der bekannten Pfingstgeschichte. Aus dem ersten Teil unserer Bibel, 4. Mose 11. Wo klar wird: Der Heilige Geist ist eine Sache der Gemeinschaft!

Wie das schon unser altes apostolische Glaubensbekenntnis weiß. Das die Gemeinschaft der Heiligen beschreibt als eine Folge der Ausgießung des Heiligen Geistes - nicht über einen Menschen, sondern über viele.

Lesung der Verse 11 und 12, 14 und 15 (Neue Zürcher Bibel)

Da lässt der Anführer des Volkes, das die große Wüste durchwandert, seinen ganzen Schmerz heraus. Die Verantwortung für die große Schar der aus Ägypten Befreiten, sie ist schon lange keine Ehre mehr für ihn. Sie ist zur Überbelastung geworden. Sie missachten Gottes hilfreiche Gebote, die Israeliten. Ein Stierbild haben sie vielmehr gegossen, das sie anbeten! Dass die Verpflegung mit dem Wüstenbrot und den Wachteln gelegentlich stockt, das macht Gottes Volk böse und halsstarrig. So dass sie sich ganz undankbar zurücksehnen an die Fleischtöpfe des Pharao. Sogar den Knoblauch, der am Nil gedeiht, vermissen Sie. Auch so etwas erzählen die heiligen Schriften...

Mose ist so frustriert, dass ihm Gottes Gnade verdunkelt ist. Das ist so bitter. Hat er doch vor einiger Zeit die schöne Formulierung gefunden, die in den 103. Psalm eingegangen ist: Barmherzig und gnädig ist Gott und geduldig und von großer Gnade und Treue – so heißt es schon aus Moses Mund im Buch Exodus, Kapitel 34. Nachdem er eine Zweitanfertigung der beiden Tafeln mit den Geboten von Gott persönlich erhalten hat. Die ersten hatte er im Zorn über das goldene Kalb zerschmettert. Doch der HERR nimmt einen neuen Anlauf. Er ist ein Gott, der den Menschen vergibt, die sich verirrt haben.

Und dem Mose hatte er sozusagen das Du angeboten. Ein paar Verse vor der zitierten Stelle mit den Eigenschaften Gottes barmherzig und gnädig wird diese besondere Nähe fast zärtlich beschrieben. Der Ort, den die Luther-Übersetzung die Stiftshütte nennt, heißt hier Zelt der Begegnung. In diesem Zelt begegnet der Mensch Gottes Geboten, die durch die Wüste mittransportiert werden.

Mose ist der Mensch, dem Gott so besonders nahe kommt, dass es dann heißt in Exodus 33,11: Gott redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht wie ein Mann mit seinem Freund redet. Und das, liebe Gemeinde, hat der Gottesmann offenbar im Sinn behalten. Das beherzigt er auch in aller Verzweiflung. Er findet Worte, viele Worte, für seinen Kummer. Und so schildert es die Heilige Schrift. Das hat hier seinen Ort, das darf auch so sein. Etwas salopp formuliert: Gott kann das ab.

So ähnlich wie später Elia unter dem Ginsterbusch in der Wüste Negev, so spricht Mose hier radikal:

Wenn ich dann doch wieder Gnade finde vor deinen Augen, Gott,

dann kannst du mich am besten gleich abmurksen.

Bitte erspare mir das ewige Murren, dieses Meckern des widerspenstigen, undankbaren Volkes.

Und was tut Gott angesichts seines verzweifelten Dieners?

Der bekommt weder die vielleicht befürchtete Maulsperre noch eine Gegenrede zu hören. Er erhält vielmehr wirksame Hilfe.

So sieht also das alttestamentliche Pfingsten aus:

Wir hören die folgenden Verse 16 und 17…

Gott sieht also, dass in diesem verzweifelten Mann noch genug Lebenskraft ist. Von allen guten Geistern verlassen ist Mose keineswegs. Wer die Kraft zum Klagen hat, dem ist auch noch zu helfen! Gottes Geist ruht auf Mose, nach wie vor – und jetzt kommt Ruhe in den aufgewühlten Mann, wie in einer guten Psycho- oder auch Physiotherapie.

Gott erweist sich sehr konkret als barmherzig und gnädig. Zeigt sich als ein Freund und ein Helfer. Mose bekommt neue Kraft zum Handeln. Ohne Umschweife geht die Geschichte Gottes mit Israel weiter.

Wir hören den vorletzten Vers unseres heutigen Textabschnitts:

Da ging Mose hinaus und sprach zum Volk die Worte des Herrn. Dann versammelte er 70 Männer von den Ältesten des Volkes und stellte sie rings um das Zelt.

Dieses Detail finde ich besonders interessant. So genau hatte der HERR das gar nicht beschrieben. Mose macht eine Choreografie aus der Aufforderung Gottes, er solle 70 Leute mitnehmen zum Zelt der Begegnung. Mose lässt sie einen Kreis um die Wüstensynagoge bilden. Das ist etwas anderes als etwa ein Haufen.

Corona hat es mit sich gebracht, dass unser heutiges Presbyterium aus weiblichen und männlichen Gemeindeältesten seit einigen Monaten in Gemeindesaal tagt. Und damit in einem größeren Raum als früher. Einem Raum, in dem sich mit Abstand alle besser sehen können. Das verbessert eindeutig die Kommunikation. Man könnte sich glatt die beiden Gebotstafeln in der Mitte dazu vorstellen.

Wir hören den letzten Vers:

Der Herr aber fuhr in der Wolke herab und sprach zu ihm, und er nahm von dem Geist, der auf ihm ruhte und legte ihn auf die 70 Männer, die Ältesten. Und als der Geist sich auf ihnen niederließ, gebärdeten sie sich wie Propheten, aber nur für kurze Zeit.

Dieser letzte Nachsatz, liebe Gemeinde, ist nicht ganz unwichtig. Ist der vielleicht auch typisch vernünftig-reformiert, typisch Schweizer Bibel-Übersetzung?

Bei Luther steht auch in der vor wenigen Jahren revidierten Übersetzung etwas ganz anderes: Als der Geist Gottes auf Ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.

Sollte Moses Presbyterium tatsächlich in eine Art Dauerekstase geraten sein? Auch ohne Alkohol oder andere Rauschmittel, wie in der Pfingstgeschichte geargwöhnt?

Ich ziehe noch eine dritte Übersetzung zu Rate:

Lassen wir die Verdeutschung von Buber und Rosenzweig entscheiden?

Es geschah: wie über Ihnen der Geistbraus ruhte, kündeten Sie einher, – nicht taten sies hinfort.

Ich habe daraufhin im Urtext nachgeschaut: Die Stelle ist unklar.

Eins aber bleibt gewiss, und da hatte Calvin einfach recht:

Das Pfarramt ist eines unter mehreren in der Gemeinde. Es steht bei uns zu Recht „nur“ gleich stark neben dem des Gemeindevertreters und der Presbyterin. Und wenigstens ein wenig Verzückung, eine gute Portion Prophetie, die halten eine Gemeinde in der Tradition Israels, in der Spur Jesu Christi, lebendig und in Schwung!

Den Schluss meiner Predigt übergebe ich an den großen jüdischen Denker Abraham Jehoshua Heschel, der 1972 in den USA im Alter von 65 Jahren verstarb. Er geht in seinem Buch Gott sucht den Menschen in einem Kapitel der Frage nach: Was ist der Geist?

„Das ist es, was wir unter dem Begriff geistlich verstehen: Es ist der Hinweis auf die Transzendenz in unserer eigenen Existenz, die Ausrichtung des Hier auf das Jenseitige. Es ist die ekstatische Kraft, die alle unsere Zielsetzungen in Bewegung bringt, indem sie die Werte befreit aus der Enge des Selbstzwecks und aus Ankunft immer neue Pilgerfahrt, immer neuen Aufbruch macht. Es ist ein alles beherrschender Grundzug, der alle Werte in sich enthält und sie zugleich übersteigt; ein nie endender Prozess, die Aufwärtsbewegung des Seins. Das Geistliche ist nicht etwas, das uns gehört, wir können aber Teil daran haben. Wir besitzen es nicht, aber wir können von ihm besessen sein. Wenn wir es wahrnehmen, so ist es, als ob unser Geist für eine kurze Weile mit einem ewigen Strom dahinglitte, in dem unsere Gedanken zum Wissen werden, das über sich selbst hinaus getragen wird. Es ist nicht möglich, den Geist an sich zu erfassen. Geist ist eine Richtung, die Wendung aller Wesen zu Gott hin.“

Aller Wesen, also auch über die Trägerinnen und Träger eines Amtes in der Gemeinde hinaus!  So können wir alle immer neu zu einer Gemeinschaft der Heiligen werden.

In diesem Sinne: Eine frohe und gesegnete weitere Pfingstzeit uns allen!

Und der Friede Gottes, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.

Amen.