Predigt am 19. Juli 2020

Liebe Gemeinde,

Gab es einen Lieblingsschüler in Ihrer Klasse oder eine Lieblingsschülerin? Das darf es eigentlich nicht geben. Die Mitschüler finden das ungerecht. Nicht nur bei den Noten merkt man das, auch in der ganzen Art, wie die Lehrerin oder der Lehrer mit dem Kind umgeht, irgendwie anders, verständnisvoller.

Und es gibt Eltern, die haben ein Lieblingskind. Die Mutter hat das Kind besonders lieb oder der Vater, nicht unbedingt weil es das klügste ist oder das hübscheste. Einfach nur so. Eigentlich ohne Grund.

In der Bibel gibt es die Geschichte von Joseph. Sein Vater Jakob hatte ihn besonders lieb. Er wurde verwöhnt und trug besonders schöne Kleider. Das machte seine Brüder eifersüchtig und so warfen sie ihn in einen Brunnen, verkauften ihn an eine Karawane, die ihn als Sklaven nach Ägypten verschleppte.

Und dann gibt es ein Volk, von dem es in der Bibel heißt, es sei von Gott erwählt. Darüber lesen wir im 7. Kapitel des 5. Buch Mose. Es sind die Verse, die für den heutigen Sonntag als Predigttext empfohlen sind:

Du bist ein Volk, das dem HERRN, deinem Gott, geweiht ist. Dich hat der HERR, dein Gott, aus allen Völkern auf der Erde für sich erwählt als sein eigenes Volk.

Nicht weil ihr zahlreicher wäret als alle anderen Völker, hat sich der HERR euch zugewandt und euch erwählt - denn ihr seid das kleinste von allen Völkern -,

sondern weil der HERR euch liebte und weil er den Eid hielt, den er euren Vorfahren geschworen hatte, darum führte euch der HERR heraus mit starker Hand und befreite dich aus dem Sklavenhaus, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.

Von Israel ist die Rede, das in der Bibel auch das Volk Gottes genannt wird, von Gott auserwählt aus allen Völkern auf der Erde, nicht weil es groß und stark war oder besonders fromm, Nein sondern einfach, weil Gott es liebte, so heißt es in der Bibel.

Gott hat also ein Lieblingsvolk. Allein aus Liebe und ohne einen anderen Grund hat sich Gott dieses kleine Völkchen ausgesucht.

Lieblingsschüler können nichts dafür, dass die Lehrerin sie mag. Sie sind bei ihren Mitschülern auch nicht besonders beliebt. Lieblingskindern kann es so ergehen wie Joseph. Seine Brüder haben ihn in einen Brunnen geworfen und dem Vater haben sie erzählt, ein wildes Tier habe ihn aufgefressen.

Dem Lieblingsvolk Gottes ist es auch nicht besonders gut ergangen. Darüber lesen wir schon in der Bibel. Israel verliert Kriege, wird in Gefangenschaft geführt, wird unterdrückt und in alle Welt zerstreut.

Und dann kommt das Christentum und Christen behaupten: „Wir sind das Volk“, „Wir sind Gottes Volk“ „Wir sind das neue Volk Gottes“ „Gott hat uns lieb und sein altes Volk Israel hat Gott verstoßen und verflucht“. Darüber brauche ich nicht viel zu sagen. Wir kennen die Geschichte. Wir wissen, wie daraus der Judenhass wurde und wie sich der Antisemitismus in den Köpfen festgesetzt hat bis hin zur sogenannten „Endlösung“ mit den Gaskammern in deutschen Vernichtungslagern. Daraus hat man Lehren gezogen und so heißt es jetzt in der Verfassung unserer reformierten Kirche „Gott hat Israel zu seinem Volk erwählt und nie verworfen.“

Es ist gut, dass Christen und Juden als Religionen miteinander im Gespräch sind, sich miteinander beschäftigen, auch in unserer Gemeinde geschieht das, aber können wir deshalb besser verstehen, was damit gemeint ist, dass Gott sich ein Volk erwählt hat? Man könnte Stunden und Tage darüber nachdenken und reden. Das passt nicht in eine Predigt, so will mich auf eine einzige Frage beschränken und frage:

Was ist eigentlich ein Volk?

Was ist dieses Volk Israel? Es waren zunächst zwölf Stämme, aus denen das Volk Israel gebildet wurde. Später gab es zwei Königreiche: Juda im Süden, Israel im Norden aber nur Juda betrachtete sich als das wahre Israel. Wer gehört heute zu diesem Volk? Wer entscheidet das?

Es gibt einen Staat, der sich Israel nennt aber daneben gibt es noch Hundertausende Männer und Frauen, die über die ganze Erde verstreut leben und die sich selber auch zu Israel zählen. Sie sprechen ganz verschiedene Sprachen. Unter ihnen gibt es Anhänger der jüdischen Religion aber genauso Atheisten. Es gibt auch Christen, die von sich sagen, dass sie zu Israel gehören. Israeliten können blond und blauäugig sein oder auch dunkelhaarig und sogar schwarzer Hautfarbe.

Nicht viel anders ist es mit dem deutschen Volk. Auch das deutsche Volk setzt sich aus einer Vielzahl von „Stämmen“ zusammen: Bayern und Ostfriesen, Preußen, Westfalen, Sachsen und dazu gekommen sind ganz viele Menschen aus Polen und der Türkei und Mitbürger, die aus ganz anderen Regionen und Erdteilen stammen.

Was ist denn dieses „Deutsche Volk“?

Wer gehört dazu, wer nicht?

Wir kennen die Demonstrationen, auf denen gerufen wird „Wir sind das Volk“ und wir wissen, welches Unheil daraus erwächst, dass man sagt: „Ihr gehört nicht dazu!“

Bei Volk denken wir an Volkslieder und Volksmärchen, an Brauchtum, Sprache, Kultur, Religion. Wir denken an Verwandtschaft. Wer stammt, von wem ab?

Wem sieht jemand ähnlich? Schon rutschen wir hinein in andere Begriffe, die es ja auch gibt: Da ist die „ethnische Herkunft“. Was ist das denn? Und bald sind wir bei der Rasse.

Sind Juden eine Rasse? Das haben Wissenschaftler behauptet. Millionen Menschen haben den Unsinn geglaubt, nicht nur in Deutschland. Es gab eine Rassenlehre und Rassenhygieniker und Rassengesetze. Mediziner, Juristen, Biologen haben diese Lehre propagiert. Ähnliches gab es im Blick auf schwarze Menschen. Der Begriff Rasse steht im Grundgesetz und manche wollen ihn streichen oder ersetzen. Aber was ist mit dem Begriff Volk?

Vielleicht gäbe es keine Kriege mehr, wenn es keine Völker gäbe?

Heute geht man davon aus, dass so etwas wie ein Volk objektiv gar nicht existiert. Es ist ein Konstrukt. Es ist eine Zuschreibung, eine Selbstzuschreibung oder Fremdzuschreibung.

Bei der Vorbereitung dieser Predigt stieß ich auf  ein Gesetz aus dem Jahre 1999. Es ist das Gesetz über die Rechte der Sorben im Freistaat Sachsen und da heißt es: „„Zum sorbischen Volk gehört, wer sich zu ihm bekennt. Das Bekenntnis ist frei. Es darf weder bestritten noch nachgeprüft werden. Aus diesem Bekenntnis dürfen keine Nachteile erwachsen.“

Dieses Gesetz ist klug und für meine Ohren klingt es richtig. Könnte man nicht einfach sagen: „Zum Volk Israel gehören diejenigen, die sich dazu bekennen.“

Nicht viel anders ist es doch letzten Endes für uns als Christen. Wer will bestreiten, dass jemand Christ ist. Wer kann es nachprüfen? Wer kann wissen, dass jemand von Gott erwählt ist? Oder von Gott verworfen?

Erwählt ist Israel, durch Gottes Liebe und nur Gott weiß, wen er lieb hat und wen er zu Israel zählt.

Erwählt sind wir, weil Gott uns liebt. Das glauben wir.

Nachprüfen, beweisen oder bestreiten kann es niemand.

Wir können nur darauf vertrauen und uns dazu bekennen. Das ist kein Grund, überheblich zu sein. Es macht uns nicht besser als andere, dass wir von Gott geliebt sind.

Aus Gottes Liebe schöpfen wir Trost, Stärkung und Dankbarkeit und das tun wir mit Israel zusammen, nicht gegen Israel, weil wir davon überzeugt sind, dass es derselbe Gott ist, der uns lieb hat, wie er Israel lieb hat, der Gott, der Bund und Treue hält ewiglich und der nicht loslässt das Werk seiner Hände.

Amen

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Predigt am 12. Juli 2020

Pastor Christoph Rehbein zum Monatsspruch:
"Der Bote des Herrn berührte Elia und sprach: Steh auf, iss, denn der Weg, der vor dir liegt, ist weit." (1. Könige 19, Vers 7)

Liebe Gemeinde, schon vor zwei Jahren wurde der Monatsspruch für diesen Juli ausgesucht. Ich finde, er passt verblüffend gut in unsere Zeit. Hilfreich und kräftigend in der aktuellen Lage. Hilfskräftig sozusagen. Aus dem eben gehörten Text 1. Könige 19 der Vers 7:
"Der Bote des Herrn berührte Elia und sprach: Steh auf, iss, denn der Weg, der vor dir liegt, ist weit."
Ich möchte drei Aspekte aus diesem Vers herausnehmen und sie auf ihre Hilfskraft hin näher anschauen.

"Steh auf und iss."
Das kriegt einer gesagt, der massiv darniederliegt. Elia „läuft um sein Leben“, wie es in der Luther-Übersetzung heißt. Er hat sie umgebracht, die falschen Propheten des Baal. Aus seiner Sicht hat er komplett reinen Tisch gemacht und den Glauben an den Einen Gott durchgesetzt. Ob es aus Gottes Sicht soweit kommen musste, sei dahingestellt. Elia war in einen Wahn geraten - und da steht ihm Königin Isebel nicht nach. Ihre Propheten hatten verloren, jetzt soll auch Elia sein Leben verlieren. Und er geht in die Wüste. Allein, denn sein Diener bleibt zurück in der letzten Stadt am Rand der Einöde. Ich glaube, Elia sucht die Einsamkeit von Fels, Stein und Sand auf, weil er noch einmal Anschluss sucht. Anschluss an die Wurzelkraft der Herkunft seines Volkes. Das kam ja aus der Wüste. Es kannte 40 Jahre langes Dürsten, Hungern, Leiden unter erbarmungsloser Hitze. Feinden ausgesetzt, die hinter dem nächsten Berg lauern konnten. Und dann war da dieser eine Berg, der mit den zwei Namen: Berg Horeb oder auch Sinai. Wo Gott dem Mose das Buch des Bundes übergab. Und die beiden Tafeln mit den Zehn Geboten. Dahin will der Prophet Elia zurück - er weiß es nur noch nicht... Vorläufig wünscht er sich, wie wir gehört haben, den Tod. Und kommt zu der tiefen Erkenntnis: Ich bin nicht besser als meine Vorfahren.

Dann taucht er auf, sicher nicht zufällig, der Bote Gottes, hebräisch Malach, Luther übersetzt mit Engel.

Ein Mensch ist das, den der jetzt braucht, der die Welt in seinen Händen hält. Und der auch bei dem bleibt, der schuldig geworden ist. Mit genau dem hat sein Schöpfer noch etwas vor. Elia hat sein Feld noch nicht bestellt. Seine Lebensaufgabe harrt noch der Vollendung. Den Mantel wird er noch bei sich haben, auch wenn er seinen Diener in Beer Sheva zurück ließ. Den Prophetenumhang, der das äußere Zeichen seines Auftrags ist. Und der kommt nicht in die Altkleidersammlung, der wird weitergegeben werden. An Elisha, seinen Nachfolger. Darum, Elia, wirst du noch einmal aufstehen müssen von deinem Schattenplatz unter dem Ginsterbusch.

In der Schweiz würde man sagen: Da hat es geröstetes Brot und frisches Wasser. Wie liebevoll dieser Bote für seinen Schützling sorgt! Nicht einfach nur lasches Pittabrot, dass zwischen den Zähnen kleben bleibt. Vielmehr frisch geröstet! Und das Wasser, schätze ich, war nicht lauwarm, sondern kalt. Erfrischend. So wie das sein muss, wenn einer neue Kraft braucht! Steh auf, Elia, und iss!

Der Weg der vor dir liegt, ist weit.
Du kriegst nicht nur ein, zwei Tage Lebensverlängerung. Sondern erst einmal 40 Tage und 40 Nächte. Entsprechend den 40 Jahren deiner Vorfahren. Kein Event, sondern Langstrecke. Auch eine Durststrecke? Nicht zwingend. Womöglich geht dieser Bote mit und bringt jeden Tag Brot und Wasser.

Der Wüstenweg hat jedenfalls ein Ziel. Um seine Lebensaufgabe zu einem Ende bringen zu können, wird Elia unserem Gott noch einmal begegnen. Nicht im Spektakel von Blitz und Donner, weder im Erdbeben noch im Sturm. Sondern in der Stille. Gottes Stimme wird zu ihm sprechen, im Flüstern eines sanften Windhauchs, Übersetzung Zürcher Bibel. In einem stillen sanften Sausen, sagt Luther. Und am Allerhebräischsten einmal mehr Rosenzweig und Buber: in einer Stimme verschwebenden Schweigens.

Wie zärtlich wird unser Gott beschrieben, der so oft karikiert wird mit Redewendungen wie „in typisch alttestamentarischem Zorn“. Typisch für Gott ist seine Wandelbarkeit! Er passt in keine Schablone. Und er begegnet Elia durch einen Boten, der mehr als nur Mut zuspricht für den weiten Weg. Bevor er redet, tut er etwas, was mir „in diesen Zeiten“ besonders auffällt. Er rührt Elia an. Und zwar zum zweiten Mal. Das verrät die kleine Passage, die der Monatsspruch auslässt: Der Bote des Herrn aber kam zum zweiten Mal und berührte ihn und sprach: Steh auf, iss, denn der Weg, der vor dir liegt, ist weit.

Liebe Gemeinde, auch Gottes Seelsorge für Elia, für dich und für mich, ist mehr als ein einmaliger Event. Sie ist nachhaltig. Gott geht dir nach, wenn du Zeit brauchst, um herauszukommen aus deiner Lebensmüdigkeit. Und du darfst dabei auch ein wenig Kind bleiben. Ein Kind, das nicht sofort hört, sondern erst einmal trotzt. Und sich wegdreht. Und weiterschläft. Gottes Bote kommt zum zweiten Mal. Mit beharrlicher Zärtlichkeit gibt es noch einmal frisches Brot mit Wasser. Elementar wie Abendmahl und Taufe.

Und eben die Berührung: Der Bote Gottes berührte Elia.
Das kleine Kind braucht nicht allein die Stimme seiner Eltern. Es braucht sehr viel Berührung, um gut gedeihen zu können. Und die braucht auch jeder Erwachsene. Das Bedürfnis nach Berührung, ja die Sehnsucht nach Körperkontakt, sie ist ganz einfach menschlich.

Liebe Gemeinde, vor ein paar Tagen las ich in der Zeitung einen Kommentar, der mich rebellisch macht. Der Journalist riet dazu, sich einzustellen darauf, dass das Händeschütteln ausstirbt. Genau wie andere Formen körperlicher Begrüßung.
Ich bin anderer Meinung, und dabei stärkt mich unser Text. Elia braucht auch die Berührung, mindestens ebensosehr wie die verbale Ermutigung und die kräftigende Nahrung.

Ich will die Hoffnung behalten, dass wir uns eines Tages wirksam schützen können gegen die C-Krankheit. Lasst uns weiter dafür beten!
Es gibt ja auch Zwischenformen der Berührung, ohne face to face. Vielleicht hat Gottes Bote den Elia nur angestupst. Oder ihm die Hand auf die Schulter gelegt.

Ich erzähle zum Schluss, wie mein Sohn mir mal den Rücken gestärkt hat. Ich war 47 und am Ende einer strammen Tagesradstrecke Braunschweig-Göttingen. Am letzten Hügel vor dem Ziel wurde ich immer langsamer. Da spürte ich plötzlich die Hand des hinter mir fahrenden Paul im Rücken. 15 Jahre alt, seitdem mir an Körperkraft überlegen. „Tja Papa, früher hast du mir den Rücken gestärkt, jetzt bin ich dran“. Sehr bald waren wir am Ziel.

Möge der Weg dahin eher kurz sein, bis wir uns auch in der Gemeinde körperlich wieder gegenseitig berühren. Den Rücken stärken können wir uns vielleicht jetzt schon. "Der Bote des Herrn aber kam zum zweiten Mal und berührte Elia und sprach: Steh auf, iss!"
Amen.

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