Jeremia 8, 4.5.7 (Neue Zürcher Bibel)

4 So du sollst zu Ihnen sagen: so spricht der HERR: Wenn man fällt, steht man dann nicht wieder auf? Oder wendet sich einer weg und wendet sich nicht wieder hin?

5 Warum wendet dieses Volk, Jerusalem, sich ab, sich fortwährend ab? Am Trug halten Sie fest, sie weigern sich, sich wieder hinzuwenden.

7 Selbst der Storch am Himmel kennt seine Zeiten, und Taube, Mauersegler und Schwalben halten die Zeit ihrer Heimkehr ein, mein Volk aber kennt nicht die Ordnung des HERRN.

 

Liebe Gemeinde,

letzten Mittwoch hörte ich eine Morgenandacht im Radio. Die Sprecherin machte mit den zwei ersten Sätzen ein ganzes Fass auf: „Unsere Welt ist aus den Fugen geraten. Ich frage mich: Hat unser Gott sich von ihr abgewendet?“

Sie holte zu einer Antwort aus, als das Telefon klingelte. Ich wurde beim Zuhören unterbrochen. Gespannt wäre ich auf die Antwort gewesen.

Die Frage aber ging mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Als ich ein paar Mauersegler um unser Haus jagen hörte, kam mir der Jeremia-Text in den Sinn. Der ist über zweieinhalb Jahrtausende alt. Ich finde ihn dennoch bestürzend aktuell.

Und ER Ist hier alles andere als ein schweigender Gott:

Adonai, der unaussprechliche Name. Der ins Deutsche meistens übersetzt wird mit: der HERR. Der hätte allen Grund zu schweigen. Weil er mit ansehen muss, was seine Menschen so treiben. Der Prophet Jeremia hat die Aufgabe, es dem Volk deutlich zu sagen. Was Adonai davon hält, dass seine Gebote in Vergessenheit geraten. Die soziale Schere klafft immer weiter auseinander. Könige werden zu Diktatoren, die nur noch von ihren Günstlingen hofiert werden. Gott leidet an seinem Volk. Kein Wunder, dass die Babylonier bald vor Jerusalem stehen werden.

Aber Gott spricht noch. Zumindest mit seinem Propheten, mit Jeremia:

Am Trug halten Sie fest. Sie weigern sich, sich wieder zu Gott hinzuwenden.

Obwohl der doch ein barmherziger und gnädiger himmlischer Herrscher ist. Der die Arme weit offen hält. Und Jeremia später noch versöhnlich sagen lässt: Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.(29,13f)

Doch hier, in unserem Abschnitt, stellt Gott selbst die Frage: Warum? Warum wendet dieses Volk, Jerusalem, sich ab, sich fortwährend ab?

Wir fragen meistens andersherum: Warum wendet sich Gott von uns ab? So genannte Gerichtstexte wie die Worte Jeremias hören wir ungern. Wir sind Gott böse, wenn er kein lieber Gott mehr ist.

Halten wir seiner Frage an uns stand? Es läge ja nahe, uns seine Klage vom Hals zu halten: Betrifft doch nur Jerusalem, also Israel...

Einspruch! Wir Christenmenschen wissen uns durch Jesus Christus in Gottes Bund mit Israel hineingenommen. Auch die Kirche sieht sich als Volk Gottes. Das Erste Testament ist gültige Basis des Evangeliums.

„Du sollst Gott den Herren lieben“, sagt Jesus Christus. „Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“. So lautet die Antwort Jesu auf des Schriftgelehrten Frage nach dem höchsten Gebot.

Die Propheten sind für uns mit drin! Also auch Jeremia. Zeitlos gültig. Genau wie Israel sind wir gefragt von Gott: Warum wendet ihr euch ab? Dann sagen wir jetzt mal ganz ehrlich wir.

Wir wenden uns fortwährend von Gottes Ordnungen, von seinen Geboten ab. Am Trug halten wir fest. Auch wenn wir zunächst mit dem Finger allein auf Herrn Putin zeigen mögen. Und manche ihm den neuen Hitler nennen. Viele haben das Gefühl, dass wir unser lange noch pazifistisches Engagement nun beenden müssen. Und uns militärisch an die Seite der Ukraine stellen. Eindeutig. Auf die Seite der Freiheit, des Westens.

Doch geht es uns gut damit? Bei mir stelle ich zunächst eine große Traurigkeit fest. Vielleicht auch eine Beschämung. Es sind doch zwei christlich geprägte Völker im Krieg. Ist die russisch-orthodoxe Kirche so weit von dem Friedensstifter Jesus Christus entfernt?

In wenigen Wochen beginnt in Karlsruhe die Weltversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Da sind die Orthodoxen dabei.

Ist nicht dort ganz dringend das Wort von Amsterdam 1948 zu aktualisieren? „Krieg darf, Krieg soll nach Gottes willen nicht sein!“

Da stelle ich mich eindeutig dazu und sage: Ja.

Wir haben weltweit ja ganz andere Probleme. Drohende Hungersnot in afrikanischen Ländern. Klimakatastrophe, deren Vorboten uns täglich unter den Füßen oder Reifen knistern. In Gestalt von viel zu früh gefallenem Laub. Und wir halten fest am Trug. Dass etwa persönlicher Verzicht auf Langstreckenflüge oder Allradfahrzeuge das Klimaruder herum reißen könnte. Es muss und es wird radikaler kommen!

Gibt uns unser Text nun irgendwo noch Hoffnung? Der Prophet Jeremia kommt erst in späteren Kapiteln zu Worten, die viel neue Kraft geben. Kapitel 29, Vers 11 zum Beispiel: Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.

In unserer heutigen Perikope hilft allein der Blick in den Himmel:

Tiere als Vorbilder für Verlässlichkeit! Die Zugvögel!

Selbst der Storch am Himmel kennt seine Zeiten, und Taube, Mauersegler und Schwalben halten die Zeit ihrer Heimkehr ein.

Für die Störche stimmt das schon nicht mehr. Deren Fahrplan haben wir Menschen schon durcheinander gebracht. Manche überwintern in Mitteleuropa. Und viele bleiben auf Spaniens Müllkippen hängen bei ihrem Flug in den Süden. Die bieten genug Nahrung.

Auf die Mauersegler komme ich jetzt zurück. Sie sind bislang pünktlich geblieben, in der Ordnung Gottes. Anfang Mai kommen sie und erbrüten ihren Nachwuchs. Und Ende Juli, in diesen Tagen, sehen wir die letzten an unserem Himmel. Ich ergänze Gottes Zusage nach der Sintflut (Genesis 8,22): Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht, Ankunft und Abflug der Zugvögel!

So soll es sein. So kann es wieder werden. Wenn wir den Trug loslassen. Und uns Gott wieder zuwenden und seinen Geboten. Die die ganze Schöpfung, Tiere und Pflanzen, einbeziehen. Ja, die Welt ist aus den Fugen geraten. Krieg, Klima, Hunger. Es ist fünf vor 12, aber noch immer nicht zu spät.

Am gleichen Mittwoch, an dem ich morgens die Frage der Andacht hörte, kam ich abends nach einem Geburtstagsbesuch an einer Kita in Groß Buchholz vorbei. Auf deren kleinem Spielgelände stand ein Banner, das die ganze Welt im Blick hat. Das war wohl von den Erzieherinnen mit den Kindern erarbeitet und gestaltet worden. Die ja ähnlich wie wir an den schlechten Nachrichten leiden.

Damit sie die Zukunft und die Hoffnung im Blick behalten!

Auf diesem Banner steht ein Wunsch: PEACE FOR EVERY COUNTRY! Ja, genau! Diese Vision bleibt lebendig und not-wendig.

Einen Moment später hörte und sah ich ein paar Mauersegler über mir und dachte: Nehmt doch bitte diesen Wunsch mit nach Afrika!

Und Gottes Friede, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.

Amen.