Predigt zu Psalm 73,23 für Sonntag, den 30. Oktober 2022
von Pastor Christoph Rehbein

Liebe Gemeinde,

am Donnerstag frühmorgens weckte mich das Käuzchen aus dem nahe gelegenen Stadtwald. Ich war ihm dankbar für sein eindringliches Rufen. Denn das riss mich aus einem schweren Traum. Darin klagte mich ein guter Freund aus alten CVJM-Zeiten an. Wie ich denn immer noch an Gott glauben könne. An einen Gott, der jeden Menschen kennt  - und ihn persönlich auf dem Lebensweg begleiten soll?

Ihm sei dieser Glaube in den letzten Jahren verloren gegangen. Auf der Strecke geblieben sozusagen. Ein schwerer persönlicher Schicksalsschlag habe ihn hart getroffen. Dann kam dieses sinnlose Corona. Dazu droht die Klimakatastrophe. Und nun auch noch dieser Krieg, plötzlich so nahe. Uhrzeiger zurück: von Entspannung zu neuer Hochspannung. In seiner Weltsicht sei da kein Platz mehr für einen himmlischen Weltenlenker, der auf uns aufpasst. Was ich denn da noch zu predigen hätte, war seine Frage. Und er wurde immer lauter. Fast wurde der Traum zum Albtraum.

Ich könne mal sehen, wo ich bleibe mit meinem Gott. Der sei doch wie  eine Ruine des früheren Kinderglaubens.

In diesem Moment rief, zum Glück ausreichend kräftig, der Waldkauz.

Ich rieb mir die Augen und fragte mich: Wo finde ich Halt?

Und mir fiel einer meiner liebsten Bibelverse ein. Er beginnt mit dem trotzigen Wort dennoch. Und findet Halt bei einem persönlichen Gott, der mir die Hand reicht. Und mir zeigt, wo ich bleiben kann.

Psalm 73, nicht gleich der erste Vers, sondern einer der letzten.

Vers 23: Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.

Im Hauptteil des Psalms wird kein Klimakollaps beschrieben und auch kein Krieg. Vielmehr das, was die betende Person als große Irritation sieht. Was dem Dennoch vorausgeht. Wir können es mit dem altmodischen Wort Anfechtung beschreiben. Wer mit den folgenden Worten vor Gott tritt, regt sich richtig auf. Über Menschen, die Gottes Existenz infrage stellen.

Vers 3: Ich ereiferte mich über die Ruhmredigen, da ich sah, dass es den Frevlern so gut ging. Vers 7-9: Sie brüsten sich wie ein fetter Wanst, sie tun, was ihnen einfällt. Sie höhnen und reden böse, sie reden und lästern hoch her. Was sie reden, das soll vom Himmel herab geredet sein, was sie sagen, das soll gelten auf Erden.

Aus heutiger Sicht können wir ergänzen: Was sie tun, die Diktatoren unserer Zeit, das gefährdet den Weltfrieden. Das erreicht auch unser Europa, dass über so viele Jahrzehnte eine Insel der Seligen war. Wer Menschen vernichtet, der lästert Gott.

Was oder wer rückt die verkehrte Welt wieder gerade? Wo findet unsere betrübte Seele Halt?

Die betende Person schöpft Kraft aus der Geschichte ihres Volkes: Israel, das bestehen blieb in mitten anderer Groß- und Übermächte. Im ersten Vers von Psalm 73 noch eher allgemein. Aber das große dennoch klingt da bereits an: Gott ist dennoch Israels Trost für alle, die reinen Herzens sind. Martin Luther, aus dessen Bibelübersetzung ich heute lese, hat hier sehr wortgetreu übertragen. Er selbst ist nicht immer reinen Herzens geblieben. Zum Ende seines Lebens hin rieb er sich auf im Konflikt mit Thomas Müntzer. Und verstieg sich bekanntlich in wüsteste Antijudaismen. Allein, das können wir ihm zugute halten: Er hat all seine Anfechtungen offen dargelegt und gelebt. Und immer neu versucht, sich in Gott zu verankern.

Ich las vor kurzem das neue Buch von Dörte Hansen. Es spielt auf einer Nordseeinsel und heißt „Zur See“. Eine wichtige Nebenrolle spielt Matthias, der Inselpastor. Mit wenigen Strichen beschreibt ihn die Dichterin sehr treffend. Der Inselgemeinde hat er viel Aufbauendes zu sagen - zuhause gibt er sich ausgebrannt. Seine Kinder wenden sich von ihrem Glauben ab. Seine Ehefrau zieht aufs Festland und besucht ihn am Wochenende. Ausgerechnet dann, wenn er wenig Zeit hat. Gegen Ende seines Berufslebens erschüttert ihn ein Todesfall schwer. Plötzlich stellt er fest: Ich habe meinen Glauben verloren. Und so feiert er erstmals Ostern ohne Auferstehung. Womit Dörte Hansen mich als Lesenden auch erschüttert. Und ich frage mich:

Was mag aus meinem Glauben werden, nach der Zeit der Berufstätigkeit? Wie wird es mir ergehen mit dem Bedeutungsverlust, den gerade viele Männer im Ruhestand beklagen?

Darüber nachdenkend radle ich durch unsere Stadt, als mein Blick auf eine riesige Reklametafel fällt. Die gerade nach raschem Wechsel auf den Bildschirm gesprungen ist. Ein Möbelhaus springt mich mit großen Lettern an. Es sind nur drei Worte, die mir sagen wollen, was ich tun soll:

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Und ich denke: nee! Das kann ich als Christ getrost sein lassen. Buchstabiere Psalm 73,23 durch und hänge den folgenden Vers noch an: Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Bei Gott ist mein Treuebonus längst sicher. Und meine Bedeutung vor ihm wird sich auch künftig halten. Der Pfeil zeigt sogar nach oben: Am Ende will er mich mit Ehren annehmen, bei sich aufnehmen. Und was wird aus meiner Anfechtung, wie glaubensstark bin ich wirklich? Zum Martinssingen in meiner ostfriesischen Heimat sangen wir immer von Luther als dem „glaubensstarken Mann. Weil heute sein Geburtstag ist, zünd ich mein Lichtlein an“. Des Reformators Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ wird heute und morgen in vielen Gottesdiensten geschmettert. Mir gefällt die Melodie besser als der Text. Georg Neumarks Dichtkunst entspricht mir mehr – sein Lied (369) werden wir gleich singen: Wer Gott dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut.

Das ist in aller Anfechtung die andere Insulaner-Erfahrung. Zum Ausdruck gebracht auf einer ganz kleinen Reklametafel. An der reformierten Kirche zu Borkum ist ein Mauerstein zu sehen mit dem Borkumer Wappen. Und der lateinischen Aufschrift „tranquillus mediis in undis“: Ruhig inmitten der Wellen. Das bezieht sich auf den Anfang von Psalm 46. Da heißt es in der Übersetzung der Zürcher Bibel: Gott ist uns Zuflucht und Schutz, eine Hilfe in Nöten, wohl bewährt. Darum fürchten wir uns nicht, wenn die Erde schwankt und die Berge wanken in der Tiefe des Meeres.

Das ist auch so ein Dennoch-Vers, liebe Gemeinde!

Wo finden wir Halt? Ich finde den in solchen kräftigen Psalmversen. Und auch im Gespräch mit Menschen, deren Zweifel ihr Gottvertrauen überwiegen. Sie haben mitten in allen Wellen großer Fragen dennoch oft ein sicheres Gespür. Dafür, dass kein Zufall die Welt regiert. Sondern eine Macht über uns, in uns und um uns herum, die Wacht hält. Und dass so Fügungen geschehen, die uns selbst und unsere Welt noch immer am Leben erhalten. So wird der „Zufall“ zu dem, was Dir von Gott zufällt.

Der Weg zum Frieden ist in diesem Jahr ein gutes Stück länger geworden. Und ist doch alles andere als eine Sackgasse. Nach wie vor vielmehr der einzige Ausweg aus den Dilemmata unseres so geschundenen Planeten!

Als ich am Donnerstag angefochten aufwachte nach der verbalen Attacke im Traum, da lebte dieser Psalmvers in mir auf: Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.

Und dann lief mir im Lauf des Donnerstags noch die Tageslosung über den Weg. Die gut jüdisch-christlich eine Handlungsanweisung bereithält. Denn Gott kann, das wissen wir, nicht alles alleine machen. Er braucht dich und mich und alle um uns herum. 5. Mose 7, Vers 9: So sollst du nun wissen, dass der Herr, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten. Ruhig inmitten aller Wellen! Amen.

Und Gottes Friede, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus. Amen.